Vorläufern verbunden erwuchsen zu einem Strom, gegen den kein Damm mehr half. Vergebens gab die Regierung in einigen wichtigen Punkten nach, ergriff Maßregeln zur Verminderung der Gewalt der Kirche und unterdrückte sogar den Jesuitenorden. Vergebens rief Ludwig XVI . Männer, die von dem Geist der Reform erfüllt waren, in seinen Rat, Männer wie Turgot und Necker, deren weise und freisinnige Vorschläge in ruhigern Tagen die Bewegung gestillt haben würden. Vergebens wurden Ver­sprechungen gemacht, die Abgaben gleichmäßig zu verteilen, einige der anstößigsten Geseze zurückzunehmen. Vergebens sogar wurden die Generalstaaten zusammengerufen und so nach einem Verlauf von 170 Jahren das Volk wieder zur Teilnahme an der Ver­waltung seiner eigenen Angelegenheiten zugelassen. Nur ein großes Genie und kühn zugreifender ernstlich guter Wille ver­möchte den Fürsten zu retten, der es unternimmt, seinen Unter­tanen nach langer Bedrückung Erleichterung zu gewähren. Das Uebel, welches man als unvermeidlich in Geduld ertrug, erscheint unerträglich, sobald einmal der Gedanke Wurzel gefaßt hat, sich ihm zu entziehen.

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Der Ausgang der französischen Revolution ist bekannt; nach­dem die kühne und heldenmütige Generation, welche die Revo­lution begonnen hatte, vernichtet oder entnervt worden war, wie es in der Regel jeder Generation begegnet, die bei derartigen Weltereignissen das erste Beispiel gibt; als, nach dem natür­lichen Gang solcher Ereignisse, die Freiheitsliebe inmitten der Schreckenszeit entmutigt und ermattet war und die bestürzte Nation wie im Dunkeln nach ihrem Gebieter zu suchen begann, da boten sich einer absoluten Regierung zu ihrer Wiedergeburt und Neubegründung die bedeutendsten Hilfsmittel dar, welche der Scharfblick desjenigen ohne Mühe entdeckte, der zugleich des Fortsezer und Vernichter der Revolution werden sollte, Korsen Bonaparte.

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Die Revolution, dieser große Kampf zwischen Vernunft und Autorität, scheiterte; aber sie hat der Zukunft Aufgaben gestellt, an deren Lösung der Geist unsrer Zeit noch fortarbeitet und voraussichtlich noch kommende Geschlechter zu kämpfen und zu arbeiten werden haben.

Die Satire im Mittelalter.

Bon Dr. Richard Ernst.

Die strenge Scheidung der Nation und Stände im 14. Jahr hundert, die Habsucht und Ländergier der deutschen Kaiser, das Räuberwesen und Wegelagern der Ritter, lenften den Sinn von der Poesie und Gefühlswelt ab. Die noch ungeschwächt fortwirkende Tatentust verzehrte sich im Bürgerkrieg und sank in wüsten inneren Fehden mehr und mehr zu gemeiner Rauf­und Raublust herab. Genußsucht und rohe Sinnlichkeit erstickten die sanften Regungen der Minne und raubten dem Adel die Lust und Fähigkeit zur Poesie. Umsonst suchten einzelne Fürsten die schwindende Ritterpoesie zu halten und vor gänzlichem Unter gang zu bewahren, die Richtung der Zeit und die Macht des Bürgerstandes und Volkes waren stärker als ihre Bemühungen. Die Bildung war von den Schlössern der Fürsten und den Burgen des Adels in die Ringmauern der frisch und fröhlich aufblühenden Städte und ins Volk übergegangen. Das Bürger­tum und das Volk waren an Stelle des entarteten Rittertums als Träger der Kultur und folglich auch der nationalliterarischen Offenbarung getreten. Als literarische Manifestation des Bürger­tums haben wir den im 14.- 16. Jahrhundert zunftmäßig ge= pflegten Meistergesang anzusehen, eine dogmatische und mo­ralische Lyrik in verkünstelter Form, deren Kunstwert nicht son derlich hoch anzuschlagen ist.

