-

-

ein

einer anderen europäischen Macht staatlich annektirt worden ist. Gibt es irgend eine deutsche   Faktorei, welche auf herrenlosem Gebiete gelegen wäre? Man geht nach Amerika  , nach Australien  , nach Japan  , auch nach Afrifa, aber immer erst dann, wenn die andern Mächte geordnete und sichere Zustände geschaffen haben. Ein selbständiges Vorgehen abgesehen von einigen Ausnahmen, z. B. dem Godefroyschen Unternehmen Gründen von Faktoreien in herrenlosen Ländern, wie die fran­zösischen, britischen und holländischen Kaufleute es tun, wie die spanischen   und portugiesischen es taten, kennen die deutschen  Kaufleute nicht. Wir haben nicht einmal einen Rubattino*), der uns eine Assabbai kaufte! Obgleich wir hundert Kaufleute haben, welche reicher als Rubattino sind, obgleich wir hundert Fürsten und Grafen haben, welche mehr Geld und Einfluß als Rubattino befizen."

Sonderbar! Ein selbständiges Vorgehen kennen die deutschen Kaufleute sammt den sonstigen Kapitalisten, selbst sammt Grafen und Fürsten  , in solchen Angelegenheiten wie Kolonisation nicht, wie Herr Rohlfs ausführt, und dennoch soll Deutschland   auf seine Kapitaliſten als notwendige Vorgänger und Wegbereiter der Regierung warten.

Daß wir da lange warten können, das wird Herr Rohlfs nach seinen vorher wiedergegebenen Ausführungen selbst nicht bestreiten.

Die auf den ersten Blick äußerst sonderbar erscheinenden Widersprüche, in die sich der Herr Sachverständige verwickelt hat, muten den, welcher unsre politischen Verhältnisse und Par­teien fennt, nicht allzu wunderlich an.

Die Logik des Herrn Rohlfs ist über eines der vornehmsten Parteidogmen des deutschen Liberalismus gestolpert, erklärt alles.

-

das

Dieses Dogma lautet: Die Regierung hat sich in die An­gelegenheiten des Kapitals nicht einzumischen. Und Angelegen heit des Kapitals ist schließlich in irgend einer Beziehung alles, in allen wesentlichen Beziehungen sogar für den, der die Welt bom Standpunkte des Börsenkapitalisten betrachtet.

Auch dieses Dogma gehört zu den leicht erklärlichen Dingen. Das mit Kapital, aber nicht mit altadeligen, von Urzeiten her bevorrechteten Ahnen gesegnete Großbürgertum, welches im Konzert des politisch- wirtschaftlichen Liberalismus die erste Violine spielt, nimmt erst seit einigen Jahrzehnten hervorragenden Anteil an der Leitung der Völkergeschicke; es betrachtet die mit dem hohen Adel verschwisterten und verschwägerten, von ihm gestüzten und umworbenen Regierungen als Bundesgenossen, die imgrunde seine Konkurrenten sind und auf deren Geschäftsfreundschaft nur solange zu rechnen ist, als sie einen bedeutsamen Teil der Macht, die sie zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz und ihres Ansehens brauchen, von den Magnaten des Geldes leihen oder irgendwie einhandeln müssen.

Darum gilt die Parole: wir dürfen die Regierungen nicht selbständig, vor allem nicht so kapitälmächtig werden lassen, daß sie nicht vor oder nach jeder Haupt- und Staatsaktion zu uns an die Börsen zu kommen und uns um die immerdar unum­gänglich nötigen Mosen und die Propheten ergebenst zu ersuchen brauchen. Ferner erscheint es aus demselben Gesichtspunkte für vorteilhaft, die Regierungen bei dem Volke möglichst wenig in den Geruch kommen zu lassen, daß sie etwas für Land und Volk Nüzliches tun könnten, ohne die Initiative, das anspornende Vorbild, den energischen Vortritt und die ganz unentbehrliche Bundesgenossenschaft des, nach dem Schillerschen Motto: Seid umschlungen Millionen diesen Kuß der ganzen Welt- diese die ganze Welt nämlich an seinem warmen Busen hegenden und pflegenden, freien" Großkapitals.

-

-

-

Solchem Zwecke zu dienen, werden nun alle Mittel in Be­wegung gesezt und über jeden Kezer und Verräter an der gol­denen Freiheit der gesammten Volkswirtschaft gerufen, der von

*) Raffaele Rubattino  , der bedeutendste unter den Schiffs­rhedern Italiens  ; derselbe, der sich 1860 die Dampfer Lombardo und Piemont aus dem Hafen von Genua   wegnehmen ließ, auf denen Garibaldi  seine Freischaaren nach Sizilien   führte. Er starb Ende vorigen Jahrs.

