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Finanzgegenständen handle, so muß man sich nur über die Geduld ohnegleichen wundern, die das also geknebelte Volk be­wiesen hat. Es ist ein bemerkenswerter Umstand, daß die revo­lutionäre Literatur, welche zulezt alle Institutionen Frankreichs umstürzte, zuerst mehr gegen die religiöse, als gegen die poli­tische Klasse gerichtet war. Vor der Mitte des 18. Jahr­hunderts trat fein bedeutender Schriftsteller gegen den welt­lichen Despotismus auf, dagegen wendeten sie sich mit einer wahren Wut gegen die Kirche, gegen ihre Diener, ihre Hierarchie, ihre Einrichtungen und Glaubenssäze, und suchten, um diese um so sicherer zu stürzen, selbst die Grundlage des Christentums zu zertrümmern. Aber nicht als religiöse Lehre, sondern viel mehr als politisches Institut hatte das Christentum diesen Haß entzündet, nicht weil die Priester sich anmaßten, die Dinge der andern Welt zu reguliren, sondern weil sie Grundeigentümer, Lehnsherren, Zehntherren, Administratoren in dieser Welt waren; nicht weil die Kirche in der neuen Gesellschaft, die man grün­den wollte, keine Stelle finden konnte, sondern weil sie damals die am meisten bevorrechtete und festeste Stelle in der Gesell­schaft einnahm. Die fortschreitende Zeit hat dies klar bewiesen: Während das politische Werk der Revolution sich befestigt hat, ist ihr irreligiöses Werk zu Grunde gegangen; während die alten politischen Einrichtungen, die sie angegriffen hatte, ver­nichtet, während die Gewalten, die Einflüsse, die Klassen, die besonders verhaßt waren, auf immer besiegt worden sind und, als leztes Zeichen ihrer Niederlage, selbst der Haß, den sie einflößten, sich abgekühlt hat; während endlich die Geistlichkeit sich mehr und mehr von allem geschieden hat, was mit ihr ge­fallen war, sah man allmälich die Macht der Kirche sich in den Gemütern wieder erheben und aufs neue sich darin befestigen.

Und dies Schauspiel sehen wir nicht blos in Frankreich ; es gibt faum irgend eine christliche Kirche in Europa , die seit der französischen Revolution nicht neues Leben gewonnen hätte. Der alte Adel, welcher vor 89 die irreligiöse Klasse war, wurde nach 93 die glaubenseifrigste; zuerst angegriffen, bekehrte sie sich zuerst. Auch der Bürgerstand wendete sich wieder dem Glauben zu, die Ehrfurcht vor der Religion verbreitet sich überall, wo die Menschen bei Volksunruhen etwas zu verlieren haben und der Unglaube verschwand oder versteckte sich wenig stens, je sichtbarer sich die Furcht vor der Revolution machte.

Erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts treten Schrift­steller auf, die speziell Fragen der politischen und sozialen Ge­sezgebung behandeln und denen bei ihren Untersuchungen über politische Dekonomie der ungeheure Nachteil sofort klar wurde, den die Einmischung der Regierung in die materiellen Interessen des Landes hervorgebracht hatte. Diese Dekonomisten" oder " Physiokraten" genannten Schriftsteller haben zwar in der Ge­schichte eine weniger glänzende Rolle gespielt, als die Philo­sophen, aber der Einfluß, den diese Männer, vornemlich Ducs nay, Turgot , Necker u. a. ausübten, war darum nicht weniger bedeutend.

Diese von ihnen hervorgerufene Bewegung breitete sich so schnell aus, daß es schon 1755 zu einem Konflikt zwischen Na­tion und Regierung fam, und 1759 beklagte sich Voltaire , daß die Reize der leichteren Literatur über dem allgemeinen Eifer für diese neuen Studien vernachlässigt winden. Zu gleicher Zeit ließ Rousseau seine beredten Werke erscheinen; er enthielt sich der Angriffe gegen das Christentum und wandte sich fast ausschließlich gegen die sozialen und politischen Mißbräuche der bestehenden Gesellschaft. Es mag überraschen, die Philosophen und Schriftsteller jener Zeit gewissermaßen die Rolle politischer Parteihäupter spielen zu sehen; aber es gab keine freien Insti­tutionen mehr, also auch keine politischen Klassen, keine lebens­vollen politischen Körperschaften, feine organisirten Parteien mit ihren Führern, und in Ermangelung aller dieser Kräfte fiel den Philosophen die Führung der öffentlichen Meinung zu.

