sozialen Not, des Hungers, auch auf die Juden die gleiche Wirkung ausüben. Wenn die jüdischen Handwerker trozdem eine größere Zähigkeit in ihrem Berufe zeigen, eine größere Anhänglichkeit als die russischen, so beruht diese Erscheinung allerdings in erster Reihe in einem ungleich regeren Schaffenstriebe, sodann aber in ihren ungemein bescheidenen Lebensansprüchen, die es ihnen gestatten, mit viel geringeren Verdiensten vorlieb zu nehmen, wie die Russen. Und wenn das Elend schließlich übermächtig wirkt, wenn der Jude ermüdet der Sysiphusarbeit den Rücken kehrt, die nur zu oft kaum die allernotwendigste Existenz gewährt, wenn er seinem Berufe wirklich entfliehen wollte, er fönnte es nicht einmal. Den Russen ist es gestattet, von Gouvernement zu Gouvernement zu fahren, das ganze große Reich zum Schauplaz seiner Tätigkeit zu machen. Es ist ihm in allen seinen Teilen erschlossen, der Jude aber ist an die Scholle der wenigen ihm offenen Gouvernements gebunden, von einem engen Kreis umfangen, in dem heiß gekämpft und gerungen werden muß, um das bischen Existenz zu sichern.
Der Handwerkerstand bei uns lichtet sich bekanntlich von Jahr zu Jahr; das herrschende Wirtschaftssystem duldet seine Existenz nun einmal nicht. Der Handwerksmeister wird Fabrifarbeiter, Taglöhner u. s. w. Dem gleichen Loose verfällt auch der jüdische Handwerker; er sinkt gleichfalls ins Proletariat und wird Arbeiter und Taglöhner, oder auch Hausirer, wenn er für einen anderen Beruf zu schwach oder in seinem eigenen einseitig geworden ist. Die Ergreifung des Hausirer gewerbes ist nicht etwa, wie man bei uns anzunehmen gewöhnt ist, ein Akt der jüdischen Trägheit und Arbeitsscheu. Im Gegenteil! Das Hausirgewerbe ist ein mühseliges, unfruchtbares, durch zahllose Demütigungen verbittertes. Wenn der Jude es ergreift, dann befindet er sich meist am Rande der Verzweislung, dann treibt die drückendste Not ihn dazu; es ist der lezte Strohhalm, nach dem der jüdische Proletarier greift, um sein Dasein weiter zu fristen. In die Klasse der Hausirer versinkt auch der jüdische Kaufmann, der dem Konkurrenzkampfe erliegt. Im allgemeinen deutet ein starker Hausirerstand auf große Armut der jüdischen Bevölkerung hin. Im Gouvernement Cherson, wo die wirtschaftliche Krystallisation zum Großbetriebe sich in allen Produktionsgebieten rasch vollzieht, findet sich neben einem Heer von Hausirern auch die große Armut des jüdischen Proletariats! Die Beteiligung der Juden am handwerksmäßigen Berufe erscheint in ihrer ganzen Bedeutsamkeit, wenn man er wägt, daß die jüdische Bevölkerung nur 8,6% der Gesammtbevölkerung Cher sons ausmacht, das von allen Gouvernements
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mit die dichteste jüdische Bevölkerung befizt. Die Beteiligung der Juden am handwerksmäßigen Beruf mag in anderen Gouvernements von der im Cherson differiren; groß aber wird der Unterschied nicht sein. Die Zahl der jüdischen Handwerker in den Gebieten, welche den Juden erschlossen sind, ist überall eine bedeutende.
Wir haben die Juden als Handwerker kennen gelernt, wir treffen sie auch als Großindustrielle an. Vielleicht wird man darauf hinweisen, daß der jüdische Entwicklungskreis doch kein so sehr beschränkter ist, da die russische Regirung den Juden die Großindustrie nicht verbietet. Warum wird aber der Handwerker, und vollends gar der erliegende, bei uns kein Großindustrieller, warum entzieht er sich nicht auf diesem auch ihm erschlossenen Wege dem Hangen und Bangen seines Vegetirens? Zur Großindustrie gelangt nicht derjenige, der im kleinen Kampfe verblutet, sondern nur derjenige, der Geld hat, und das haben die jüdischen Handwerker ebensowenig wie die christlichen.
