den, so erfuhr man dennoch im Auslande wenig über des Dich ters Lebenslauf. Sein Schwiegersohn, Mr. Lockhardt, hat zwar vor Jahren eine Biographie W. Scotts herausgegeben, allein diese von allen Freunden und Verehrern des großen Schotten mit Spannung erwartete Arbeit hat die inbetreff derselben gehegten Erwartungen getäuscht, weil Mr. Lockhardt es nicht verstanden hat, das reiche Material, welches ihm zu Gebote stand, gut zu verarbeiten. Es fehlt diesem Werke zwar nicht an interessanten Passagen, aber es ist durchaus mit einer gewissen crmüdenden Schwerfälligkeit geschrieben, weshalb sich auch bis jezt niemand der Mühe unterzog, diese Arbeit ins Deutsche zu übersezen. Einzelne Notizen aus derselben sowie auch aus der leider unvollendeten Selbstbiographie Walter Scotts werden deshalb gewiß vielen Verehrern des Autors als eine Reliquie aus seinem Nachlaß willkommen sein.
Denn ein Einblick in das Leben, in die Schicksale eines großen Geistes gibt uns stets ein besseres und richtigeres Verständnis für seine Werke und ermöglicht eine gerechtere Beurteilung der etwaigen Schattenseiten derselben. Denn wo viel Licht ist, fehlt auch der Schatten nicht.
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W. Scott wurde am 15. August 1771 in Edinburg geboren. Sein Vater war ein allgemein geachteter Advokat, ein Mann von streng puritanischen Sitten. Die Mehrzahl der eng lischen und schottischen Rechtsanwälte steht mit Recht oder Unrecht? in dem Verdachte, auf Kosten ihrer Klienten ihr Glück zu machen; dem Vater Walter Scotts konnte dieser Vorwurf nicht gemacht werden, denn seine Klienten borgten von ihm und brachten ihn oft um große Summen, weil Scott ein durch und durch nobler Karakter war. Diesen edlen Zug, sich für andere aufzuopfern, hat Walter Scott von seinem Vater geerbt. Seine Mutter Anna Rutherford, eine Tochter des berühmten Dr. John Rutherford, Professor der Medizin an der Universität Edinburg , besaß eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Bildung und übte durch ihr sanftes mildes Wesen einen veredelnden Einfluß auf ihren Gatten und ihre Kinder aus; auch sind mehrere Gedichte von ihr vorhanden, welche sich durch Schönheit der Form und Gedankentiefe auszeichnen.
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Die Kindheit Walter Scotts wurde durch jahrelange Krank heit getrübt. Als er 1½ Jahre alt war, erlitt er durch Unvorsichtigkeit seiner Amme eine Verrenkung des rechten Beines, welche ihm viele Schmerzen bereitete und nach vielen peinlichen Kuren dennoch zu lebenslänglichem Hinken zwang. W. Scott ertrug aber dieses Leiden mit großer Geduld und ohne jede Bitterfeit oder Berstimmung. Hierzu trug hauptsächlich die jahrelange, zärtliche Pflege seiner Tante Janet Scott bei, welche sich, da Scotts Mutter durch die Sorge um elf Kinder natür lich sehr in Anspruch genommen war, mit ganz besonderer Aufopferung des franken Knaben annahm. Tagelang saß sie bei ihm und las ihm die alten schottischen Balladen vor, wodurch schon in dem Gemüt des fleinen Walter die Liebe zu seinem herrlichen Vaterlande geweckt und genährt wurde. Er überraschte schon in frühester Kindheit seine Pflegerin durch seine außerordentlich lebhafte Phantasie, sowie durch ein ungewöhnlich scharfes Gedächtnis; die vielen alten Ritterromane, welche man dem kleinen Knaben zur Unterhaltung gab, wurden sicher die Grundlage seiner späteren dichterischen Richtung.
In den Schulen machte er keine besonderen Fortschritte; troz alles Tadels der Lehrer und der Ermahnungen seines Vaters schweifte er am liebsten in der herrlichen Umgebung seiner Vaterstadt herum und zog die Unterhaltung mit Hirten oder Jägern, welche ihm die altschottischen Volkslieder mitteilen mußten, jedem anderen Studium vor. Während er sich seiner Gesundheit wegen in Sandy Knowe, dem Landsize seines Großvaters, aufhalten mußte, wuchs diese Liebe zur Natur immer mehr; der junge Walter bekam eine wahre Manie, alte Ruinen zu durchstöbern und jeden Ort, welcher irgend eine geschichtliche Erinnerung bot, zu durchforschen. Als 15 jähriger Knabe hatte er schon eine Sammlung altschottischer Volkslieder angelegt, welche einen bleibenden Wert hat.
