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Plinius selbst war ein Held der aktiven und passiven Reci­tation, versäumte wohl kaum eine, selbst bei elendestem Wetter, und nahm Unaufmerksamkeit oder Geiz in Beifallsspenden bei seinen Mithörern sehr ärgerlich auf, wie er selbst berichtet; da­gegen andrerseits las er seinen Gästen einmal 3 Tage hinter einander seine Lobrede auf Trajan vor.

Aber auch Engels geduld hat ihre Grenzen, wieviel mehr menschliche! Aufgefordert von vielen Freunden, gebe ich diese lyrischen Versuche an's Tageslicht" u. s. w. Wir kennen diese Einleitung junger Lyriker, wenn ihre Muse flügge geworden. Auch die römischen Rezitatoren kannten sie. Passenus Paulus begann seinen Vortrag, zu einem der anwesenden Hörer ge­wendet, mit den Worten: Priskus, du forderst mich auf..." worauf der Angeredete plözlich aus dem Publikum heraus laut antwortete: Beim Jupiter, ich fordere dich nicht auf!" Tab­leau! Unauslöschlich homerisches Gelächter! Aehnlich soll es einem griechischen Prunkredner Sidonius dereinst in Athen er­gangen sein. In der Einleitung seines Vortrags rühmte er sich, er sei im Stande allen philosophischen Schulen gerecht werden zu können. Wenn Aristoteles mich zum Lyceum ruft, so folge ich, wenn Plato mich zur Akademie( einer zu philo­sophischen Spaziergängen von Plato benuzten Platanen- und Delbaumallee) bestellt, tch folge; wenn( der durch Schweigen­lassen seine Schule prüfende) Pythagoras befiehlt, so schweige ich!" Stimme aus dem Publikum:" Lieber Sidonius, Pytha­ goras ruft dich!" Man wünschte ihn pythagoräisch- schweigen zu hören!

Alle möglichen dichterischen Gegenstände und Gattungen waren Stoff der Rezitationen. Auch politische Anspielungen und Anekdötchen aus der Tages- und Skandalgeschichte der Residenz fehlten nicht. Das erstere war selbst unter einem als sogenannter guter Kaiser" bekannten Vespasian nicht gefahrlos. Tacitus berichtet, daß der Dichter Curiatius Maternus sein Drama Cato" mit viel republikanischem Feuer rezitirt habe, wobei einige starke Stellen vom Hofe übel vermerkt worden seien. Hochgestellte Freunde rieten Streichung der verfänglichen

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Verse bei der Herausgabe; der stolze Dichter aber entgegnete: Du wirst sehen, was Maternus sich schuldig ist, und wieder­finden, was du( bei der Rezitation) gehört hast; hat aber Cato etwas weggelassen, so wird in der nächsten Vorlesung Thyastos ( eine andere Tragödienperson) es nachholen!"

Diese Kunstübungen waren ungemein beliebt und verbreitet und wir wissen auch ihren Erfinder: Cajus Asinius Pollio ( 75 vor bis 4 nach Chr.) Parteigänger Cäsars und des An­tonius; politisch untätig seit dem Tode Cäsars, widmete er sich ganz den Musen; er stiftete übrigens auch die erste öffentliche Bibliotek in Rom , und zwar im Jahre 39 vor Chr.

Ursprünglich mag wohl der Dichter die Kritik der Hörer zur Ausfeilung seiner eben fertig gewordenen Werke benuzt haben, später ward das Rezitiren aber eine Seuche wie das Dichten. Schon Horaz mahnt: wer gescheit ist, weicht behutsam dem wahnsinnigen Dichter wie einem Aussäzigen oder Verrückten aus. Den Kopf gen Himmel gereckt, stets Worte hervorstoßend, rennt er durch die Gassen, fällt in Graben und Brunnen, oft mit Absicht, um eines erhabenen Todes zu sterben. Er rast wie ein Bär, der die Eisenstäbe seines Käfigs zertrümmert hat. Gelehrte und Laien jagt der schreckliche Vorleser in die Flucht. Wen er aber gepackt hat, den hält er fest und liest ihn tot, und läßt selbst seine Haut nicht los, bis er sich, der Igel, voll des Blutes gesogen hat!" Und Martial fährt weiter in der­selben Melodie fort: Wo Ligurin sich sehen läßt, flieht alles, und rings um ihn wird's wüste und leer. Der Dichter mit seinem Manuskript ist schrecklicher als die Tigerin, der man die Jungen geraubt hat, schrecklicher als die giftigste Schlange, als der Skorpion. Er hält sein Opfer auf der Straße fest, folgt ihm ins Bad, bis zur Mittagstafel, weckt ihn sogar aus dem Schlafe."

