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seine heutige Gestalt erhielt, wandelte sich unsere Kenntnis des Altertums fast völlig um: die dürre Philologie ward lebendige Kunde jener untergegangenen Welt, und noch täglich vermehren glückliche Ausgrabungen unseren Schaz antifer Lebensbilder. Den Laien in der Pädagogik will es bedünken, als müßte hier, wie beim naturwissenschaftlichen Unterricht, die demonstratio ad oculos Wunder tun, und als ließe sich durch Vorzeigen von Abbildungen den Schülern in wenig Stunden mehr echter Hellenismus einflößen, als durch noch so langes Neden über die Aorista, den Konjunktiv und Optativ, und die Partikel. Im Geschichtsunterricht wünschte ich den oft in unersprieß­liche Einzelheiten der bürgerlichen Geschichte z. B. der römischen Parteikämpfe oder der mittelalterlichen Zänkereien zwischen Kaiser und Papst sich versteigenden Lehrgang reich­licher, als zu geschehen pflegt, mit umfassenden Kulturgemälden durchflochten zu sehen, auf denen die Gestalten wissenschaftlicher, künstlerischer und literarischer Heroen sich abhöben. Die Menge sehr nuzloser Jahrzahlen, welche man die jungen Leute aus­wendig lernen läßt, fällt um so peinlicher auf, wenn man sich erinnert, daß ihnen die wichtigsten Konstanten der Natur, selbst ihrem Dasein nach, unbekannt sein dürfen. Gehört es wirklich mehr zur allgemeinen Bildung, das Jahr eines agrarischen Ge­sezes oder des Regierungsantritts eines salisch- fränkischen Kaisers auswendig zu wissen, als die Verbrennungswärme des Kohlen­stoffs oder das mechanische Wärmeäquivalent?

Die Zeit erlaubt mir nicht, auf die Frage nach dem Gym­nasialunterricht in den neueren Sprachen mich einzulassen. Wich­tiger und schwieriger erscheint mir übrigens die Frage, wie bessere Ausbildung der Gymnasialschüler in der Muttersprache zu erreichen sei. Ich erwähnte schon, daß es meiner Meinung nach dabei um Bekämpfung eines deutschen Nationalfehlers sich handelt; diesen Punkt genauer zu erörtern würde vollends uns hier zu weit führen. Ich sprach bisher immer nur von meinen Wünschen. Allein ich stehe damit nicht allein. Eine große Zahl ansehnlicher Männer jeden Faches weiß ich mit mir in Uebereinstimmung. Unter der Fahne:" Kegelschnitte! Kein grie­

