dische Berufsklasse noch nicht in Erörterung gezogen, diejenige der jüdischen Wucherer. Kredit sucht der Bauer, der mit seinem Acker nicht ausreicht und Staatsboden pachten will. Mit Dar lehensgeschäften, d. h. mit Wucher, befaßt sich im Dorfe selbst der russische„ Kulaki "( der sich gewaltsam bereichert) und der " Mirojet",( Gemeindeauffresser, Dorfausbeuter), und was die christlichen Wucherer sonst noch für Namen haben. Außer diesen betreiben die Juden und Gutsbesizer Geld- und Wuchergeschäfte. Der Großbauer oder Gutsbesizer borgt dem Bauern zur Pacht von 3 Deßjätinen etwa 10 Rubel mit der Verpflichtung, ihm an Stelle des Zinses 1 Deßj. Korn und 2 Deßi. Heu einzuarbeiten. Das Geld selbst ist in der Regel im Herbste zurückzuzahlen. Erfolgt die Rückzahlung nicht, dann sichert sich der Gutsbesizer die gleiche Arbeitskraft auch für das nächste Jahr unter den gleichen Bedingungen u. s. w. So geraten die Bauern in Abhängigkeit, weil sie fast niemals Gelegenheit haben, das Geld bis zu dem Zeitpunkt zurück zu erstatten, wo der Bauer wieder Geld braucht, zur alten Schuld also eine neue hinzufügen muß. Die von ihm als Zins beanspruchte Arbeitsleistung repräsentirt zur Erntezeit, wo die Arbeitskräfte rar sind, den Wert von etwa 12 Rubeln. Das teilt ein Gutsbesizer im offiziellen„ Berichte der Enquête- Kommission über die Lage der Landwirtschaft"( Beilage 6) mit. Es ist noch eine andere Metode im Gange. Der Bauer wird im Herbste für den ganzen nächsten Sommer als Arbeiter gemietet. Der Lohn beträgt 30-40 Rubel, und darauf erhält er einen Vorschuß, der ihn, Dank seiner bedrängten Lage, fest bindet. Wäre er ein freier Arbeiter geblieben, dann hätte er seine Arbeitsfraft ganz anders verwerten können. Der einfache Tagelöhner erhält in der Heu- und Erntezeit täglich 1-212 Rubel Lohn. Die ganze Erntezeit gerechnet, die auch das Dreschen mit einschließt, würde er wohl 100-120 Rubel verdient haben, vorausgesezt natürlich, daß die Ernte günstig war.
Der Jude, an den sich der Bauer wendet, verleiht das Geld für 10% monatlich. Er gibt es baar, und der Bauer verpflichtet sich nun, ihm das Darlehen nebst 10% pro Monat in Gestalt von Getreide nach Ablauf der Darlehenszeit( acht Monate) zurückzuerstatten. Für die ganzen acht Monate würde der Jude also 80%, für das ganze Jahr 120% verdienen. 120% Das ist allerdings enorm, doch halte man den bäuerlichen und gutsherrlichen Wucher dagegen, und man wird ihn nicht schlimmer als den christlichen finden.
Es gibt noch eine sehr gebräuchliche Art des Kreditnehmens, die unsre Darlegung ergänzen mag. Der Bauer erbittet vom Gutsbesizer Land( 3 Deßjätinen); er erhält es unter der Bedingung, daß er dem Gutsbesizer ein Drittel der Ernte abliefert. Die Pacht einer Deßjätine, die im Durchschnitt 3 Tschetwert Getreide liefert, fostet etwas über 3 Rubel, die drei Deßjätinen also ca. 10 Rubel. Eine Deßjätine liefert 3 Tschetwert Weizen und ein Tschetwert kostet im Durchschnitt 14 Rubel; für den Pachtwert von 10 Rubeln erhält der Gutsbesizer also 42 Rubel oder mehr als 400%. Es wird die Ertragsfähigkeit des Bodens schwanken, auch der Getreidepreis wird differiren, im Grunde aber wird die ungeheuere Prozentziffer ziemlich die gleiche bleiben. Auf welcher Seite nun die größere Bedrückung zu suchen ist, der größere Wucher, das liegt klar zu Tage. Bezeichnend für die Lage der Bauern ist, daß von 70 000 Deßi. gutsherrlichem Boden nicht weniger als 19 000 Deßj. den Bauern gegen ein Drittel des Ernteertrages( 42 Rubel für die Deßj.) verpachtet sind. Ein Pachtwert von ca. 58 000 Rubeln trägt jährlich 2 426 000 Rubel ein. Da verlohnt es sich, Großgrundbesizer zu sein. Zur Zeit der ärgsten Leibeigenschaft hat dieser Acker schwerlich soviel abgeworfen.
