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Morteira. Die außerordentlichen Fähigkeiten, welche früh in dem Knaben hervortraten, gewannen ihm bald die Anerkennung seiner Lehrer. Die Bibel, der Talmud und später die Kab­ balah ( jüdische Mystik) gaben dem Geiste Spinozas die erste Nahrung; aber dieser ganze Umfang jüdischer Gelehrsam­feit vermochte nicht, ihn zu befriedigen. Der Wissenstrieb stachelte Spinoza , über den beschränkten Kreis der Studien hinauszugreifen, welche in Morteiras Lehrhaus betrieben wur den. Er vertiefte sich in die Schriften älterer jüdischer Denker, besonders des Ibn- Esra , Maimonides und Chasdai Crescas, und diese verschiedenen Wissenselemente wogten und gährten in seinem nach Klarheit ringenden Geiste und erregten quälende Zweifel in seinem Innern, wozu am meisten Jbn- Esras ver­deckter Unglaube beigetragen hat*). Schon als fünfzehnjähriger Jüngling soll Spinoza seine Zweifel in Form von einschnei­denden Fragen an seinen Lehrer Morteira ausgesprochen haben, welche diesen nicht wenig in Verlegenheit sezten. Zu diesen aus der jüdischen Literatur ihm zugeführten skeptischen Elementen kamen von außen neue hinzu. Spinoza lernte auch Lateinisch. Die Kenntnis dieser Sprache vermehrte nicht blos den großen Umfang von Sprachkenntnissen, die Spinoza bereits hatte er verstand Portugiesisch , Spanisch, Italienisch, Deutsch und Flamlandisch sondern was wichtiger ist, sie erschloß ihm das Altertum und die Philosophie und machte aus dem unbe­friedigten Teologen einen begierigen Schüler des Humanismus. Der praktische Arzt Van der Ende, der sich durch seine klas­sische Gelehrsamkeit wie durch seine naturwissenschaftliche und humanistische Bildung seit Jahren einen großen Kreis von Schülern gebildet hatte, wurde der Lehrer des jungen Spinoza . In dem Hause dieses später als Freigeist verdächtigten Mannes scheint sich die Krisis im Geiste Spinozas vollzogen zu haben. Die Naturwissenschaften, Matematik und Physik, die er mit Liebe betrieb und die neu aufgetauchte, imposante Philosophie des Cartesius( René Descartes ), erweiterten seinen Gesichts­freis und flärten seine Urteilskraft, und je mehr ihm aus ver­schiedenen Kanälen neue Gedanken zuströmten, je mehr sein Geist wuchs, destomehr entfremdete er sich dem Offenbarungsglauben, und es bedurfte nicht eist der Liebe zu van der Endes schöner Tochter, um ihn dem Judentum abwendig zu machen. Die ge­lehrte Tochter des Arztes nämlich, Olympia( Klara Maria), gab bisweilen statt ihres Vaters Lektionen, und Spinoza soll von einer lebhaften Neigung zu dem im Geiste des Vaters ge­bildeten Mädchen ergriffen worden sein, so daß er mit dem Gedanken umging, sie zu heiraten. Aber diese zog dem armen jüdischen Philosophen einen wohlhabenden und angesehenen Kauf­mann aus Hamburg Namens Kerfering vor, ter ihre Wahl durch ein kostbares Geschenk bestimmte. Es war die erste und einzige Frauenliebe Spinozas, ein romantischer, vielleicht heftiger aber flüchtiger Wellenschlag in diesem großen Leben. Eine höhere Liebe, der sokratische Eros, die Liebe zur Wahrheit, er­füllte fortan seine Seele und sie, die ihn zu einem ihrer größten Propheten ausersehen hatte, duldete keine Nebenbuhlerin. Den ersten und wichtigsten Grundsaz der Cartesischen Philosophie, daß man nur für wahr halten dürfe, was man klar und deutlich einsehe, was die unbefangene und freie Vernunft anzunehmen uns nötigt, eignete sich Spinoza vollkommen an und führte ihn teoretisch und praktisch durch. Er trennte sich von seinen Glau­bensgenossen, beachtete die zahlreichen Zeremonialsazungen nicht mehr und hörte auf, die Synagoge zu besuchen. Es mag ihm einen schweren Kampf gekostet haben, den Juden völlig aus­und den reinen Menschen völlig anzuziehen. Weiß man doch, mit wie vielen Fasern besonders das jüdische Religionswesen im Gemüt, im Familiengefühl wurzelt, wie uns das Gußzkow in seinem Uriel Akosta" meisterhaft geschildert hat. Aber Spinoza war eine ebenso bedeutende sittliche Natur wie ein

Jbn- Jira aus Toledo , 1088-1167, ein Gelehrter voll Geist und sprudelndem Wiz, war hell genug, einzusehen, daß die 5 Bücher Moses nicht von Moses herrühren fönnen, und er deutet in seinem daß ihm der Fanatismus nichts anhaben konnte.

