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zeigte er dem Chan Achmat eine ganz andere Haltung. In der kasanschen Kronik heißt es, der Großfürst Jwan III. habe das ihm in Moskwa vom tartarischen Gesandten übergebene Bild des Chans zerbrochen und mit Füßen getreten, auch die tartarischen Gesandten bis auf einen töten lassen und dadurch den Krieg mit Achmat veranlaßt, welcher 1480 ausbrach. Diese Szene hat sich unser Bild zum Vorwurf genommen und mit drastischer Lebendigkeit dargestellt. Wir sehen die Statuette des Chans am Boden liegen, während Iwan sich zornig erhoben hat und sich den Gesandten als derjenige zeigt, wozu ihn seine Zeitgenossen ge= stempelt haben, als der Furchtbare, den die Geschichtsschreiber folgendermaßen schildern:„ Bor seinem Geist und Willen zitterte das ganze Haus und Volk; schüchterne Frauen sollen vor seinem zornigen Blick in Ohnmacht gesunken sein, selten oder nie soll ein Bittsteller sich seinem Tron zu nahen gewagt und keiner der Großen an der fürstlichen Tafel sich erkühnt haben, ein Wort dem andern zuzuflüstern oder seinen Plaz zu verlassen, wenn zufällig der Herrscher, überladen von Speise und Trank, in Schlaf verfiel und ganze Stunden lang schlummerte." Im Sommer 1480 rückte Achmat langsam mit einem ungeheuren Heere gegen Ruß land an die Ugra vor, begleitet von seinen sechs Söhnen und vielen Mursen( Fürsten ). Die russischen Truppen nahmen einen Raum von zehn deutschen Meilen ein und schlugen am 3. Oktober den feindlichen Vortrab, der über die Ugra sezen wollte, zurück. Am 8. Oktober zeigte sich die ganze Hauptmacht der Tartaren an diesem Fluß. Man focht aber nur aus der Ferne, die Tartaren mit Pfeilen, die Russen mit Feuergewehr und Pfeilen. Drei Tage lang wiederholte sich der Kampf, feiner wich und alles blieb unentschieden. Als endlich die starken Fröste eintraten und der Fluß mit Eis bedeckt wurde, die Russen aber den Uebergang der Tartaren fürchteten, befahl der Großfürst seinen Truppen, sich in die Ebenen von Borowsk und Kremenez zurückzuziehen, weil diese ihm zu einer Schlacht geeigneter als die Ufer der Ugra schienen. Im Grunde mochte es Kleinmut gewesen sein, der ihm diesen Befehl eingab; denn auf der größeren Ebene konnte ja das zahlreiche berittene tartarische Heer sich weit besser ausbreiten, als an der Ugra und der Feind hätte hier den Vorteil des Terrains gehabt. Das scheinen auch die russischen Truppen eingesehen zu haben, denn Furcht ergriff sie und statt eines regelmäßigen Rückzugs nahmen alle eine schmähliche Flucht. Als am anderen Morgen die Tartaren die Ufer der Ugra von den Russen verlassen sahen, fürchteten sie eine List und einen Hinterhalt und flohen ebenfalls über Hals und Kopf. Da sah man nun eines der seltensten Ereignisse in der Geschichte, daß zwei große Heere vor einander flohen, ohne recht zu wissen warum. Achmat zog sich bald darauf in seine Steppen zurück, wo seine Gegenwart sehr notwendig geworden war. Denn während er mit seinen Truppen an die Ugra zog, war ein russisches Heer auf Jwans Befehl in die von Verteidigern entblößte Horde eingefallen. Diese kluge Maßregel hatte ihre Wirkung nicht verfehlt, denn sie zogen Achmat von Rußland zur Verteidigung seiner eigenen Horde ab. Allein er kam zu spät, er fand die Russen nicht mehr, denn diese waren mit schwerer Beute beladen schon wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. In demselben Jahre noch wurde Achmat schlafend in jeinem eigenen Zelt von einem anderen Feind getötet. Die goldene oder kaptschakische Horde aber ward nun zerstreut und Rußland von ihren schmachvollen Fesseln befreit. Achmats Söhne und Nachfolger wagten nicht mehr, ihr Haupt gegen Rußland zu erheben, und Sarai, der Siz der goldenen Horde, sant in Asche und ward verwüstet. Ihre Ruinen stehen noch heute trauernd da und mahnen an ihre einstige Größe.