Wie man sieht, liefert auch der jüdische Bucherer keine Erflärung für den Haß der Bevölkerung gegen die Juden, es wäre denn der, daß der Bauer die Abhängigkeit von seinem alten Ausbeuter leichter erträgt als die jüdische. Da sich die Abhängigkeit bei Christ und Jude aber in Tschetwert, also in Zahlen, äußert, die ja sprechend sind, dürfte diejenige vom jüdischen Bucherer doch lange nicht so drückend sein, als vom
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christlichen. Wenn man ganz unbefangen die Verhältnisse erwägt, fann man als Motive der Judenhezen nur die im Eingange angedeuteten entdecken. Religiöse Verhezung, systematische Mißhandlung durch die Regierung, die durch Gesez begründete schimpfliche Ausnahmestellung, die Verlästerung der Juden als Bauernausbeuter all das läßt die Juden in den Augen der Menge als vogelfrei erscheinen. Es mag wohl noch ein anderer Moment einwirken, und das ist die stetige Verschlimmerung der Lage der Bauern, die Ueberzeugung derselben, rettungslos dem wirtschaftlichen Ruin verfallen zu sein. Der Großbetrieb der Landwirtschaft nimmt von Jahr zu Jahr größere Dimensionen an, und je mehr dies geschieht, desto mehr versinkt der Bauernstand und verschwindet er. Nicht umsonst nimmt der Schänkenbesuch der Bauern zu. der Bauern zu. Sie haben längst schon ihren wirtschaftlichen Halt verloren und damit auch den moralischen. Im Branntweingenuß finden sie ihren Trost und in Juden- und Deutschenhezen wohl ein Stück sittlicher Genugtuung für das unverschuldete eigene Geschick. Es fällt nicht schwer, in den Judenhezen ein erstes Donnergrollen schwerer gesellschaftlicher Katastrophen zu erblicken, deren dunkles Gewölf bereits den politischen Himmel Rußlands bedeckt. Eine verständige und wahrhaft volkstümliche Regierung fände hier auf den verschiedensten Gebieten reiche Arbeit. Außer etwa 50 000 Deßj. Waldboden besizt die Krone im Gouvernement Cherson allein 346 000 Deßj. Getreideboden. Sie könnte hier den landwirtschaftlichen Betrieb, die Mühlen, den Holz- und Getreidehandel monopolisiren und dabei ungeheure Summen, die jezt in die Taschen einzelner fließen, für den Staat gewinnen. Eine solche Wirtschaft böte leicht Ge legenheit, den Hungernden und Darbenden Arbeit zu geben und so manche Duelle des Klassenhasses zu verschließen. Wenn man sich erinnert, wie enorme Summen die russische Krone aus dem Branntweinmonopol gezogen, wie sie mit Liſt und Gewalt die Bauern zum Trinken gezwungen um ihre Branntweineinnahmen zu steigern, dann könnte man fast versucht werden, das Staatsmonopol als das Mittel hinzustellen, die drohenden sozialen Gewitter, die über Rußland sich zusammenziehen, abzuleiten und zugleich damit die Judenfrage durchgreifend zu lösen. Aber wer wird naiv genug sein, anzunehmen, daß die russische Krone bei der monopolisirten Wirtschaft nun auch dafür sorgen wird, daß die zum großen Teil in permanentem Notstand lebenden Bauern sich gehörig satt essen können. Wenn das erzielt werden könnte, so läge darin jedenfalls ein ungeheurer Fortschritt gegenüber dem heutigen Zustande, bei dem zu Spekulationszwecken in einer einzigen Hafenstadt für 20 millionen Rubel Getreide aufgespeichert ist, während hunderte und tausende von Bauern, Produzenten dieses selben Getreides, am Hungertuch nagen und im Elend verkommen. Wie erfolgreich ließe sich auch die Branntweinpest bekämpfen! Man gebe den Bauern genügende Nahrung, und der Trieb, ins Wirtshaus zu gehen, wird von selbst eingedämmt werden. Ein leerer Bauch studirt nicht gern, und der Hungrige kümmert sich nicht um die Sittengebote. Man sorge für ausreichende Ernährung, und die Moral wird wieder Wurzeln fassen, das Menschentum erwachen und die Sittlichkeit sich kräftigen.
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Doch niemand wird im Ernste von der russischen Regierung eine solche Politik erwarten. Sie würde jedenfalls einfach in die Fußstapfen der Spekulanten treten und so viel als möglich Geld und immer wieder Geld aus dem Monopol herauszuschlagen versuchen. schlagen versuchen. Böte der auswärtige Markt vorteilhafte Verkaufsofferten, so würde sie verkaufen, ganz unbekümmert um das Elend im Lande. Es würden vielleicht noch schlimmere Zustände, als sie jemals dagewesen sind, entstehen und Not und Knechtschaft statt ab- zunehmen, ein gewaltiges Wachstum erfahren.
Man denke sich, welch' ein Zustand plazgreifen würde, wenn das forrumpirte, habgierige und gewissenlose russische Beamtentum zur Ausführung des Staatsbetriebes berufen würde, oder ausgediente Gardeoffiziere, Unteroffiziere und Militäranwärter aller Art im Wirtschaftsapparate Verwendung fänden! Jede Freiheit und Selbständigkeit würde da zerstampft werden,