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Einer der Freunde des Juvenal verläßt Rom . Der Dichter zählt die guten Gründe auf, warum er ihm das nicht verdenkt und nennt unter anderen Unglücksfällen, als Feuersbrünsten, Häuserstürzen u. dergl. auch die Rezitationen auf, denen man sich aus Höflichkeitsrücksichten oft nicht entziehen konnte.

Die Ersteigung des Capitols. ( Mit Illustration.)

Der Einbruch der Gallier in Rom bildet eines der interes= santesten Blätter in den Annalen der römischen Geschichte aus der republikanischen Zeit. Die Gallier waren Zweige des großen Keltenvolks, das, in viele Stämme gespalten, den ganzen Westen Europas , die pyrenäische Halbinsel, das große Gebiet der Gallier, Belgier und Helvetier und die britischen Inseln bewohnte, das an der mittleren Donau seine Wohnsize bis zum Hämus ausgedehnt hatte und dessen entlegenſten Zweige, den trakischen Bosporus überschreitend, im fernen Kleinasien unter den heimischen Lebensformen und mit dem heimischen Namen Galater ihr Dasein verbrachten. Die Gallier, die, ursprünglich zwischen dem Rhein und der Garonne seßhaft, in Schwärmen über die Alpen gedrungen waren und nach und nach ganz Ober­ italien in Besiz nahmen, schieden sich in mehrere Völkerschaften mit verschiedenen Namen. Am weitesten gegen Süden wohnte der gallische Volksstamm der Senonen, die sich der Ostküste von Umbrien bis in die Nähe der syrakusischen Pflanzstadt Ancona bemächtigt hatten. Im Jahre 390 v. Ch. zogen die senonischen Gallier, nachdem sie die alte Etruskerstadt Melpum zerstört hatten, unter ihrem König Brennus über die Apeninnen und belagerten die Stadt Clusium in Etrurien . Die Ein­wohner riefen die Römer zu Hilfe und diese schickten eine Ge­sandtschaft, drei Fabier, in das feindliche Lager, mit der Forde­rung, von Roms Schüzlingen abzulassen. Die Gallier erklärten sich zum Frieden bereit, wenn die Clusiner einen Teil ihres

Landes an sie abtreten wollten. In dieser Antwort erblickten die Gesandten einen Hohn und begierig, sich zu rächen, mischten sie sich bei einem Ausfall in den Kampf und einer von ihnen, Quintus Fabius, erschlug einen gallischen Heerführer, Brennus, welcher dies für eine Verlezung des Völkerrechts erklärte, forderte von den Römern die Auslieferung der Fabier. Die Forderung wurde zurückgewiesen und die Fabier obendrein zu Kriegstribunen ernannt. Hierüber in Wut versezt, ließen die Gallier alsbald von Clufium ab, rückten in Eilmärschen, ohne das dazwischen liegende Land zu verlezen, in der Stärke von 70 000 Mann auf Rom los und brachten dem römischen Heer am Flüßchen Allia eine so vollständige Niederlage bei, daß sich nur einige Flüchtige über die Tiber nach Veji retteten, Rom selbst aber, das von den Weibern und Kindern verlassen worden war, ohne Gegenwehr in die Gewalt der Feinde fiel. Die Gallier brannten die leere Stadt nieder, mordeten auf dem Forum gegen achtzig Greise, die als Sühnopfer fallen wollten, und um­lagerten dann das Capitolium, wohin sich die streitbare Mann­schaft mit den Schäzen und Kostbarkeiten gezogen hatte. Das Capitol war ein prächtiger, von den Tarquiniern erbauter Jupiter­tempel auf dem tarpejischen Berge, neben welchem die römische Burg und der tarpejische Fels, von dem die Missetäter herab­gestürzt wurden, befindlich war. Im weiteren Sinne wurde so der ganze Hügel mit der Burg 2c. bezeichnet. Das über unter­irdischen Felsenkammern und brunnenartigen Tiefen sich erhebende