Wesentliche Unterstüzung fanden die von ihnen verbreiteten Ansichten durch die Entdeckung gewisser Wahrheiten und Tat sachen auf dem Gebiete der Naturwissenschaften, welche, weil sie handgreiflicher mit der sichtbaren Welt zu tun hatten und des­

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wegen leichter verstanden wurden, einen nicht zu unterschäzenden Einfluß auf die Stärkung des erwachenden demokratischen Geistes ausübten. Tie Vorlesungen der Chemiker, Geologen, Botaniker und Physiologen waren überfüllt; die Hallen und Amphiteater in Paris , in denen die großen Wahrheiten der Natur darge­legt wurden, fonnten ihre Zuhörer faum mehr fassen; die größten und schwierigsten Forschungen fanden Gunst vor den Augen von Leuten, deren Väter kaum die Namen der Wissenschaften gehört hatten, die sie betrafen.

Buffons glänzende Phantasie machte die Geologie plözlich populär, und die bewundernswürdigen Erörterungen Lalande's erhoben selbst die Astronomie zu einem allgemeinen Studium. Bei dieser Gelegenheit begannen die Menschen zu begreifen, daß die Größe der einzelnen nicht an dem Glanze ihrer Titel oder der Würde ihrer Geburt hänge, daß sie nichts zu tun hat mit ihren Wappen und Ahnen, sondern daß sie von der Macht des Geistes und von der Fülle der Kenntnisse abhängt. Die Halle( jagt Buckle) der Wissenschaft ist der Tempel der Demokratie" und der innige Zusammenhang zwischen wissen­schaftlichem Fortschritt und sozial- politischer Umgestaltung erhellt aus der Tatsache, daß beide aus derselben Sehnsucht nach Verbesserung entspringen, aus derselben Unzufriedenheit mit dem bisher Geleisteten, aus demselben ruhelosen, kühnen Geiste.

Während alles dieses zum Umsturz der alten Institutionen zusammenwirkte, trat plözlich ein Ereignis ein, welches nicht ohne nachhaltige Wirkungen auf Frankreich blieb. Auf der andern Seite des atlantischen Ozeans erhob sich ein großes Volk, ge­reizt durch die unerträgliche Ungerechtigkeit der englischen Re­gierung, griff zu den Waffen und erlangte, nach einem ver­zweifelten Kampfe, glorreich seine Unabhängigkeit. Im Jahre 1776 legten die Amerikaner Europa jene imposante Erklärung vor, in der sie darlegten, daß der Zweck, zu dem eine Re­gierung eingerichtet würde, doch der sei, selbst die Rechte des Volks zu sichern, daß die Regierung von dem Volke allein ihre Macht erhalte und daß, sobald eine Regierungsform diesem Zweck nicht gerecht werde, das Volk das Recht habe, eine neue Regierung einzusezen und ihre Gewalt so zu organisiren, wie es denke, daß sie am besten seine Sicherheit und sein Glück be= gründen werde. Als Franklin in Frankreich als Abgesandter des amerikanischen Volkes erschien, wurde er überall mit Entu­siasmus empfangen; aus allen Gegenden famen Massen von Menschen und erboten sich, als Freiwillige über den atlantischen Ozean zu gehen und für die Freiheit Amerikas zu fechten. Neben dem indirekten Erfolge, den das Beispiel eines gelungenen Aufstandes hervorbrachte, wurden die Franzosen auch noch durch unmittelbare Berührung mit ihren neuen Verbündeten aufge­stachelt. Die französischen Offiziere und Soldaten, die in Amerika gedient hatten, brachten bei ihrer Rückkehr die demo­fratischen Gesinnungen, die sie in der jungen Republik einge­sogen hatten, mit in ihr Vaterland zurück. Dies gab den schon herrschenden Freiheitsbestrebungen neue Stärke, und es ist Grund vorhanden zu der Annahme, daß der entscheidende Streich, den die französische Regierung empfing, von der Hand eines Amerikaners herrührte; denn auf Jeffersons Rat soll die Volks­vertretung des gesezgebenden Körpers sich zur Nationalversamm lung erklärt und so der Krone offen Troz geboten haben. So wirkten verschiedene Umstände zusammen, die große französische Revolution herbeizuführen. In der ersten Hälfte der Regierung Ludwigs XV. wäre es vielleicht noch möglich gewesen, durch zeitgemäße Reformen das Staatsgebäude zu retten. Aber statt zu versöhnen und die Leidenschaften zu besänftigen, machte Lud­ wig XV. den Versuch, die Nationalliteratur zum Schweigen zu bringen und jedes unbequeme Wort mit Gewalt zu unterdrücken. Hätte dagegen die Regierung dem Druck des fortschreitenden Wissens nachgegeben und statt des wahnsinnigen Beginnens, Ansichten durch Geseze niederzuhalten, die Geseze nach diesen Ansichten geändert, so würde der verderbliche gewaltsame Zu­sammenbruch vermieden worden sein. So aber wurde es bald nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts zu spät; Ereignis folgte auf Ereignis mit reisender Schnelligkeit, alle mit ihren