Doch gehen wir weiter. Von den Fabriken und Etablissements in den Bezirksstädten Chersons gehörten im Jahre 1880 den Juden 76, den Christen 80( ca. 50 den Russen, und ca. 30 den Ausländern), und in den Landbezirken den Juden 46, den Nichtjuden 114 an. Im ganzen Bezirke waren 122 jüdische und 194 christliche Fabriken. Die im Jahre 1876 erzeugten Werte bezifferten sich auf 3 680 000 Rubel. Es fehlen an diesen Fabriken noch die in jüdischen Händen befindlichen Wollwäschereien mit einer Produktion von 1 200 000 Rubel. Im Jahre 1879 bezifferte sich die Produktion von 348 Fabriken auf 3 700 000 Rubel, davon famen auf die Juden 36%. Zieht man wieder das Verhältnis der jüdischen zur christlichen Bevölkerung( 8,6%) in Betracht, dann sind die Juden auch in der Industrie viel stärker als die Christen vertreten. Die jüdischen Fabriken bestehen meist aus Talgsiedereien, Spritbrennereien, Tabakfabriken, Mühlen, Holzsägen, Ziegeleien u. s. w. Gepachtet werden von den Juden außerdem im Durchschnitt 80% der adeligen Brennereien. So befinden sich z. B. von 12 gutsherrlichen Brennereien im Bezirke Elisabetgrad 10 im Pachtbesize der Juden. Im allgemeinen darf man sagen, daß mehr als die Hälfte aller Fabrikproduktion sich in den Händen der Juden befindet.
Auch im Kleinhandel mit Spirituosen sind die Juden zahlreich vertreten; von 326 Schänken in den Landbezirken, auf die es ja wesentlich ankommt, befanden sich 143 in den Händen von Juden, 183 aber in den Händen von Nichtjuden. Der Anteil der Juden an den Schänken beziffert sich somit auf 44%. ( Fortsczung felgt.)
I. Auguftus und sein Hof.
Bon Manfred Wittich.
Die römische Literatur des ersten sogenannten goldenen Zeitalters ist das Ergebnis der politischen Kirchhofsruhe, welche in dem ehemaligen Freistaat ihren Einzug hielt. Die öffentliche Wirksamkeit war den Quiriten, den Lanzenmännern, wie sich die Römer feierlich gern nennen hörten, verschlossen, soweit staatliche Dinge in Betracht famen. Das große freie Rechtsleben war zusammengeschrumpft zu rabulistischen Advokatenkriegen, die großen Staatsreden freier Männer wurden abgelöst durch das schön geistige Geschwäz serviler Redekünstler und durch die eitlen Rezitationen erfolgs- und ruhmhungriger Verseler.
Augustus , der erste der römischen Kaiser, trat nach Niederwerjung seiner Gegner allerdings sehr vorsichtig und schonend auf und ließ nach allen Seiten hin seine Minen spielen, um sich möglichst allgemeine Liebe und Geneigtheit zu erringen.
Dazu waren ihm nun namentlich förderlich die Berufungen von Philosophen und Poeten, welche selbst. sammt den in Rom auch vorher ja schon vorhandenen Literaturfreunden, höch lich befriedigt waren über diesen Schritt. Er selbst war gut geschult, sprach und rezitirte auch nicht schlecht, wobei ihm eine angenehme Stimme und gute Aussprache wohl zu statten famen. Deutlichkeit und Klarheit waren sein Hauptaugenmerk als Schriftsteller, sein Leibsprichwort war: Eile mit Weile! Auch etwas Wiz besaß er. Wiz besaß er. Der Dichter Horaz war ein ziemlich beleibter Herr; ihm wünschte der Kaiser, daß seine Gedichtsammlung im gleichen Format erscheinen möchte. Als das römische Volk sich einmal über die hohen Weinpreise beklagte, ließ er die Weisung geben durch Ausrufer: daß für den Durst der Römer bereits durch die Appische Wasserleitung gesorgt sei.
Auch die übrigen Glieder des kaiserlichen Hauses liebten die schönen Wissenschaften. So seine Schwester Octavia, welche