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er einen mit einem Dolch Bewaffneten auf sich zukommen. Da er die Waffe bemerkt hatte, gelang es ihm, dem Stoß wenig stens so auszuweichen, daß der Stich nur durch den Mantel drang. Das durchstochene Gewand bewahrte er zum Andenken des krassen Fanatismus. Nun wurde gegen den abtrünnigen Denker das lezte Mittel angewendet, welches in solchen Fällen der Hierarchie zu Gebote steht. Man schritt zur Erkommunikation. Im Jahre 1655, also im 23. Lebensjahr des Philosophen, wurde der große Bann gegen ihn ausgesprochen, welcher die gräßlichsten Verwünschung n enthält. Es hieß darin u. a.: „ Nach dem Urteil der Engel und dem Urteil der Heiligen belegen wir mit Bann, schließen wir aus, verfluchen und ver dammen wir Baruch d'Espinoza mit Zustimmung des kirchlichen Tribunals und mit Zustimmung jener ganzen heiligen Gemeinschaft, vor den heiligen Schriften, nach den 613 heiligen Geboten, die in ihnen geschrieben stehen, mit dem Fluch, mit dem Josua Jericho fluchte, mit dem Fluch, mit dem Elisa den Knaben fluchte und mit allen Flüchen, die in dem Buche des Gesezes geschrieben stehen. Verflucht sei er bei Tag und ver flucht ſei er bei Nacht, verflucht sei er im Schlaf und verflucht sei er im Erwachen, verflucht sei er beim Ausgehen und ver flucht sei er beim Eintreten, möge der Herr ihm niemals verzeihen, möge der Herr seinen Zorn und seinen Eifer entbrennen lassen gegen den Menschen und alle Flüche auf ihn laden, die geschrieben stehen im Buche des Gesezes, und er wird seinen Namen vertilgen unter dem Himmel und der Herr wird ihn ins Elend hinausstoßen aus allen Stämmen Israels unter allen Flüchen des Himmels, die da geschrieben stehen im Buche des Gesezes, und ihr, die ihr dem Herrn, eurem Gott , an hänget, seid für heute alle gegrüßt! Bedenket, daß niemand jenen mündlich noch schriftlich anreden, niemand ihm irgend eine Gunst erweisen, niemand unter einem Dache mit ihm weilen, niemand sich ihm auf mehr als vier Klafter nähern, niemand irgend ein von ihm verfaßtes oder geschriebenes Schriftstück lesen darf."
Man sicht, daß nicht blos die Kurie in Rom , sondern auch der Rabbinismus das Anatematisiren aus dem ff verstanden hat. Wir Gegenwärtigen haben faum noch eine Vorstellung von der Wirkung einer solchen Erpektoration des gift- und feuerspeienden Priestertums. Um den Eindruck noch schauerlicher zu machen, wurde die Erkommunikation mit dem heiligen Widderhorn, Schofar, affompagnirt. Es muß eine furchtbare Bewandt uis haben mit diesem Horn, schreibt H. Heine . Denn wie ich mal in dem Leben des Salomon Maimon gelesen, suchte einst der Rabbi von Altona ihn, den Schüler Kants, wieder zum Glauben zurückzuführen, und als derselbe bei seinen philosophischen Kezereien halsstarrig beharrte, wurde er drohend und zeigte ihm den Schofar mit den finsteren Worten:„ Weißt du, was das ist?" Als aber der Kezer antwortete:„ Es ist das Horn eines Widders!" da fiel der Rabbi rücklings zu Boden vor Entsezen.
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heit ein philosophisches Leben und vollendete seine Werke größtenteils in anhaltenden nächtlichen Arbeiten; er blieb den meisten Teil des Tages allein auf seinem Zimmer und soll es oft tage: lang nicht verlassen haben. In stiller, beschaulicher Forschung durchdrang er die Tiefen des Menschengeistes und erforschte seine ewigen Geseze. Arm, wie er war und stets geblieben ist, mußte er sich durch das Schleifen optischer Gläser den Unterhalt des Lebens verdienen. Er hatte es im Schleifen solcher Gläser für Brillen, und besonders für optische Instrumente, was er wahrscheinlich um die Zeit seiner Erkommunikation erlernt hatte, zu einer gewissen Meisterschaft gebracht, so daß nach seinem Tode noch die von ihm geschliffenen Gläser um hohen Preis verkauft wurden. Aber diese Beschäftigung sollte für ihn eine verhängnisvolle werden; indem das Einatmen des Glasstaubs nicht wenig dazu beitrug, sein Ende zu beschleunigen. Spinoza hat sich seine einsame Selbständigkeit bis zum lezten Atemzug bewahrt. Er lehnte jedes Geldgeschenk ab, womit ihn seine Freunde gerne unterstützt hätten, und als Simon de Vries ihn zum Erben seines Vermögens cinsezen wollte, bat er den Freund, daß er die Erbschaft dem eigenen Bruder überlassen möge. Nach dem Tode seiner Eltern überließ er den Anteil seines Vermögens freiwillig seinen Schwestern, ein Bett ausgenommen. Im Jahre 1673 erhielt Spinoza von dem Kur fürsten Karl Ludwig von der Pfalz in den ehrenvollsten Ausdrücken einen Ruf an die philosophische Lehrstelle der Landesuniversität Heidelberg . Spinoza lehnte aber das Anerbietem mit feinem Anstande ab. Obgleich ihm die vollste Freiheit zu philosophiren zugesichert war, ward doch der Berujung hinzuge fügt, der Fürst vertraue, daß er diese Freiheit nicht gegen die öffentlich festgesezte Religion anwenden werde. Spinoza verstand diese zweideutige Beschränkung und bewahrte sich seine Unabhängigkeit und Freiheit.
