werden wir nun den Lektionsplan einzurichten haben, daß Ihr mehr lernt?"

Ich will mich zeitlebens mit nichts weiter als Kegelschnitten beschäftigen, wenn nicht 90 Prozent aller mit Durchschnitts­verstand ausgestatteten Quartaner antworten:

Das ist doch sehr einfach! Wir pauken eben fünftig statt vier Stunden sechs oder acht Stunden oder noch mehr Mate­matif."

Also inbezug auf diese matematische Frage steht der be­rühmite Gelehrte Herr Dubois- Reymond hinter der Majorität unsrer Quartaner nicht zurück. Sollte er genau dieselbe Frage, auf den Unterricht in unsrer Muttersprache angewendet, wirklich nicht ebenso gut beantworten können, als jeder beliebige Duartaner? Ich meinerseits zweifle an der Fähigkeit des Herrn Pro­fessor gewißlich nicht, mir bleibt nichts andres übrig, als anzunehmen, daß er die Frage nicht beantworten will.

Wie viel Stunden in der Woche wird auf unsern Gymna sien Deutsch gelehrt?

Man höre und denke sich sein Teil: Ganze zwei Stunden!

Zwei Stunden wöchentlich in der untersten Gymnasialklasse, der Sexta, zwei Stunden in der Quinta u. s. f. bis zur ersten Klasse der Prima.

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Im ganzen genießen die Gymnasiasten deutschen Unterricht in dem neun Jahre dauernden Gymnasialfursus nicht mehr als 640 Stunden, während ihnen in 1686 Stunden die Elemente der altgriechischen Sprache eingeprägt werden, also in über tausend Stunden mehr, und während gar 3360 Stunden, also fünfmal soviel als auf die deutsche Sprache!! auf die lateinische Sprache

verwendet werden.

Ob sich angesichts dieser ihm so wohlbekannten Sachlage der Sekretär der königlich preußischen Akademie der Wissenschaften, Herr Dubois- Reymond, wirklich wundern kann, daß unsere Gebildeten" so erbärmlich deutsch   schreiben und von den Klas­sikern so schmachvoll wenig wissen?-

Und wie deutsche Sprache und Literatur betrieben wird! Mir liegt ein ganzer Berg von Jahresberichten deutscher  Gymnasien zur Hand, von denen ich den ersten besten heraus greife, um mit seiner Hülfe zu zeigen, wie auf unseren Gym­nasien deutsch   gelehrt wird.

Im Jahresbericht des Königlichen Friedrichs- Gymnasiums zu Breslau   für 1871-72 ist zu lesen:

Prima. Deutsch 2 Stunden. Philosophische Propädeutif. 1 Stunde. Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. 1 Stunde. Anleitung zunt Verständnis deutscher   Tichter und Prosaiker; Korrektur der deutschen Aufsäze. 1. Stunde.

Secunda. Deutsch 2 Stunden. Besprechen und Memoriren Schillerscher Gedichte. Lektüre der Jungfrau von Orleans. Lehre von den Dichtungsarten, hauptsächlich vom Drama. Vor­träge literarischen und geschichtlichen Inhalts. Monatliche Auf­säze mit vorhergehender Besprechung der Disposition.

Ober- Tertia. Deutsch 2 Stunden. Ausgewählte Balladen von Bürger, Goethe, Schiller  , Uhland wurden erklärt und me morirt. Wöchentliche Deklamationen. Alle drei Wochen ein Aufsaz. Unter- Tertia. Deutsch 2 Stunden. Erklärung prosaischer und poetischer Stücke aus dem Lesebuch von Hopf und Paulsieck; ausgewählte Gedichte wurden memorirt. Wöchentliche Vorträge. Alle drei Wochen ein Aufsaz.

Duarta. Deutsch 2 Stunden. Erklärung prosaischer und poetischer Stücke aus dem Lesebuch von Hopf und Paulsieck. Ausgewählte Gedichte wurden memorirt. Das nötigste aus der Flexionslehre. Alle 14 Tage ein Aufsaz. Uebungen in Orto­graphie und Interpunktion.

Quinta. Deutsch 2 Stunden. Lesen und Erklären, sowie zuweilen schriftliche Wiedergabe von Stücken aus dem Lesebuch von Hopf und Paulsieck I, 2. Regeln und mündliche wie schrift­liche Uebungen in Ortographie und Interpunktion. Ausgewählte Gedichte wurden memorirt.

Sexta. Deutsch 2 Stunden. Lesen und Erklären geeigneter Stücke aus dem Lesebuch von Hopf und Paulsieck I, 1. Gram­

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matische und ortographische Uebungen. Häusliche Arbeiten. Wöchentlich wurden Gedichte memorirt.

