Nachfrage nach Baumwollenwaaren wuchs dem entsprechend. Wenn bisher der Landmann meistens noch seine Kleidungsstoffe aus der Wolle, die er selbst geschoren und aus dem Flachse, den er selbst gebaut, gefertigt hatte, so wurde derselbe jezt durch die Billigkeit der Fabrikstoffe veranlaßt, seinen Bedarf zu kaufen. Die billige Herstellung der Baumwollenwaaren ermöglichte der englischen Industrie eine siegreiche Konkurrenz mit ihren Rivalen in allen überseeischen Ländern, sie sezte sich fest und beherrschte bald alle unbeschüzten Märkte in fremden Weltteilen, was alles die englische Baumwollenindustrie zu einer blühenden machen mußte. Der Hauptgrund aber, der das Bedürfnis nach Baum­wollenwaaren schuf und so ein enormes Wachstum der genannten Industrie herbeiführte, lag in der allgemeinen Entwicklung der Industrie, nämlich in der mit dieser Industrie Hand in Hand gehenden Vermehrung des Arbeiterstandes und des dadurch her­beigeführten vergrößerten Konsums billiger Zeuge. Die billigen Zeuge aber im Gegensaz zu leinenen und wollenen Stoffen licferte wiederum die Baumwollenindustrie.

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Die Licht und Schattenseiten der Baumwollenindustrie sind für die moderne Großindustrie typisch, und es bedarf wohl kaum noch der Ausführung, in welcher Weise diese Industrie auf die in ihr beschäftigten Arbeiter einwirkte. War vor Einführung der Maschinen der Baumwollenarbeiter insoweit sein eigener Herr, als er seine Arbeitszeit und seine Erholungszeit ein­richten konnte, wie er wollte, so wurde er jezt der Knecht der Maschine, die er bedienen mußte. Zur festgesezten Zeit mußte er in der Fabrik sein, zur festgesezten Zeit erst wieder durfte er gehen. Hatte er früher mit Leichtigkeit seinen Erwerb ge­funden, so war er jezt den Lohnschwankungen ausgesezt, welche die neue Produktionsweise mit ihren Krisen hervorrief und welche die frühere Sicherheit des Erwerbs für die Arbeiterklasse zer­störte. Eine rasche Vermehrung des Proletariats hielt gleichen Schritt mit der Entwicklung der Industrie, und speziell mit der Entwicklung der Baumwollenindustrie.

Und in welchem Maße sich diese entwickelte, zeigen folgende Zahlen: Während in den Jahren 1771-75 im Durchschnitt jährlich weniger als 5 millionen Pfund roher Baumwolle in England importirt wurden, war die Einfuhr im Jahre 1841 schon auf 528 millionen Pfund gestiegen. 1834 exportirte England 556 millionen Yards( Längenmaß von 914 Milli­meter) gewebter Baumwollenstoffe, 762 millionen Pfund Baumwollengarn und für 1 200 000 Pf. St. baumwollene Strumpfwaaren. Im selben Jahre arbeiteten nahezu 9 mil lionen Spindeln an der Verarbeitung des Rohstoffes. Nach Max Cullochs Berechnungen lebten damals direkt oder indirekt beinahe millionen Menschen in Großbritannien von diesem Industriezweige, und über den Einfluß, den derselbe auf die Grafschaft Lancashire , ihrem Hauptsize, ausübte, berichtete ein Schriftsteller im Jahre 1844:" Sie die Baumwollenindu­ſtrie hat diese Grafschaft durch und durch revolutionirt, aus einem obsturen, schlecht bebauten Sumpf in eine belebte, arbeit­same Gegend umgeschaffen, ihre Bevölkerung in 80 Jahren verzehnfacht und Riesenstädte-- wie mit einem Zauber­wie mit einem Zauber­schlage aus dem Boden wachsen lassen. Die Geschichte von Südlancashire weiß von den größten Wundern der neuesten Zeit, und doch spricht kein Mensch von ihr, und alle diese Wunder hat die Baumwollenindustrie zuwege gebracht."

