Geisterhaft wandelte sie wieder zurück über den Rasen. Frau Crayford erhob sich und legte das Buch beiseite, in welchem sie gelcsen hatte. Es war eine Beschreibung früherer Nordpolerpeditionen.

Die Zeit war vorüber, in der die zwei verlassenen Frauen an Dingen Interesse nehmen konnten, die nicht mit ihren eigenen Sorgen Zusammenhang hatten. Jezt, wo die lezte Hoff­nung sie bald verließ, jezt, wo ihre lezten Nachrichten über den Wanderer" und die Seemöve" älter als zwei Jahre waren, jezt fonnten sie von nichts weiter lesen, an nichts weiter denken als an Gefahren und Entdeckungen, Verluste und Ret­tungen in dem entsezlichen Eismeer.

Widerstrebend legte Frau Crayford das Buch beiseite und öffnete das Klavier. Eine Sonate Mozarts mit Variationen lag aufgeschlagen auf dem Instrument. Sie spielte eine der lieb­lichen, so einfachen, klaren, herrlichen Melodien jenes anspruch losen, unvergleichlichen Werkes nach der anderen. Nachdem sie die neunte Variation, die Clara vor allem liebte, beendet hatte, hielt sie inne, und rief zum Garten gewendet:

Soll ich nun aufhören?"

Keine Antwort. War Clara soweit fortgegangen, daß sie die Musik, die sie so gern hörte, die Musik, die so völlig mit der milden Herrlichkeit der Nacht harmonirte, nicht hören konnte? Frau Crayford stand auf und trat ans Fenster.

Nein, dort stand die weiße Gestalt am Abhange des Rasens, das Gesicht dem Hause abgewandt, der ruhigen See zu, deren leise rauschendes Wasser an dem matten Streif am Horizonte, der Küste Hampshire's endigte.

Clara!" rief Frau Crayford nochmals.

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Wardour nicht. So lange dich deine Füße tragen, halte dich mit aller Kraft aufrecht."

Dieselben warnenden Worte, welche Crayford seinem jungen Freunde zum Abschied nachgerufen hatte.

Es folgte ein Augenblick des Schweigens, und in dem Augenblick wechselte die Vision. Sie sah ihn jezt auf dem Eisberge, auf Gnade und Ungnade seinem bittersten Feinde auf der Welt in die Hände gegeben. Sie sah ihn in dem asch­farbenen Lichte über das schwarze Wasser dahintreiben.

, Wache auf, Franz! Wache auf und verteidige dich! Richard Wardour weiß, daß ich dich liebe Richard Wardour wird sich an deinem Leben rächen! Wache auf, Franz! Wache auf! Du treibst deinem Tode entgegen!" Ein leiser Schrei des Ent­sezens rang sich unheimlich, entsezlich mit anzuhören, von ihren Lippen. Lippen. Dem Tode, dem Tode entgegen!" flüsterte sie noch einmal.

"

Die gläsernen Augen wurden plözlich sanft, dann schlossen sie sich. Ein Schauer durchrieselte ihren ganzen Körper, die Totenblässe ihres Antlizes wich einen Moment einem schwachen Rot, welches sogleich wieder verschwand, die Glieder versagten ihr den Dienst, sie sant Frau Crayford in die Arme.

Dem Hülferuf folgend, trugen sie die Dienstleute ins Haus. Ohnmächtig legten sie sie auf das Bett. Nach einer halben Stunde öffneten sich die Augen wieder weit und blieben dies­mal mit Bewußtsein, schwermütig auf der an ihrem Bett sizenden Freundin ruhen.

" Ich hatte einen entsezlichen Traum," sagte sie schwach; ,, bin ich frank, Lucie? Ich fühle mich so elend."

Noch während sie sprach, verfiel sie in einen sanften, natür­

Wieder keine Antwort. Die weiße Gestalt blieb regungslos lichen Schlaf, wie oft fleine Kinder, wenn sie des Spielens stehen. müde sind.

Mit bekümmerter Miene, aber keinem Anschein von Schreck fehrte Frau Crayford ins Zimmer zurück. Ihre traurige Er­fahrung sagte ihr, was geschehen war. Sie rief die Dienstleute herbei und befahl ihnen, im Wohnzimmer zu warten, bis sie nach ihnen rufen würde. Darauf kehrte sie in den Garten zurück und trat zu der geheimnisvollen Gestalt auf dem Rasen.

