soll geboren sein, er lachet nur unser in seinem Herzen und ist ein größerer Bube und Spötter als Lucian; darum wollt ihr ihm Feind sein, euch vor seinen Büchern hüten, denn er hält unsere ganze Teologie wie Demokrit für lauter Narrenteidung, lachet und spottet." Hierin hatte sich der gute Luther gewiß nicht getäuscht; behauptete doch Erasmus: Non idem est theologum esse et sapere( Teologe sein und bei Verstand sein, sind zweierlei Dinge). Indessen hat Luther mit seinen halb geöffneten Augen die Sache der Freiheit mehr gefördert als der hell sehende Erasmus.
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Dieser leztere ist der Typus jener selbstgenügsamen Gelehrten, Gebildeten, Freidenker, welche dem verwerflichen, jede reformatorische Tätigkeit lahm legenden Grundsaz huldigen, die Wahrheit sei nur für die Gebildeten", nicht für das Volk; dieses müsse man ruhig dem alten Wahn überlassen*).( Vergl. das Vorwort zu: Die Religion der Vergangenheit und der Zukunft", Neue Welt, 1882, Nr. 12). Es ist ja wohl richtig, daß die Wahrheit nicht per saltum( im Sprunge), nicht mit einem Ruck vom Falschen zum Wahren emporgeführt werden kann; jeden Tag geht die Morgendämmerung voran. Die praktische Folgerung hiervon kann aber nur die sein, Reformbewegungen mit Besonnenheit und weiser Mäßigung zu leiten, sich vor Ueberstürzung zu wahren, dabei aber immer so weit zu gehen als möglich, damit das Bessere, wenn auch allmälich, doch so rasch als es nur immer sein kann, zur Herrschaft gelange.- Indessen hat Erasmus dennoch der Reformation indirekt ganz bedeutend Vorschub geleistet, besonders durch seine Satiren, welche den schlummernden Geist der Zeit gewaltig aufrüttelten, wie denn Papst Leo X. äußerte: Erasmus nobis plus nocuit jocando quan Lutherus stomachando( Erasmus hat uns mehr geschadet durch Scherzen als Luther durch Poltern).
Das bedeutendste satirische Werk des Erasmus, welches gewaltiges Aufsehen erregte, ist sein in lateinischer Sprache abgefaßtes aber vielfach überseztes Encomion Moriae ,, Lob der Narrheit", das die Torheit aller Stände, besonders aber der Geistlichen und Mönche, mit überaus geistreicher satirischer Lauge übergießt. Wie beliebt das Buch seiner Zeit war, zeigt der Umstand, daß Holbein dasselbe illustrirt hat.
Auch die äsopsche Tierfabel wurde im Reformationszeit alter gleich dem Reinecke Fuchs auf die Zustände der Gegen wart in Kirche und Staat angewendet. Der erste, der sich mit Glück damit befaßte, war Burkard Waldis ( † 1556), ein gelehrter Mann voll gesunder Ansichten, Karakterstärke und patriotischer Gesinnung. Als Beispiel stehe hier seine Fabel von dem Wolff und dem Lamb.
Ein Wolff het glauffen in der Sonnen Und kam zu einem kühlen Bronnen, Als er nun trand, sich weit umbsach Wardt er dort niden an dem Bach Eins Lambs gewar, das auch da tranck Gar zorniglich der Wolff zusprand Und sprach: du trübst das Wasser mir Das ich nicht trinken kann für dir.
Das Lamb erschrack und sprach, Herr nein Bitt, wöllest nicht so zornig seyn Und kein Gewalt wider mich üben Wie kann ich euch das Wasser trüben? Das Wasser, welchs ich trunken hab Das fleußt von euch zu mir herab, Thu euch hiemit nicht zu verdrießen Drumb laßt mich meiner Unschuld genießen, Wenn ich schon wolt, fönnt ich doch nicht Euch etwas schaden thun hiemit
Der Wolff sprach, schweig du böses Thier All deine Freunde haben mir
Von Anbegin zuwidern than
*) Eine ergözliche Illuſtration hierzu liefert eine von A. Ruge mitgeteilte wahre Anekdote aus der Zeit der reaktionären Kirchengesezgebung in Preußen. Der König, der es liebte, unerkannt in den Straßen Berlins umherzuwandern, um die Gesinnung der Bevölkerung kennen zu lernen, hörte einmal zwei berliner Eckensteher folgendes Gespräch führen. Eckensteher A.: Du, unter uns jesagt, im Frunde jenommen ist die janze Religion lauter Unsinn. Eckensteher B.: Da hast du janz recht, Männeken. Religion für uns jebildete Leute is nich. Aber weest du, das Volk, das Volk muß Religion haben.