Wahrheit werden. Man erwartet nun vielleicht, daß ich vom Gymnasium auch noch eine große Erweiterung des naturwissen schaftlichen Unterrichts zu fordern im Sinne habe. Aber ich beabsichtige garnicht, aus dem Gymnasium eine naturwissen schaftliche Bildungsanstalt zu machen. Alles, was ich will ist, daß es den Bedürfnissen des fünftigen Arztes, Baumeisters, Offi­ziers so gerecht werde, wie denen des fünftigen Richters, Pre­digers, Lehrers der klassischen Sprachen. Ich wünsche also nur soviel Naturbeschreibung in den unteren Klassen, daß der Sinn für Beobachtung geweckt werde, und daß sich Gelegenheit biete, die Knaben mit der gleichfalls in den Tiefen der Erkenntnis wurzelnden Klassifikationsmetode vertraut zu machen, deren er­ziehende Kraft Cuvier   so eindringlich schildert. Der Darwinis mus, dem ich sonst huldige, bleibe dem Gymnasium fern. In den höheren Klassen wünsche ich aus den in meinem Gutachten angegebenen Gründen nicht etwa Physik und Chemie mit Ver­suchen, sondern Mechanik, die Anfangsgründe der Astronomie, der matematischen und physikalischen Geographie, wofür ohne Echaden eine Stunde mehr als bisher ausgeworfen werden fönnte. Wie aber Zeit gewinnen für diese Neuerungen? In der Prima wären durch Aufhebung des Religionsunterrichtes zwei Stunden einzubringen. Man begreift nicht, was dieser solle in der Klasse, deren protestantische Schüler alle schon ein­gesegnet sind, daher denn auch in dem vorher erwähnten offi­ziösen Lehrplan über eine halbe Seite engen Druckes darauf verwendet ist, das Pensum dieses Unterrichtes zu erläutern, während für das matematische Pensum fünf Zeilen genügten. Wenn man jene halbe Seite und die entsprechende für Ober­Sekunda liest, glaubt man den Lehrplan eines teologischen Se­minars vor sich zu haben. Beim besten Willen bleibt dunkel, wie Lesen der Augustana, woran die Unterscheidungslehren ge­knüpft werden," zur allgemeinen Bildung gehört, welche das Gymnasium seinen Zöglingen mitgeben soll. Mein anderer Vorschlag, um für Matematik und Naturwissenschaft Luft zu schaffen, wird vermutlich noch mehr, wenigstens in noch wei­terem Kreise, anstoßen als der erste. Kaum wag' ich es aus­zusprechen: ich wünsche die formale Beschäftigung mit dem Griechisches Skriptum mehr!" getraue ich mir ein durch die Summe chischen einzuschränken. Meine Begeisterung für die Schön­heiten der griechischen Literatur gibt gewiß der keines deutschen Schulmannes etwas nach. Allein ich täusche mich sehr, oder das, was eigentlich Zweck des griechischen Studiums ist, Kennt nis griechischer Sage, Geschichte und Kunst, Durchdrungenſein mit griechischen Idealen und Ideen, kann auch ohne die un­sägliche und meist für das Leben verlorene Mühe erreicht wer­den, welche es kostet, ein paar griechische Säze auch nur auf das notdürftigste zusammenstümpern zu lernen. Als Goethe Iphigenie   dichtete, Thorwaldsen den Alexanderzug modellirte, fonnten sie sicher nicht ein griechisches Extemporale in Unter­Sekunda eines unserer Gymnasien schreiben. Wenn es einen griechischen Schriftsteller gibt, den fast alle Schüler mit Ver­ständnis, ja Begeisterung lesen, viele auswendig und lieb be­halten, so ist es Vater Homer  . Und doch weicht seine Mund­art von der, in welcher die Extemporalien geschrieben werden, so ab, daß die durch diese gewährte Uebung für ihn so gut wie nicht da ist. Es gelingt also auch ohne schriftliche Erer­zitien, eine tote Sprache soweit zu bewältigen, wie es für das Lesen der Autoren nötig ist, und, wie Homer  , könnten auch die attischen Musterschriftsteller gelesen werden, indem die schrift liche Arbeit dabei auf Vorbereitung und Uebersezung sich be­schränkte. Ich habe schon früher einmal meine fezerische Mei­nung entwickelt, daß zu viel Beschäftigung mit dem Griechischen der deutschen Schreibart nachteilig gewesen sei. Unfraglich ist Latein mit seiner durchsichtigen Klarheit, seiner knappen Be­stimmtheit und sicheren Auslegbarkeit ein besserer Lehrgegen­stand, um daran den Verstand zu üben und den Sinn für die grundlegenden Erfordernisse einer guten Schreibart, Richtigkeit, Schärfe und Kürze des Ausdruckes, zu wecken und zu bilden, als Griechisch mit seinen vielen Formen und Partikeln, deren Bedeutung mehr künstlerisch geahnt als logisch zergliedert werden fann. Seit der Zeit, wo der Gymnasialunterricht wesentlich

der darin vertretenen Intelligenz formidables Gymnasialreform­Meeting zusammenzubringen. Lebhaft freue ich mich, mit meinem Fachgenossen, Herrn Prof. Adolph Fick   in Würzburg  , welcher unlängst Betrachtungen über die Gymnasialbildung" veröffent­lichte, in fast allen wesentlichen Punkten mich zu begegnen. Es wäre vermessen, in so verwickelten Dingen die Zukunft durch­schauen zu wollen. Um aber schließlich den allgemeinen Ge­danken wieder aufzunehmen, welcher auf diese besondere prak­tische Frage führte, so scheint mir in einer Reform des Gym-" nasiums, wie ich sie anzudeuten wagte, immerhin die beste Sicherung zu liegen, welche gegen Ueberflutung unserer geistigen Kultur mit Realismus sich finden läßt. Das verjüngte Gym nasium wieder in Uebereinstimmung mit den Forderungen der Zeit wird dem Kampfe mit dem Realismus erst wahrhaft ge= wachsen sein. Anstatt seine Zöglinge mit klassischen Studien bis zum Ekel zu übersättigen, sie gegen den Zauber des Hel­lenismus abzustumpfen, durch pedantische Formenquälerei sie gegen den Humanismus zu verstimmen und durch die ihnen ge­waltsam eingeprägte Richtung sie mit der umgebenden Welt in Widerspruch zu versezen, wird es ihnen eine nach neueren Be­griffen harmonische Durchbildung gewähren, welche, auf geschicht­licher Grundlage ruhend, auch die modernen Kulturele mente in richtigem Maß in sich aufnahm., Indem das Gymnasium selber dem Realismus innerhalb gewisser Grenzen eine Stätte bereitet, waffnet es sich am besten zum Kampf wider seine Uebergriffe. Indem es ein kleines Stück aufgiebt, verstärkt es das Ganze und erhält so vielleicht ein hohes ihm anvertrautes Gut der Nation: wenn er überhaupt noch zu retten ist, den deutschen Idealismus."

Mit mancherlei von dem, was Dubois- Reymond   in dem hier wiedergegebenen Schlusse seines Vortrages sagt, wird sich jeder vorurteillose Sachkenner einverstanden erklären können.

So mit der überzeugungsvoll betonten Behauptung, daß der