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Der Schwank fand indes auch durch mehrere Dichter eine feinere, kunstmäßigere Behandlung. Dies geschah besonders durch den bereits oben erwähnten nürnberger Schuster Hans Sachs  ( 1495-1576), der überhaupt die alte Zeit unserer Literatur würdig beschließt, indem er, mit wirklichem Dichtertalent aus­gestattet, alle von dieser zulezt gepflegten Gattungen, Meister­gefänge, Gnomen, Fabeln, Beispiele, Kirchenlieder, Allegorien, biblische Erzählungen, Anekdoten, Gespräche, Sittenpredigten, Schwänke, Psalmen, im Sinne der Reformation, aber mild und besonnen, im ganzen auch vortrefflich bearbeitete, wenn auch im einzelnen viel Monotonie und mechanische Reimerei mit unter­läuft. Bugleich eröffnete er die neue Zeit, indem er in der lezten Periode seines dichterischen Schaffens mit Vorliebe die­jenige poetische Gattung kultivirte, welche für die Zukunft Haupt­form aller Dichtung wurde: das Drama. Die Anfänge des­selben knüpfen sich in Deutschland   wie überall an die Geschichte des Kultus. In der christlichen Kirche nahmen manche Kultus handlungen schon früh einen dramatischen Karakter an. Beson­ders war dies der Fall mit der Abendmahlfeier. Aus den Wechselreden des Priesters, des Diakens und der Gemeinde gestaltete die Kirche ein liturgisches Drama, die Messe, welche im Grunde nichts anderes ist als eine dramatische Gedächtnis­feier des Opfertodes Christi. Aus dem liturgisch- dramatischen Gottesdienst entwickelt sich nun, ohne Zweifel auch durch den Einfluß der antiken Dramatik, das eigentliche Kultusdrama durch die weit in das christliche Altertum zurückreichende Bemühung des Klerus, den Inhalt der weihnächtlichen und österlichen Myten dramatisch teatralisch in den Kirchen zu gestalten. Im Kloster St. Gallen   z. B. wurde nach einer alten Handschrift der dortigen Stiftsbibliotek in der ältesten Zeit schon der Auf­erstehungsmytus folgendermaßen in Szene gesezt. Am Karfreitag legte man in der Kirche ein großes mit Leinwand umwickeltes Bild des Gekreuzigten in das Grab, besprengte es mit Weih­wasser und räucherte es an. In der Osternacht sodann suchten drei als Frauen verkleidete Mönche den Leichnam des Heilands in dem Grab und sangen die bezüglichen Stellen der Bibel ab. Diesen gaben zwei andere als Engel maskirte Geistliche aus dem Grab hervor Antwort und drei weitere Priester rezitirten in der Rolle von Fremdlingen die übrige Erzählung von der Auferstehung. Inzwischen erschien ein neunter Mönch auf dem Hochaltar, mit einem roten Meßgewand angetan und eine Fahne schwingend. Er stellte den auferstandenen Erlöser vor und gab sich singend der Maria zu erkennen. Zum Beschluß fiel das ver­sammelte Volt im Chorus in diese Festoper ein, indem es jubelnd anstimmte:" Christ ist erstanden". Aus solchen inner­halb der Kirche selbst zur Darstellung gebrachten Dramatifirungen der weihnächtlichen und österlichen Evangelienkapitel entwickelte sich das kirchliche Schauspiel des Mittelalters und gestalteten sich die sog. Mysterien*), welche die Geheimnisse des christ­lichen Dogmas und die Wunder der jüdisch- christlichen Mytologie im weitesten Umfang zu Gegenständen hatten und in der Regel an den kirchlichen Festen aufgeführt wurden. Ein komisches Element wurde in diese Mysterien hineingetragen durch die Lustigmacher oder Joculatoren**), welche besonders in der hei­teren Fastnachtszeit( die offenbar mit den römischen Saturnalien zusammenhängt) tomische Zwischenszenen aufführten. Mit der Zeit wurden diese Mysterien aus der Kirche( wo gewöhnlich auch die Spiele und Aufzüge der Gaukler und Seiltänzer statt­fanden) auf den Markt und ins öffentliche Leben eingeführt und zum Ergözen des schaulustigen Volks allerlei Possen und

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* In Frankreich   hießen diese Dramen Mystères  ( Geheimnisse), in Italien   Vangelii( Evangelien), auch Esempii( Laispiele) und Commed.e spirituali( geistliche Komödien), in Spanien   Autos( Afte), in England Miracle- Plays  ( Wunderspiele), in Deutschland   auch Passionsspiele, wie das noch jezt alle zehn Jahre in Oberammergau   zur Tufführung kom­mende österliche Mysterium genannt wird.