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tiefer Denfer. Etwas für unwahr in der Teorie halten und es doch aus Furcht, Gewohnheit oder Vorteil praktisch mit­machen, war für ihn ganz unmöglich. Das läßt sich nicht von allen rühmen, die von einer besseren Ueberzeugung als die her­kömmliche ist, durchdrungen sind. Viele verhüllen dieselbe sorg­fältig unter dem Mantel der Klugheit oder sie sprechen sie blos teoretisch aus, fügen sich aber und das versöhnt die Menge im praktischen Leben der öffentlichen Meinung. Spinozas Vorgänger Cartesius bietet das praktische Beispiel hierfür. Der­selbe Philosoph, dessen System jeder Autorität den Krieg er­klärte, dessen Philosophie folgendes Räsonnement zur Grundlage hat: Soll etwas Festes in der Wissenschaft hergestellt werden, so müssen alle Voraussezungen und Annahmen, mit denen wir uns von Kindheit an getragen, zerstört werden, so müssen wir an allem zweifeln, nicht nur an der Existenz der sinnlichen Dinge, da die Sinne vielfach täuschen, sondern auch an den Wahrheiten der Matematik, beispielsweise daran, daß 2+ 3= 5 oder daß die Winkel eines Dreiecks zwei rechten Winkeln gleich sind. Es ist daher ratsam, an allem zu zweifeln, selbst an unserer eigenen Existenz. Denn wie manchmal kam es schon vor, daß jemand Schmerzen an einem Glied zu empfinden glaubte, das ihm längst amputirt war, und wenn wir vollends die Irrungen und Täuschungen der Träume ins Auge fassen, so haben wir allen Grund zu zweifeln, ob wir überhaupt existiren. Allein eben daraus, daß ich etwas oder alles bezweifele, folgt die Wahrheit meiner Existenz. Ich könnte nicht zweifeln, nicht denken, wenn ich nicht existirte. denken, wenn ich nicht eristirte. Der Saz also: Ich denke, also bin ich( das berühmt gewordene cogito ergo sum), ist der erste und gewisseste der Philosophie, von diesem gewissesten aller Säze hängt die Gewißheit aller andern Erkenntnisse ab", dieser selbige Philosoph hat, als er diesen seinen Kardinal­saz gefunden hatte, zum Dank dafür eine Wallfahrt zur Mutter Gottes in Loretto unternommen. Gottes in Loretto unternommen. Er ahmte hierin wohl dem Pytagoras nach, der den Göttern eine Hekatombe, d. h. hundert, Ochsen schlachtete, als er seinen berühmten geometrischen Lehrsaz gefunden hatte, worüber Börne bemerkte: Seit dieser Zeit zit­tern alle Ochsen, so oft eine neue Wahrheit entdeckt wird.

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Die Vorsteher der Synagoge sahen mit wachsender Besorgnis auf den Jüngling, auf den sie so große Hoffnungen gesezt, den sie als einstiges Kirchenlicht betrachtet hatten. Sie ließen ihn durch ihre Spione ausforschen. Zuerst suchte Spinoza die zu­dringlichen Frager mil allgemeinen Redensarten abzufer­tigen; er wollte Niemand seine Religion und seine Kirche rauben." Als jene aber nicht nachließen, gab er ihnen rück­haltslos seine Ansichten Preis. haltslos seine Ansichten Preis. Er bekannte offen, daß der Gott der Bibel keineswegs als blos geistiges Wesen, sondern als ein sehr sinnliches, körperliches, menschenähnliches gedacht sei, was niemand als Kezerei auslegen könne, der sich zum Beispiel erinnert, daß die Bibel gleich am Anfang von Gott als einem so menschenähnlichen Wesen spricht, daß sie ihn sechs Tage arbeiten und am siebenten ausruten läßt, daß sie ihn sogar als ein Wesen beschreibt, das im Hain Mamre dem Abraham um die Mittagszeit erschien und von ihm mit Butter, Milch, Semmelfuchen und Kalbsbraten bewirtet worden sei. Die Engel bezeichnete er als bloße Geschöpfe der Ein­bildungskraft und von der Seele wies er aus dem alten Testa­mente nach, daß dieses nicht daran denke, dieselbe als unsterblich zu bezeichnen. Als später auch verlautete, Spinoza leugne jede Offenbarung, wurde er von Zionswächtern verwarnt, zum Wider­ruf, zur Buße aufgefordert und mit dem Bann bedroht. Als man sah, daß alles nichts fruchtete, versuchten die Männer der Synagoge, den Apostaten Spinoza zu bestechen; sie boten ihm einen Jahresgehalt von tausend Gulden an, wenn er die Synagoge bisweilen besuchen und einen offenen Bench mit ihr vermeiden wollte. Spinoza wies das Anerbieten zurück, sezte den frommen Schächern den Stolz der Ueberzeugung entgegen und erklärte, daß er nichts davon wissen wollte, selbst wenn sie ihm zehnmal mehr bieten würden; er sei kein Heuchler und suche nicht Geld, sondern Wahrheit. Nun wollte man ihn durch Meuchelmord

unschädlich machen. Als er eines Abends nach Hause ging, sah