Der fruchtbarste wie der bedeutendste aller Meistersänger ist Hans Sachs , der treffliche nürnberger Schuster, auf den wir noch zurückkommen werden. Viel bedeutender als der Viel bedeutender als der Meistergesang ist die Volkspoesie. Mit dem Herantreten des Volks zu der sozialen Stellung, welche bis zum 14. und 15. Jahrhundert der Adel ausschließlich eingenommen; mit dem demo­kratischen Bewußtsein, welches die Hussitenschlachten, die Fehden der deutschen Städte gegen das adelige Raubgesindel, die glor­reichen Siege der Ditmarsen im Norden, der Schweizer im Süden von Deutschland gegen Fürsten und Ritter geweckt hatten, erwachte auch der Drang poetischer Aeußerung wieder im Volke. Der Strom der deutschen Volkspoesie hatte freilich schon früher mächtig gerauscht. Von ihm getränkt hat ja der deutsche Geist jene mark, saft- und kraftstrozenden Heldensagen hervorgebracht, welche in ihrer naturwüchsigen Entwicklung durch die Völker­wanderung unterbrochen, in ihrer volksmäßigen dichterischen Ausbildung zuerst durch die kirchlich gelehrte Dichtung der Geistlichen, dann durch die höfische Ritterromantik gehemmt, erst um 1200 von unbekannten Dichtern zu jenen großartigen Na­tionalepopöen bearbeitet wurden, die wir unter dem Namen Nibelungenlied und Gudrun kennen, und welche man nicht

( Schluß.)

mit Unrecht die deutsche Ilias und Odyssee genannt hat. Eine Zeit lang erlosch das Interesse am nationalen Heldengesang Aber nach dem Verfall der Romantik erwachte dasselbe wieder. zugleich fängt um diese Zeit das historische Volkslied an, sich auszubilden. Aber nicht nur das geschichtliche Dasein, son­dern auch das ganze Fühlen und Denken, Tun und Treiben des Volts prägte sich im 14.- 16. Jahrhundert in Liedern aus. Der Bauer sang hinterm Pfluge von den Leiden und Freuden seines geplagten Standes, der Müller begleitete das Geflapper seiner Mühle mit Reim und Klang, der Landsknecht kürzte sich den Marsch durch kriegerische Preis- und Spottlieder, Bursch und Mädchen offenbarten sich in Liedern von oft wunderbarer Junigkeit das Geheimnis ihrer Herzen, Mönch und Nonne blieben nicht dahinten, der wandernde Handwerker bezeichnete sein Kommen und Gehen mit Willkomms- und Abschiedsliedern, der Traurige seufzte seinen Kummer, der Fröhliche jubelte seine Lust im Liede aus, der Jäger, der Fuhrmann, der Bettler, der Köhler, der Bergmann, der Schäfer, der Gärtner, der Winzer, sie alle ließen, was sie erlebten, was sie bewegte, was sie litten und taten, in Liedern wiederklingen, von denen man, da ihre Verfasser unbe­kannt sind, wie vom Winde sagen kann, man spürt wohl ihren Hauch, aber man weiß nicht, von wannen sie kommen und wohin sie gehen.

Mit dem Verfall der hösischen Kunstpoesie und dem Empor­kommen des Bürgerstandes machte sich auch mehr und mehr das Bedürfnis der Prosa geltend. Dieser kam die luthersche Bibel­übersezung sehr zu statten, welche die in Sprache und Schrift eingerissene Anarchie, die ein ebenso treues als trostloses Spiegelbild der damaligen politischen Mißwirtschaft im heiligen römischen Reich deutscher Nation abgab, ein Ende machte, indem sich aus dieser Uebersezung das aus den beiden bisherigen Hauptdialekten zusammengeschweißte Neuhochdeutsche als der vereinigte Sprachschaz des deutschen Volkes entwickelte. Durch die Kraft- und Kernsprache der lutherschen Bibelübersezung wurde dem aus langem Schlafe aufgerüttelten Gedanken eine straffe, schlagfertige Form dargeboten, und die Ausbreitung der von Guttenberg erfundenen Buchdruckerkunst verlieh dem Ge­danken unermüdliche und unlähmbare Schwingen und ließ die Bildung immer mehr Gemeingut der Nation werden.

Mit der Entwicklung der Volkspoesie und der Ausbildung der deutschen Prosa gewannen auch Lehrdichtung und Satire einen immer breiteren Boden. Besonders aber gediehen Di­daktik und Satire in der Reformationszeit, welche den Maß­