Auf Spinoza selbst hat dieser Fluch nicht den mindeſten Eindruck gemacht; ein philosophisches Lächeln des Mitleids und ein furzer Protest in spanischer Sprache war seine Antwort. Seine Gedanken beschäftigten ihn zu ernstlich und ließen ihm nicht Zeit, auf die Bannstrahlen des Fanatismus zu achten. Er hörte auf, Jude zu sein, ohne zum Christentum überzutreten. Er war der erste Konfessionslose". Den jüdischen Namen Baruch vertauschte er mit dem gleichbedeutenden lateinischen Benedikt. Es genügte jedoch den Rabbinen nicht, ihn erfommunizirt zu haben, sondern sie veranlaßten auch den Magistrat von Amsterdam ,„ welcher der Synagoge nicht entgegen sein wollte," ihn aus der Stadt zu verbannen. Der Verbannte begab sich zunächst zu einem Freunde in der Nähe von Amster dam ; von hier ging er nach Rhynsburg bei Leiden, wo er nur wenige Monate blieb. Darauf, im Sommer 1664 nahm er seinen Aufenthalt in Vorburg, eine Stunde vom Haag und endlich auf das Bitten seiner Freunde, ungefähr 1670, im Haag selber, wo er bis zu seinem Tode verweilte.
Die Bedürfnislosigkeit Spinozas grenzt ans Fabelhafte. Zwanzig Pfennige reichten hin, um ihm sein tägliches Leben zu fristen. Oft genoß er im Tage blos eine Milchsuppe mit Butter zubereitet und einen Krug Bier, oder Grüze mit Trauben. In einem ganzen Monat trank er nur eine Kanne Wein. Gerne rauchte er auch eine Pfeife Tabat. In seinem stillen Denker leben beschäftigte er sich häufig mit Zeichnen, worin er es so weit brachte, daß er mit Kohle oder Tinte Porträts verfertigen konnte. In seinem Umgang zeigte er sich gegen seine Hausgenossen höchst anspruchslos, freundlich, teilnehmend. Oft unter hielt er sich mit seinen Hausleuten, dem Maler van der Spyk und dessen Frau, wobei es ihm nie einfiel, den Glauben dieser Leute durch irgend eine Aeußerung zu stören. Für Freunde und Gelehrte, die seine Befannschaft suchten, hatte die unbeschreib liche Milde und Humanität, die Heiterkeit, die über sein ganzes Wesen verbreitet war und sich in den Aeußerungen seiner Ansichten vielfach fundgab, in Berbindung mit der geistreichen Behandlung aller Gegenstände des Gesprächs, unsäglichen Reiz. Sein Humor war durchaus freundlich, sein Scherz so gehalten, daß die zartfühlendsten und ernsthaftesten Männer sich daran sondern ein höchst liebenswürdiger Weltweiser. ergözten. Er war ein Philosoph, aber nicht ein Sonderling,
schon längst befallen, doch glaubte niemand, daß sein Ende so Spinoza starb wie er lebte. Er war von der Schwindsucht nahe sei. Am 22. Februar 1677, am Samstag vor den Faſten, ging der Hausherr mit seiner Frau zur Kirche. Als er um vier Uhr nachhause zurückkehrte, fam Spinoza aus seinem Zimmer zu ihm herab und unterhielt sich mit ihm lange. Nachdem er zurück und legte sich früh zu Bette. Am Sonntag Morgen fam eine Pfeife Tabak geraucht hatte, ging er wieder in sein Zimmer sein Freund, der Arzt Ludwig Mayer aus Amſterdam an, den er bestellt hatte, und dieser trug den Leuten im Hause auf, gleich einen Hahn zu sieden, damit Spinoza gegen Mittag die Brühe davon genießen fönne. Diese nahm er denn auch mit gutem Als die Hausleute vom Nachmittagsgottesdienst heimkamen, vers Appetit zu sich. Nachmittags blieb der Doktor allein bei ihm. gegen drei Uhr in Gegenwart des Arztes verschieden sei. Ein nahmen sie zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß Spinoza