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Gasse sie nach dem freien Plaze, auf dem sie sich jezt befanden,| Vaters Name ist Marchese di Montanari. Drüben, nicht weit

gekommen war, und die beiden schritten jezt raschen Gangs

durch dieselbe zurück. Als sich aber dann links und rechts Gäßchen an Gäßchen öffnete, konnte sich die Kleine nicht mehr erinnern, durch welche von ihnen sie vorher gegangen war, und ihre Begleiterin vermochte nichts, als ihren unbestimmten An­deutungen zu folgen.

Indessen war die Dämmerung weiter vorgeschritten, tieferes Dunkel legte sich zwischen die in den engen Gassen zuweilen faum auf Armeslänge auseinander stehenden Reihen der alten, düsteren Steinhäuser, und so war es fein Wunder, wenn die beiden bei dem Mangel jeglichen Anhaltspunktes, der sie auf die richtige Spur hätte bringen können, troz alles eiligen Gehens und eifrigen Spähens den Gegenstand ihres Suchens nicht auf zufinden vermochten. Die Kleine ergriff eine fast fieberhafte Unruhe, und als ihre Begleiterin weiteres Suchen für zwecklos erklären mußte, zog oder zerrte sie vielmehr diese immer wieder mit sich fort, jezt in diese, dann in jene Gasse hinein, und bat stets von neuem wieder, ihr doch ja den, armen Bruder Ca­millo" finden zu helfen. Und die fremde Dame besaß Geduld genug, der Bitte der Kleinen wohl zum zwanzigstenmale Ge­hör zu schenken und eiligen Fußes bald in diesem, bald in jenem Gäßchen über das platte Backsteinpflaster dahin zu schreiten

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durch längere und fürzere, von dunklem Dämmer durchwebte Reihen, in deren Hintergrund die grauen Steinkolosse dicht aneinander zu treten und jeden weiteren Weg abzusperren schienen, dann und wann nur einen jener umfangreicheren freien Pläze, die in der Regel eine der in Venedig so zahlreichen fleineren oder größeren Kirchen schmückt, erschließend. Wohl gingen, hier behaglich feierabendlichen Schlendergangs, dort in geschäftiger Eile der Menschen genug diese Gassen und Gäßchen auf und ab; wohl glitten ihrer viele, jezt einzelne als einsame Träumer, dann zu munter lärmendem Trupp zusammengesellt, in leichten, luftigen Fahrzeugen die engen, eigentümlichen Dunst­hauch ausatmenden Wasserstraßen, die sie manchmal auf kleinen Brücken zu überschreiten genötigt waren, dahin; aber so scharf man jedem, den das Auge traf, ins Antliz sah, so oft die Kleine schon am Ziel zu sein glaubte und ihre Freude durch hell auf­jubelnden Schrei fundtat den Gesuchten fand man nicht.

Aber jezt laß es gut sein, mein Kind! Unsere Anstren­gungen werden heute immer vergeblich bleiben!" sagte nun end­lich die Fremde zu dem Mädchen, indem sie den Fuß anhielt, " du wirst für die Nacht mit in unser Haus kommen, und dann am Morgen wollen wir sehen, ob wir deinen lieben Bruder finden. Beruhige dich, wir werden ihn finden!"

Die Kleine schlug ihre in der Tat wundervollen Augen groß und voll zu der Begleiterin auf, gleich als ob sie alles Zutrauens, das ihr dieselbe durch ihre teilnehmende Freundlich keit schon eingeflößt, ungeachtet, in ihrem Antliz noch besonders die beruhigende Gewißheit lesen wollte, daß sie ihr auch folgen dürfe. Die leztere beobachtete dies wohl und zog die Kleine, wie um sie jedes in dieser Hinsicht noch gehegten Zweifels zu überheben, zärtlich an sich und füßte ihr die Stirn.

" Und wie heißt du, mein Kind, daß ich dich auch mit Namen zu nennen weiß?" fragte sie zugleich in so warmem und weichem Tone, daß er der Kleinen alle ängstliche Besorgnis benehmen mußte. Und sie schmiegte sich denn auch zutraulich und so zwanglos, als sei die Fremde ihr seit langem eine liebe Freundin, an dieselbe an, und antwortete beherzt und offen:

,, Adele von Winter", indem sie unmittelbar, als sei dieser Name von dem ihrigen unzertrennlich, hinzufügte: Und Ca­millo heißt mein Bruder". Sie dachte nicht daran, daß sie den Namen dieses lezteren in ihrem schmerzlichen Ausrufen schon mehr als einmal genannt hatte.