Nachdem sich seine Gesundheit gekräftigt hatte, entschloß sich
Walter Scott , hauptsächlich auf Wunsch seines Vaters, für die juristische Laufbahn. Er selbst hatte keine besondere Vorliebe für den Advokatenstand, welcher in jeder Hinsicht in direktem Widerspruch mit seiner durch und durch poetischen Natur stand. Er studirte, nachdem er einen praktischen Kursus bei seinem Vater durchgemacht hatte, zwei Jahre lang in Edinburg . Schon während dieser Zeit dichtete er heimlich; er übersezte Gedichte von Bürger sowie auch Goethes Göz von Berlichingen in's Englische. Leztere Arbeit erschien 1799 im Druck, fand zwar freundliche Aufnahme, erregte aber durchaus kein Aufsehen. Nachdem Walter Scott ausstudirt hatte, erhielt er, zur großen Freude seines Vaters, durch Vermittlung der ihm befreundeten herzoglichen Familie Buccleugh eine der besten Sekretärstellen bei dem Gerichtshof in Edinburg .
Bis hierher war Walter Scotts Lebensweg, wenn auch in der Kindheit durch Krankheit verdüstert, dennoch verhältnismäßig glatt und ruhig gewesen; doch sollte ein Sturm der Leidenschaft bald diese Ruhe trüben. Walter Scott verliebte sich leidenschaftlich in die schöne, foquette Tochter eines hochmütigen Baronets, welche mit seiner Zuneigung Spiel trieb und sich schließlich mit einem alten reichen Adeligen verheiratete. Allein der Schmerz einer unglücklichen Liebe sowie die herbe Enttäuschung, welche mit diesem Weh verbunden war, gaben Walter Scott die Weihe zum Dichter; von dieser Zeit an beherrschte die Muse sein Herz und inspirirte ihn zu jenen wundervollen Poesien, welche uns noch heute mit Bewundrung erfüllen; freilich erst nach harten, inneren Kämpfen, worunter auch seine Gesundheit zu leiden hatte. Er begab sich deshalb auf Wunsch seines Vaters im Sommer 1797 nach dem Bade Gilsland, um sich dort zu erholen. Hier nun wartete seiner das Glück; er lernte Anna Carpenter kennen, ein junges Mädchen von so bestrickender Schönheit, Anmut und Liebenswürdigkeit, daß der Dichter sich unwiderstehlich zu diesem reichbegabten Wesen hingezogen fühlte. Seine Liebe fand Erwidrung. Miß Carpenter besaß Geist und Bildung genug, um die geniale Begabung Walter Scotts zu würdigen. Schon im Winter 1797 folgte sie ihm als Gattin in sein Landhaus in Laßwade am Est, wo er seinen häuslichen Herd begründete. Kurz vorher war er zum Sheriff ernannt worden.
Nun blühten dem Dichter goldene Tage. Frei von der Sorge um Erwerb, im Besize einer liebenden Gattin, inmitten der schönsten Natur lebend, konnte sein Genius sich zur herrlichsten Blüte entfalten. Im Jahr 1802 gab er eine Sammlung altschottischer Balladen heraus: ,, The Minstrelsy of the Scottish Border "( Die Minnesänger des schottischen Gebirgslands), welche mit Begeisterung begrüßt und von allen literarischen Autoritäten mit Auszeichnung aufgenommen wurde. Diesem Werke folgte 1804,, Sir Tristram", ein Roman in metrischer Form, dann 1805: ,, The Lay of the last Minstrel", ( Lied des lezten Minnesängers(?), dann ,, Postikal Works" ( 5 Bände Balladen und lyrische Gedichte), endlich 1806: ,, Marmion". Die lezte Dichtung erregte allgemeinen Beifall durch die hinreißende Beschreibung der Schlacht von Flodden Field. Den höchsten Beifall jedoch errang Walter Scott durch sein herrliches Gedicht: ,, The Lady of the Lake".( Die Jung frau vom See.) Dessen Schauplaz ist im westlichen Hochland von Perthshire; die wundervollen Naturschilderungen, die Beschreibung des Katrinesees, der Insel 2c. ist wohl das schönste, was W. Scott jemals gedichtet hat.
Bald nach der Veröffentlichung dieses lezten Werkes begab sich der Dichter, auf Einladung einiger Freunde, nach London , wo er mit entusiastischem Beifall aufgenommen und von Hoch und Niedrig bewundert und gefeiert wurde. Alle diese Huldigungen erweckten jedoch bei dem liebenswürdigen Poeten weder Hochmut noch Stolz; seine Zeitgenossen erwähnen rühmlicht, wie bescheiden sein Auftreten und wie liebenswürdig er im per sönlichen Verkehr gewesen sei.
Das Familienleben Walter Scotts war ein heiteres, sorgloses und höchst glückliches. Durch eine ihm unerwartet 3 fallende Erbschaft konnte der Dichter den Lieblingswunsch seiner Gattin erfüllen und ein größeres Landgut laufen. Walter Scott