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Dein Bruder und deiner Mutter Man Rundt mit je kommen nie zurecht Ir seid ein böß verflucht geschlecht Meines schadens will ich mich jezt erholen Du must mir heut das gleich bezalen. Der Wolff zeigt die Tyrannen an, Das Lamb, die armen Underthan, Denn so geschieht noch heut bei Tag Wo der groß übern kleinen mag Wirst er auff in sein Ungedult Unangesehn, ob er hab schuldt, Doch hat der gsündigt allzu viel Den man zur antwort nicht statten will Wenn man gern schlagen wolt den Hundt Findt sich der knüttel selb zur stundt Die Hundt das Brod den kindern nemen Die alten lassens wol bezemen Der Weih die Tauben thut bekriegen Und leßt schedliche Rappen fliegen, Und wo der Zaun am niedrigsten ist Da steigt man über zu aller Frist.
Heftiger in seinen Angriffen ist Erasmus Albertus ( † 1553), der in seinen Fabeln ebenso gegen Ablaßhandel, Klerus und Papsttum, wie gegen Wiedertäufer, Schwärmer, Sektirer und das Interim eifert. Mehr aufs Weltliche und auf den Staat gerichtet erscheint die Satire in dem der griechischen Batrachomyomachin*) nachgebildeten Froschmäusler des Georg Rollenhagen ( † 1609).
Beträchtliche Dosen von Satire finden sich auch in der sog. Schwankliteratur und in der Komödie. In der ersteren, der komischen Volksliteratur, tritt die Richtung der Zeit zu Tage, an Stelle der feinen, auf Konvenienz beruhenden Sitte der vornehmen Welt die Derbheit und Natürlichkeit des Volksverfehrs zur Geltung zu bringen, der verschrobenen Schulgelehr samkeit dünkelhafter Teologen und Philosophen die natürliche Schlauheit, den gesunden Menschenverstand und den Mutterwiz entgegenzusezen, den man zuweilen hinter Einfalt, hinter dem Schein von Dummheit versteckte. Sogar an den Höfen machte sich diese Richtung geltend in den Hofnarren, die ihren Fürsten oft besser und kühner die Wahrheit sagten als Räte, Beichtväter und selbst Stände. Eine große Anzahl komischer Volksbücher, in denen Landstreicher, mutwillige Studenten, Possenreißer und Bauern die Hauptrolle spielen, suchten natürliche Ursprünglichkeit gegen Neberverfeinerung, die Lebensweisheit der Sprüchwörter, Volkswize, Schnurren und Fabeln gegenüber der hochtrabenden Gelehrsamkeit zu Ehren zu bringen. Das Volk, das sich seiner Kräfte bewußt geworden und seinen gesunden Verstand und seine derbe Natur achten gelernt, strebte nach Vereinfachung der verwickelten und unnatürlichen Verhältnisse des Mittelalters, um den Naturzustand, freilich oft in einer allzugroßen Nacktheit und Roheit, zurückzuführen und eine neue Kultur darauf zu gründen. Zu diesen Volksbüchern gehört auch wegen seiner komischen Zauberspäße das von dem Erzschwarzkünstler Doktor Johann Faust , wenn gleich die Sage eine ernstere, tiefere Bedeutung hat, welche Goethe aus ihr zu entwickeln wußte. Zu den bekanntesten Büchern dieser Gattung gehören ferner der Till Eulenspiegel und die Schildbürger oder das Lalenbuch. Der Eulenspiegel ist der lezte der „ fahrenden Leute". Er treibt sich als Gaukler, Arzt, Hofnarr, Kriegs- und Dienstmann , Maler u. s. w. umher und arbeitet in jedem Handwerk. Er verrichtet alle Aufträge, aber nicht dem Sinne, sondern dem Wortlaut nach; er parodirt die Sprüch wörter, ist dreist im Handeln und Disputiren, und die Wahrheit zu sagen ist sein Gewerbe. Im Lalenbuch, einer Sammlung uralter, im Volke lebender Schwänke, ursprünglich von vielerlei Drten erzählt, aber mit der Zeit auf einen einzigen Ort, Schilda Narrheiten einer ganzen Gemeinde ergözlich dargestellt. Es iſt im Herzogtum Sachsen, übertragen, werden die zahlreichen unser erster satirischer Roman, eine prächtige Nationalsatire.
*) Froschmauskrieg, Parodie der homerischen Jlias, ein komisches Heldengedicht, worin die Kämpfe der Mäuse und Frösche in ähnlicher Weise dargestellt werden, wie dort die Kriegstaten der achäischen und troischen Helden. Es wird dem Homer zugeschrieben, ist aber wahr scheinlich ein Produkt des alexandrinischen Zeitalters.