Die Fremde lächelte leise und sichtlich von Herzen erfreut ob der innigen Liebe zu dem Bruder, die sich in so schlichter Weise wieder in den lezten Worten des Mädchens aussprach. " Und" sagte sie nun herzgewinnend und mit einer Art innerer freudiger Bewegtheit--, damit du doch auch weißt, wie du mich nennen magst: ich heiße Serena, und meines

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vom Canal grande , steht unser Haus, du hast ihn schon nennen hören, den Palazzo della Sponda, nicht? Und dahin will ich dich jezt bringen für diese Nacht, und wenn dirs gefällt für länger, bis wir deinen lieben Bruder gefunden haben. Nicht wahr, du willst meine kleine, liebe Freundin sein?" Und dabei beugte sie sich immer wieder zu dem Mädchen nieder und strich ihr das seidene, weiche Haar aus der Stirn und küßte sie.

Das nahm der Kleinen vollends den lezten Rest von Schüchternheit; sie drückte dankbar die Hand Serena's und nickte zustimmend und zufrieden. Freilich waren ihre Gedanken, wie sie nun dem Canal grande zu weiterschritten, noch immer mit Camillo beschäftigt, sie erzählte und plauderte von ihm und warf das Köpfchen unruhig hin und her und zog ihre Be­gleiterin hastig zur Seite, wenn sie ein Gesicht, ähnlich dem des Bruders, aus der grauen Dämmerung hervortauchen zu sehen glaubte.

Am Canal grande angekommen, fuhren sie in leicht schau­kelnder Gondel ein Stück auf demselben hinauf. Hier, auf dieser größten Wasserstraße Venedigs , herrschte nun vollends überaus buntes Leben; Gondel um Gondel, Barke um Barke schwammen, von kräftigen Armen gerudert, hier langsam, dort in eiligem Flug auf der blauen Flut nach allen Richtungen hin und her. Das Lärmen der Gondoliere, das lebhafte Plaudern und Singen einzelner Gruppen, die in den schmucken Fahrzeugen beisammen saßen, der sanft verhallende Klang einer Mandoline oder Gui­tarre, der dann und wann aus den Kähnen oder vom Ufer her über die Wellen schwebte, das Rauschen und Blinken der Wasser unter den Ruderschlägen: das alles wirkt wohl berauschend und betäubend auf die Sinne des Fremden ein, der zum erstenmale den Blick in dieses bunt bewegte Leben hineintaucht; Serena aber war von Jugend auf mit dem wechselvollen Treiben, mit diesem wundersamen, farbenreichen, den fernher Kommenden fast mit märchenhaftem Zauber umwebenden Bilde schon zu vertraut, als daß sie ihm besondere Aufmerksamkeit hätte widmen sollen, wenn dasselbe auch mit seiner magischen Gewalt unmerklich ihre Seelenstimmung beeinflußte. Sie plauderte jezt, in der schwanken Gondel pfeilschnell durch den Kanal gleitend, so freundlich zu­traulich, so zärtlich hingebend mit ihrem kleinen Schüzling, als hätte sie das schon so oft getan, daß es garnicht anders sein konnte.

Nach einer kurzen Weile glitt die Gondel aus dem großen Kanal in eine der kleineren Wasserstraßen und hielt bald an den breiten Steinstufen eines mächtigen Marmorpalastes. Impo­sant durch die grandiose Wirkung der Massen und heiter an­mutig durch das zierliche ornamentale Beiwerk zugleich, wie es der Karakter jener Epoche der Baukunst, die man die Früh renaissance genannt hat, mit sich bringt, gilt dieser Palazzo della Sponda, wie er hier heißen mag, obgleich die Lagunenstadt an herrlichen architektonischen Denkmalen gerade aus dieser Zeit nicht arm ist, für eines der prachtvollsten Bauwerke Venedigs .

Majestätische, mit allerhand Figuren, Arabesten und anderem Bierrat geschmückte Säulen laufen längs der imponirenden Fassade hin und streben, eine über der anderen, bis zum Dache hinauf. Und zwischen diesen Säulen nun die hohen, rundbogigen Fenster, in der Mitte, über dem Portal, aber eine mit bunter Glas­malerei versehene Rosette, alle überwölbt von lustig geschwun­genen Rundbogen, daneben Reliefbilder mit reizvollen Frauen­und Kindergestalten und anderen anmutigen Figuren, von ähn­licher kostbarer Bildhauerarbeit umrahmte Nischen, und darüber und dazwischen wieder kleinere, von mannigfachen Blätterara­besten umschlungene Säulen, größere und fleinere Galerien und Baltone bildend, über deren Brüstung sich hier und da in ge­fälliger Windung üppiges, immergrünes Schlinggewächs herab­schlängelt und in zierlichen Ranken sich weit über das Mauer­werk herniederringelt, leise hin und her schwankend in der sanft bewegten Luft. Zur linken und rechten Seite des Balastes tritt ein von allerlei Bäumen und Sträuchern und Blumengewächsen bestandener, schattiger Garten, der sich in weitem Bogen rings um das majestätische Gebäude zieht, an den Kanal heran, und