Bettelmönche.( Illustration Seite 40 und 41.) Warum sie wohl nicht durch die Türe eintreten, um die Küche in majorem dei gloriam zu brandschazen? Schüchternheit ist es gewiß nicht, denn Schüchternheit steht nicht im Lexikon eines Mönchs und am wenigsten eines Bettelmönchs. Doch die Gottesmänner wissen warum, sie wollen dem reichen Hausbesizer keine Gelegenheit geben, sich an ihren gejalbten Leibern zu versündigen und sie auf unsanfte Weise die Treppe hinab zu befördern, womit er sie im Wiederbetretungsfalle bedroht hat. Früher, ja, da war ihnen dieses Haus ein Eldorado, mit dem besten, was Küche und Keller beut, wurden jedesmal ihre Körbe gefüllt, denn die Frau des Hauses, eine zarte, schmachtende Dame und gutgläubige Katolikin, ließ die Diener des Herrn niemals anders als reich beladen von dannen ziehen, gewiß, sih damit der Huld der heiligen Jungfrau zu versichern. Die Mönche ihrerseits ließen es an Dankbarkeit nicht fehlen. In alle interne Fragen ließen sie sich einweihen, die intimsten Angelegenheiten wußten sie auszuspioniren, um ihren geistlichen Rat zu spenden und das Haus vor Satan und seinen Fallstricken zu bewahren. Der Hausherr hatte sie
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lange gewähren lassen, er gönnte seiner Frau das fromme Spielzeug; manche Ehemänner haben es ja gern, wenn ihre Weiber ein bischen gläubig sind und ihre physischen Unpäßlichkeiten mit Medikamenten aus der Apoteke der Kirche zu heilen suchen, anstatt ihre Männer, die für weibliche Seelenleiden wenig Verständnis haben, damit zu quälen. Als es aber einmal die Kuttenträger mit der Geistlichenratspendung ein bischen zu bunt getrieben hatten, da rissen dem Hausherrn, alle Knöpfe an der Hose der Geduld" und er wies ihnen die Zähne. Das war beim leztmaligen Terminiren( so bezeichneten die Klöster das Einsammeln milder Gaben); und als sie diesmal an dem Hause vorüberkamen, da standen sie da und schauten es wehmütig an, wie Adam und Eva, als sie wegen politischer Verdächtigkeit aus dem Paradies ausgewiesen waren. Da horen sie von oben eine jüße Silberstimme. Sie sehen hinauf und erblicken die schmucke Köchin, die ihnen schelmisch zuruft, wenn sie heraufkommen, so erhalten sie ein Häslein und eine Ente. Wie da den Patern der Mund wässert! Aber was tun? Sollen sie in das Haus kommen wie Falstaff aus dem Hause der Frau Ford, in Weiberkleidern? Das geht aus verschiedenen Gründen nicht Indes die Intelligenz ist zwar nicht ihre stärkste Seite und ihr Geist steht zu ihren Bäuchen im umgekehrten Verhältnis, aber der Herr verläßt die Seinen nicht und der heilige Geist gibt ihnen einen Gedanken ein. Vielleicht aber war es nicht der heilige Geist, sondern der Scharfsinn des Wagens; denn nicht die Liebe allein, sondern auch der Appetit macht erfinderisch. Item, sie machen es wie der Blinde und der Lahme in der Fabel und bilden mit der Köchin die köstliche Gruppe, welche unser Bild vorführt. Uns bangt nur davor, wie der kühne Steiger mit seinem Korb wieder auf ebene Erde gelangen wird. Er wird einen verzweifelten Saltomortale von dem Rücken seines Kollegen machen müssen. St.