**) Der Troubadour, besonders derjenige, der sein. Lieder nicht selber singen konnte, pflegte einen Begleiter anzunehmer, der seine Dichtungen vortrug, das waren die provenzalischen Jongleurs, die spanischen   Joglars und die normännisch- englischen Ministrels. Sie fanten vielfach zu Gauklern und Possenreißern herab.

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Mummereien hinzugefügt. Troz des wiederholten Verbots von Rom   aus beteiligten sich an solchen Spielen und Luftaufzügen die Geistlichen. Das Volk, das durch die Kirchengeseze mancherlei Zwang und Hemmung erlitt, rächte sich dafür von Zeit zu Zeit durch Spott und Mutwillen. Das weltliche Element gewann in den geistlichen Spielen immer breiteren Boden, bis es sich endlich, noch vor der Reformation, förmlich von den Mysterien trennte und als Fastnachtsspiel ein Hauptbestandteil bürger­licher Lustbarkeit wurde. Solche Fastnachtsspiele, die übrigens nicht blos am Fastnacht aufgeführt wurden, waren besonders in Nürnberg   üblich, wo im 15. Jahrhundert die Meistersänger Hans Folz   und Hans Rosenblüt eine Reihe solcher Farcen dichteten. Im Reformationsjahrhundert nahmen dieselben einen polemischen Karakter an, besonders gegen den Pabst und die römische Kirche. Dadurch verwandelten sich allmälich die nie­drigen, mit gräulichen Zoten versezten Possen, bei denen sich häufig auch eine tüchtige Prügelei einstellte, in Kunstwerke, wozu besonders die Humanisten durch ihre den Alten nach­geahmten lateinischen Stücke beitrugen. Auch die gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Angriff genommene Uebersezung des Terenz und dann des Paulus trug zur Verbesserung des drama­tischen Stils bei. Auf den Universitäten und philologischen Schulen ward die Sitte, lateinische Komödien durch die Stu­denten aufführen zu lassen, immer allgemeiner und von diesen Anstalten aus teilte sich dem Volke immer mehr die Begierde mit, derartige Stücke auch in seiner Sprache zu sehen und zu hören. Dieser Schau- und Hörlust tat dann der treffliche Hans Sachs   mit seiner erstaunlichen Fruchtbarkeit genüge, indem er in mehr als 200 dramatischen Stücken den rechten Ton traf, wie keiner. Aus seinen allerdings mit noch manchen Mängeln behafteten Stücken blickt überall der wahre Dichter und der edeldenkende Mensch heraus, der für alles, was seine Zeit be­wegte, Auge und Herz offen hatte und mit wohlwollendem Humor seine Zeitgenossen zu belehren und zu bessern suchte, indem er sie unterhielt. Die hübsche Art und Weise, wie er dieses angriff, kann uns schon sein Fastnachtsspiel Das Narren­schneiden" zeigen. So hat denn das deutsche Schauspiel drei Phasen durchlaufen: zu dem geistlichen Mysterium trat der weltliche Schwank, aus dem sich das eigentliche Drama ent­wickelte.

Nachträglich einige Proben von dem nicht selten einen satiri. schen Stachel verbergenden Humor, der in den Mysterien bis­weilen ficheite. In einer Darstellung der Schöpfung entspann sich folgender Dialog:

Ad a m.

Schon lange dacht' ich dran, wie ich in die Welt wohl komm, Nun schwäzt, wo habt ihr mich hergenommen?

Gott Vater.

Nit von Gold, auch nit von Zinn  , Nit von Glas, sonst wärst heut schon hin, Nit von Silber und Eisen, Marmor noch Blei, Nun rat, was für'n Materie sei?

Ad a m.

Bin i etwa irgend gar aus Dreck? Gott Vater.

Erraten, Adam! du hast's weg.

Will dich der Teufel auf d' Hoffartsbank stellen, Sieh', Adam! in allen dergleichen Fällen

Da sieh' in höhnisch an und lach'

Und sprich: Nix Teufel! Dreck ist mei Sach!

Gott   Vater führt nun Adam die Tiere vor, um ihnen Namen zu geben, und da sie alle paarweis erschienen, spricht

Ad a m.

Alle scherzen mit einander, So mögt ich a gerne sein selbander

Gott Vater.

Adam, sei nit so ungescheit,

Bis d' Nacht kommt, ists noch weit, Sobald i z' Mittag gegessen han, Will i weiter denken dran,

I will dich gewiß nit vergessen.

A d a m.

Nun! so segn' auch Gott' s Mittagessen.