Tot für die Außenwelt, als ob sie schon im Grabe läge, unfähig sich zu rühren, unfähig zu hören, regungslos, kalt wie Stein ſtand Clara auf dem mondbeschienenen Rasen und starrte hinaus auf das Meer. Frau Crayford wartete ruhig auf die Veränderung, die, wie sie wußte, fommen mußte.

Sie kam. Die Augen blieben unverändert: weit offen, starr, gläsern. Das erste Lebenszeichen war eine Bewegung ihrer Hände. Sie hoben sich langsam und griffen in der Luft herum, wie jemand, der im finstern tappt. Nach einer Weile trat auch Leben in ihre Lippen; sie öffneten sich und zitterten. Noch wenige Minuten, und Worte kamen eins nach dem anderen von den geöffneten Lippen in verlorenem, geistesabwesenden Tone, als ob sie im Schlafe spräche. Frau Crayford lauschte gespannt. Schneller und schneller tönte cs:

Obgleich nun alles vorüber und weitere Pflege nicht nötig war, wich Frau Crayford, die zu besorgt und aufgeregt war, um selbst der Ruhe zu pflegen, nicht von Clara's Bett.

Anderemale hatte sie den Worten, welche Clara in ihrem magnetischen Schlaf sprach, nie Bedeutung beigelegt. Heute aber war sie nicht fähig. sie zu vergessen. Die Worte tönten ihr wieder und immer wieder in den Ohren. Vergeblich rief sie sich alles zurück, was ihr die Aerzte inbetreff dessen, was Clara in ihrem krankhaften Zustande spräche, gesagt hatten: Was sie für den Mann fürchtet, den sie liebt, vermischt sich mit dem, was sie fortwährend liest, Beschwerden, Gefahren, Unfälle auf dem Eismeer. Die erstaunlichsten Dinge, die sie reden oder tun mag, sind einzig und allein dieser Ursache zu­zuschreiben und sind nur auf diese Weise zu erklären." sprachen die Aerzte und bis heute hatte Frau Crayford ihre Ansicht geteilt. Diese Nacht nur glaubte sie des Mädchens Worte immer wieder mit dem prophetischen Tone zu hören; diese Nacht nur fragte sie sich: Ist Clara's Geist wirklich an­wesend bei unseren Teuren, Verlorenen in dem einsamen Norden? Können die Visionen Sterblicher Tote und Lebende in der Ein­

" Franz! Franz! Franz! Bleibe nicht zurück, trauc Richard samkeit des Eismeeres sehen?"

So

( Forts. folgt.)

Ueber die Ursachen der französischen Revolution.

Von E. Fehleifen.

Aber die Hungersnot war permanent. Wie sollte man's auch anfangen mit den Duzenden von Domkapiteln, Abteien, Priorcien, Mönchs- und Nonnenklöstern in einem einzigen Kirch­sprengel und mit so und so viel Herrschaften, um Bohnen, Erbsen und Linsen genug für den Winter einzuheimsen? Man baute noch keine Kartoffeln und die Aermsten hatten nichts als Hülsen früchte. Neben dem in der Frohu notwendigen Pflügen, Säen, Jäten, Mähen, Heuen, Einführen und im Weinland noch dem Lesen, was könnte man neben dieser Masse von Zwangsarbeiten

wo die beste Zeit mit den Ernten für den gnädigen Herrn

( Schluß.)

oder die Abtei verging was könnte man für sich und seine Kinder tun? Nichts! Deshals zogen auch, wenn's dem Winter zuging und das Geschäft aufhörte, drei Viertel der Bewohner eines Dorfes auf den Bettel.

Von Zeit zu Zeit schritt man gegen diese Unglücklichen in sehr harter Weise ein. Im Jahr 1767 wollte der Herzog von Choiseul , Minister Ludwigs XV., mit einem Schlage den Bettel in ganz Frankreich ausrotten. Die Gensdarmerie erhielt Befehl, alle Bettler aufzugreifen und die gesunden auf die Galeeren zu schicken. Zur Aufnahme der andern eröffnete man mehr als