Der bleibt ein Taugenichts.( Illustration Seite 49.) Was hast verbrochen, kleiner Schelm, daß dir der würdige Schulmeister ein so ungünstiges Prognostikon stellt? Hast du die unregelmäßigen Berba zum wiederholtenmal nicht gelernt, hast du die unverzeihliche Sünde begangen, ut mit dem Indikativ zu konstruiren; oder die noch unverzeihlichere, das Datum der Schlacht bei Sedan mit dem der Schlacht bei Wörth zu verwechseln? Oder hast du gar Schabernack getrieben, Maikäfer in der Schule fliegen lassen, dem Magister hinterrücks Männchen gemacht oder seine ehrwürdige Hose mit Pech an der Katederbank festgehalten? Was es auch gewesen sein mag, es wird dir diesmal nicht geschenkt bleiben. Auf des Vaters Antliz ist ein böses Gewitter im Anzug und seine in die Seite gestemmten Arme weissagen nichts Gutes. ,, Torheit ist geknüpft an das Herz des Knaben, der Stock wird sie entfernen." Wie er da steht, der Delinquent, eine Mischung von Schuldbewußtsein, Troz und Furcht, den besonders bedrohten Körperteil dicht an den Pfosten pressend. Sei getrost, erregter Vater, dein Sohn wird fein Taugenichts werden, wie der pedantische Schwarz feher prophezeit. Wenn du im Verein mit dem Schulmeister alles Feuer, allen Ueberschuß an Kraft aus ihm hinausgeprügelt haben wirst, wird das wilde Füllen ein zahmes Roß, eine gejezte, fromme Mähre werden, ein sehr gutgesinnter Philister und brauchbarer Staatsbürger, und er wird vielleicht einmal den roten Adlerorden vierter Klasse im Knopfloch tragen und Vorstand eines konservativen Vereins sein und der Wiedereinführung der Prügelstrafe das Wort reden, die sich einst an ihm selbst so vortrefflich bewährt hat.
Aus allen Winkeln der Zeitliteratur.
St.
Militär und Adel in China . Einige Kapitel feines nächstens er= scheinenden neuen Buches widmet Prschewalsky dem chinesischen Militär. Er fällt ein äußerst ungünstiges Urteil über dasselbe. Der chinesische Soldat ist seiner Ansicht nach sehr verweichlicht und zeigt mehr Neigung zum Opiumrauchen als zu friegerischen Uebungen und Tugenden. Mit der Schußwaffe geht er schlecht um, die Offiziere sollen meist garnicht zu schießen verstehen. Diebstahl und Bestechlichkeit blühen, zumal da die Vorgesezten ein schlechtes Beispiel geben. Man hat sich oft über die Titel gewundert, welche den Chinesen nach ihrer Ankunft zumteil in Europa beigelegt wurden und das Prädikat Marquis", welches man seiner Exzellenz Tsang Hu- Yeh gab, hat sogar eine englische Zeitung dazu gebraucht, einige mehr schöne als sachgemäße Betrachtungen über die Eitelkeit der Welt zu veröffentlichen. Dem tritt der North China Daily News entgegen, indem er darauf aufmerksam macht, daß seit dem die Fremden mit den Chinesen in Berührung gekommen sind; die Titel Kung, Hu, Poh, Tiz ziemlich zweckmäßig durch Herzog, Marquis, Graf, Burggraf und Baron wiedergegeben worden sind.
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Inhalt: Am Nordpol . Nach dem Englischen von P. Olliverio.( Fortsezung.) Die russischen Juden in den Gegenden der schlimmsten Judenhezen und die jüdischen Ackerbaukolonien. Von C. Lübeck.( Fortsezung.) Fellahweib. Serena. Eine venetianische Novelle von Max Vogler.( Fortsezung.) Walter Scott . Sein Leben und seine Werke. Von George Winter. Unsere höhere Jugendbildung. Nach dem Vortrag Dubois- Reymonds über„ Kulturgeschichte und Naturwissenschaft" und wider ihn. Von Bruno Geiser.( Schluß.)- Die Baumwollenindustrie und ihre Bedeutung. Kulturgeschichtliche Skizze von H. Schlüter. Ehrenrettung des Esels. Von Dr. Wilhelm Leucht. Jwan III. und die Boten von Han Achmat.( Mit Jllustration.) Bettelmönche.( Mit Illustration.) Der bleibt ein Tangenichts.( Mit Illuitration.)- Aus allen Winkeln der Zeitliteratur: Militär und Adel in China . Allgemeinwissenschaftliche Auskunft.- Aerztlicher Ratgeber.- Redaktions- Korrespondenz. Mannichfaltiges.- Gemeinnüziges.
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Verantwortlicher Redakteur Bruno Geiser in Stuttgart . Redaktion: Neue Weinsteige 23. Druck und Verlag von J. H. W. Dieß in Stuttgart .
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