Vergleichen wir zunächst damit einmal die den Unterricht in der deutschen Sprache auf höheren Lehranstalten Frankreichs  angehende Notiz, welche jüngst durch eine Reihe deutscher   Zei­tungen ging.

Dieselbe lautete:

Die deutsche Sprache wird überall in den höheren Schulen Frankreichs   mit der englischen zur Wahl gestellt, hat gleiche Stundenzahl wie diese und wird zu gleicher Zeit mit deren Lektion gelehrt. Für besonders strebsame Schüler ist noch außer der Schulzeit ein besonders zu bezahlender Unterricht im Deutschen  respektive Englischen eingerichtet. Der Lehrplan erstreckt sich auf 10 Jahre. I.( Erste) Vorschule und untere Klassen: Kinder­bücher. Leichte Sprechübungen nach Bildertafeln. Deutsche  ( dem Franzosen durchaus ungewohnte) Betonung. Nichts schriftlich. Serta, Quinta, Duarta( das zitirte Blatt wählt die deutschen  Bezeichnungen): Formenlehre. Leichte Lesestücke. II. Mittlere und obere Klassen. A. Grammatif. Untertertia und Obertertia: Das Wesentliche der Syntax. Untersekunda: Wortbildung und Prosodie. Obersekunda: Sprachliche Eigentümlichkeiten. Fort­sezung der Prosodie. Unterprima: Repetition der gesammten Grammatik. Oberprima: Keine besondere Grammatifstunde mehr. B. Lektüre. Als Kanon steht zur Auswahl: Duarta: Campes Robinson, Haiders Palmenblätter, Musäus  , ausgewählte Mär­chen. Untertertia: Niebuhrs griechische Heldengeschichte, Märchen von Grimm   und von Andersen. Obertertia: Lessings Fabeln, ein Lustspiel von Benedig nach Belieben, Kozebues Deutsche  Kleinstädter und Bürger und Bauer, Lessings Minna von Barn­holm. Untersekunda: Goethes Kampagne in Frankreich, Chanrissos Peter Schlemihl, Auerbachs Schwarzwälder Dorfgeschichten, Schillers Wilhelm Tell und Maria Stuart  . Obersekunda: Goethe Göß   von Berlichingen, Italienische Reise, Hermann und Doro­ thea  , Schillers Wallenstein  , Gedichte, Aufstand der Niederlande  , Hauffs Lichtenstein. Unterprima: Lessings hamburgische Drama­turgie, Goethes Tasso  , Iphigenic, Gedichte. Schillers Braut von Messina   und Dreißigjähriger Krieg. Oberprima: Goethes Faust  , I. Teil( mit Auswahl), Lessings Laofoon mit Auswahl, Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe( mit Auswahl), Herders  Ideen zur Philosophie und Geschichte der Menschheit, Schillers ästhetische Werke."

Ich habe wohl nicht nötig, dieser Konfrontation des Pro­gramms, nach welchem im deutschem Gymnasium deutsche Sprache und Literatur getrieben wird, mit dem des deutschen Unterrichts auf den französischen   Anstalten gleichen Ranges auch nur ein einziges Wort hinzuzufügen, um zu beweisen, daß ein nach der angegebenen Metode mit der Kenntnis unsrer Muttersprache aus­gerüsteter Franzose zweifellos zehnmal soviel vom Besten, was unsre Literatur aufzuweisen hat, fennt und zweifellos besseres Deutsch zu schreiben imstande sein wird, als die meisten unsrer deutschen Gymnasiasten zur Zeit ihres lleberganges auf die Universität.

Aus dem französischen   Lehrplan weht uns der Hauch des feinsinnigsten Gefühls und des treffendsten Verständnisses für das Edle und Erhabene in unsrer Literatur entgegen, während die Zusammenstellung der deutschen Pensen in den Klassen des deutschen Gymnasiums einen fast beklemmenden Eindruck von Dede und Gleichgültigkeit macht.

Der lateinische Unterricht macht die deutschen Gymnasiasten schon in Quarta, der griechische in Tertia mit ganzen Werken alter Schriftsteller vertraut. Im deutschen Unterrichte dagegen beschränkt man sich auf das Stück- und Flickwerk der Lesebücher und beginnt bestenfalls in Sekunda   ein oder zwei deutsche   Dramen zu lesen.

Und wie trostlos sieht es mit dem Unterrichte in deutscher  Literaturgeschichte auf unsren Gymnasien aus!

Erst in Prima, also bestenfalls während 160 Unterrichts­stunden hören die Gymnasialschüler Deutschlands   Bruchstücke davon; bestenfalls können ihnen dürftige Abrisse der Gesammt­geschichte unsrer an Umfang und Gehalt die lateinische und grie chische doch weit überragenden Literatur gegeben werden,

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