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Das war im Jahre 1844! Und heute? Statt der 8-10 millionen Spindeln, die im Jahre 1834 auf Großbrittanien kamen und die im Jahre 1849 schon auf über 20 millionen vermehrt waren, kamen 1880 bereits über 40 millionen. Von 600 millionen Pfund Rohstoff im Jahre 1844 war die Ein­fuhr im Jahre 1878 gestiegen auf 1 milliarde und 200 mil­lionen Pfund, wovon England allein 87 Prozent selbst kon­sumirt. Die auf die Herstellung von Baumwollenwaaren in England verwandte Maschinenarbeit ist eine so ungeheure, daß,

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wäre man bei dem alten Arbeitsprozeß von 1770 stehen ge­blieben, jezt nahezu 100 millionen Arbeiter nötig sein würden, um dem Bedarf zu entsprechen. Zu Ende der 50er Jahre schon berechnete man, daß aus dem Quantum Baumwolle, das alljährlich nach England gebracht wird, eine Pyramide gebaut werden könnte, größer als die des Cheops , und daß daraus Garn von 8572 Meilen Länge verfertigt wird.

Wenn man auch nicht sagen kann, daß die außerordentliche Veränderung, welche seit Ende des vorigen Jahrhunderts in England vor sich gegangen ist, ausschließlich auf Rechnung der Baumwollenindustrie kommt, sondern diese Veränderung der Entwicklung der Industrie überhaupt zuzuschreiben ist, so läßt sich doch nicht leugnen, daß sie den größten Teil dazu beitrug, England zu dem zu machen, was es heute ist: das industriellste Land der Erde, mit einer Hauptstadt von 4 millionen und mit 3 Millionen Menschen, die allein von der Textilbranche ab­hängig sind.

Die Vereinigten Staaten sind das Land, aus welchem Eng­land den größten und besten Teil seines Bedarfs an Roh­baumwolle beziehen muß.

Hier war die erste Baumwolle etwa Mitte des vorigen Jahrhunderts aus Samen, welcher von der westindischen Insel Auguilla geholt war, gezogen worden. Lange hatte es indes gedauert, ehe man nennenswerte Resultate erzielte, und noch im Jahre 1790 wurden im Ganzen nur 81 Ballen aus den Vereinigten Staaten ausgeführt, und der Wert der Gesammt ausfuhr dieses Materials betrug in den Jahren 1790 und 1791 faum 5000 Dollars. Erst durch die große Nachfrage nach Rohstoff, verursacht, wie wir gesehen haben, durch die Entwick lung der Maschinerie und der englischen Industrie überhaupt, wurde die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Bau der Baum­wollenstaude gelenkt.

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Bis zum Jahre 1793 war das Entsamen der Baumwolle, die Trennung der Faser von dem Samen, an welchem sie hängt, durch Handarbeit geschehen. In diesem Jahre erfand ein Ar beiter in Massachusetts , Whitney, die Cottongin, eine Maschine, welche das Entkörnen besorgt. Einer andern Lesart zufolge soll diese Maschine nur eine Nachbildung eines Instrumentes sein, welches seit langem in Indien demselben Zwecke dient. Während nun früher bei der Entkörnung mit der Hand nur etwa ein Pfund ordinärer Wolle an welcher der Samen fester haftet des Tages durch eine Person gereinigt werden konnte, werden in derselben Zeit mit der Maschine etwa 100 Pfund Faser vom Samen getrennt. Von hier an datirt der großartige Aufschwung der amerikanischen Baumwollenkultur. Bis dahin waren die Herstellungskosten der Baumwolle so groß gewesen, daß nur wenige Ballen geringerer Sorte ausgeführt wurden. Während im Jahre 1793 die Ausfuhr 187 000 Pfund - meist langfaserige, sog. Sea Island , bei welcher der Same nicht so fest haftet, die aber nur nahe der See gebaut werden fann betrug, belief sich im Jahre 1794, also nur 1 Jahr nach Aufkommen der Cottongin, der Export auf 1 601 761, und schon 1795 auf 6 276 300 Pfund. Heute ist die Cot­tongin bereits durch weitere technische Verbesserungen überholt. In Indien verwendet man zur Trennung der Faser vom Samen ein halb maschinenartiges Instrument, die Churka, womit ein Mann und eine Frau täglich 28 Pfund reinigen. Mit der von einem Dr. Forbes erfundenen Churka produzirt nach dem bereits genannten Gelehrten ein Mann und ein Junge täglich 250 Pfund. Wo Ochsen, Dampf oder Wasser als Triebkraft gebraucht werden, sind nur wenige Jungen und Mädchen als Bulanger des Materials für die Maschinen nötig. dieser Maschinen, mit Ochsen getrieben, verrichten täglich das frühere Durchschnittstagewerk von 750 Leuten.

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( Schluß folgt.)

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