Die Scene Well

№o 6.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

Erscheint alle 14 Tage in Heften à 25 Pfennig und ist durch alle Buchhandlungen und

Postämter zu beziehen.

Am Nordpol .

Nach dem Englischen von. Olliverio.

An den zwei nächstfolgenden Tagen wütete der Sturm und die Passagiere waren nicht imstande, ihre Zimmer zu verlassen. Jezt aber, da sich der Wind gelegt, das Schiff Anker geworfen hatte, jezt, da Offiziere wie Passagiere am Land waren und mehrere freie Stunden vor sich hatten, ergriff Clara die Gelegen­heit, auf die Vermißten zurückzukommen und darauf bezügliche Fragen zu stellen, welchen zu entgehen Crayford diesmal feine Ausrede finden konnte. Wie sollte er ihren Forschungen be­gegnen? Wie fonnte er sie noch länger im unklaren über die Wahrheit lassen?

Das waren die Gedanken, welche Crayford bestürmten und ihn, den erst Geretteten, in dem eigentümlich widersprechenden Lichte eines gedrückten, bekümmerten Mannes zeigten. Seine Kameraden schoben ihm, wie er recht gut wußte, die Pflicht der Verantwortlichkeit hauptsächlich zu. Nahm er sie an, so mußte er sofort den entsezlichen Verdacht Claras bestätigen. Dem mußte gesteuert werden. Aber wie, barmherzig und ehrenhaft zugleich? Das war mehr als Crayford sagen konnte. Er stand noch in seine düsteren Gedanken verloren, als seine Frau in die Hütte trat. Ein Blick auf ihr Gesicht genügte, um zu wissen, daß sich seine eigene Unruhe und Besorgnis in ihrer Seele widerspiegelte.

" Hast du Clara gesehen, ist sie noch am Ufer?"

" Sie folgt mir hierher," antwortete Frau Crayford. Ich habe sie heute Morgen gesprochen. Sie besteht noch eben so entschieden darauf wie früher, von dir die nähern Umstände, unter denen Franz vermißt wird, zu hören. Wie die Sachen ſtehen, bleibt dir fein Ausweg, du mußt ihr antworten."

" Hilf mir, Lucie. Sage mir, che sie fommt, woher ihr zuerst der entsezliche Verdacht kam. Sie konnte, als wir Eng­land verließen unmöglich mehr wissen, als daß die beiden ver­schiedenen Schiffen zugeteilt waren. Wie bemächtigte sich ihrer der Argwohn, daß sie zusammengekommen wären?"

Schon als die Expedition England verließ, war sie fest überzeugt, Wilhelm, daß sie zusammenkommen würden; und fie las in Büchern über Nordpolreisen von Leuten, welche auf dem Marsche hinter ihren Kameraden zurückgeblieben waren, von anderen, welche auf Eisbergen herumtrieben. Den Geist

1883

[ 1882]

( 5. Fortsezung.)

mit dergleichen Bildern und Befürchtungen erfüllt, sah sie Franz und Wardour, oder träumte von ihnen in einem ihrer magneti­schen Schlafanfälle. Ich war an ihrer Seite, ich hörte jedes ihrer Worte. Sie warnte Franz vor Wardour, weil er die Wahrheit eutdeckt hätte, und rief ihm zu:, So lange dich deine Füße tragen, halte dich zu den anderen, Franz!-

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" Großer Gott!" rief Crayford, ich warnte ihn, als ich ihn zum leztenmale sah, fast mit denselben Worten!"

Gib ihr das niemals zu, Wilhelm, laß sie stets in Un­wissenheit darüber, was du mir soeben sagtest. Sie würde es nicht als ein befremdendes Zusammentreffen, was es ja in der Tat ist, ansehen, sondern als bestimmte Bestätigung ihres ab­scheulichen Aberglaubens hinnehmen. So lange du nicht mit Gewißheit weißt, daß Franz tot und durch Wardours Hand gefallen ist, so lange leugne alles ab, was sie sagt, leite sie um ihretwillen falsch, widersprich all ihren Schlüssen, wie ich. Hilf mir, sie an den besseren, edleren Glauben an ein gütiges Geschick Still!" verweisen!" Sie brach ab und schaute sich aufgeregt um. flüsterte sie darauf," tue, wie ich dir gesagt. Clara ist hier."

XVII.

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Clara blieb in der Türe stehen und sah mißtrauisch von

Crayford zu Lucie. Dann trat sie näher, ging auf Crayford zu, ergriff seinen Arm und führte ihn einige Schritte von seiner Frau fort.

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" Jezt ist kein Sturm und es rufen keine Pflichten auf Deck des Schiffes," sagte sie mit schwachem, traurigen Lächeln, welches Crayford ins Herz schnitt. Sie sind Luciens Gatte und haben ihretwegen Interesse für mich. Schrecken Sie nicht davor zurück, mir Schmerz zu bereiten. Ich kann Schmerzen ertragen. Freund, Bruder! Wollen Sie mir glauben, daß ich Mut genug besize, das Schlimmste zu hören? Wollen Sie mir Ihr Wort geben, mich nicht über Franz zu täuschen?"

Die sanfte Ergebung, die in ihrer Stimme, das traurige Flehen, das in ihrem Auge lag, erschütterte Crayfords Selbst­beherrschung im höchsten Grade. Er antwortete ihr so unbe­