159

der Regierung bei irgend einer Gelegenheit mehr verlangt, als sich aufs Zusehen zu beschränken.

In der Kolonialfrage ward die Parole ausdrücklich und gänz lich jedes Mißverstehen wie jede liberale Privatmeinung aus­schließend gegeben,- dies genügte auch Herrn Rohlfs so voll­ständig, daß er auf der einen Seite seiner Abhandlung der deutschen   Regierung zuzumuten wagte, sie sollte sich Marokko  oder Korea   in die Tasche stecken, obschon das ohne Krieg und ohne bedenklichen Konflikt mit andern europäischen Großmächten nicht zu machen ist, während er auf zwei anderen Seiten derselben Abhandlung für geboten erklärt, der Besizergreifung herrenloser Ländereien durch den Staat müsse die Besiedlung durch Private vorangehen, weil das allein gesunde" Kolonisation sei und weil die Regierung das Land nicht in Verwicklungen" mit andern Mächten stürzen dürfe.

"

Ich sagte: die liberale Parole war ausgegeben, und ich habe nur nötig, auf die Verhandlungen des Volkswirtschaftlichen Kongresses" hinzuweisen, der vom 21. bis 23. Oftober 1880 in Berlin   stattgefunden hat, Verhandlungen, an die sich Herr Rohlfs vielleicht nicht erinnert hat, als er seinen Aufsaz schrieb, deren Resultat aber auch auf ihn oder diejenigen Gesellschaftskreise, mit denen er geistig zusammenhängt, ihren Einfluß nicht ver­fehlt hat.

Der Kongreß diskutirte u. a. die Auswandrungs- und Kolo­nisationsfrage und kam zu folgendem Beschluß: Während der Reichsregierung die Pflicht obliegt, die Auswandrung auf Grund bestehender Geseze unbehelligt zu lassen, sie aber vor Ausbeutung und Bedrückung zu schüzen(!), hält es der Volkswirtschaftliche Kongreß für nicht zulässig, daß auf Kosten der Gesammtheit und zu Gunsten einzelner Klassen(!) teure und aussichtslose, wenn auch wohlgemeinte Versuche mit Errichtung irgend welcher Art von Kolonien angestellt werden."

Der Kongreß hatte einen gleichfalls ungemein sachverständigen Mann, den Herrn Dr. Fr. Kapp, zum Referenten in dieser Frage bestellt und dieser sprach sich u. a. folgendermaßen aus:

Die englischen Kolonisten haben von Anfang an mit allen nur denkbaren Unglücksfällen, mit der Härtesten Not, mit großen Entbehrungen und Sorgen zu kämpfen gehabt. Es hat bei ein­zelnen Jahrzehnte, bei anderen Jahrhunderte gedauert, ehe sie nur ihr Dasein notdürftig fristen fonnten. Die Regierung hat sie gewähren lassen, hat sich anfangs nicht um ihr Gelingen oder Mißlingen gekümmert und daran im ganzen sehr wol ge­tan. Tatsächlich regierten die englischen Kolonisten sich selbst: sie sind aber jener dafür Dank schuldig, daß sie jeden Ein­wanderer sich auf seine eigenen Füße stellen ließ, daß sie ihn seine Selbstständigleit und Verantwortung fühlen lehrte. Ein Kolonist wird nie etwas, wenn er von andern gelenkt wird oder auf dritte sich verläßt; es darf sein Schicksal von Anfang an nicht zu bequem und er muß von niemandem abhängig sein. Er muß sich auf eigenen Füßen den Weg bahnen und kann nur sich selbst verantwortlich sein. Der Einwanderer muß in die Höhe kommen oder zugrunde gehen- ein Drittes gibt's nicht. Sich so sachte in die Verhältnisse hineinschlängeln, das ist unmöglich. Er muß mit seiner ganzen Persönlichkeit für sein Fortkommen eintreten, sonst wird nichts aus ihm und mit ihm. In einer Kolonie und das ist gerade der große volks­In einer Kolonie psychologische Gesichtspunkt, der das Studium der Ko­lonien so interessant macht- trächtigste, schlechteste Schurke neben den anständigsten Mann, das sogenannte verbummeltste Genie, der Schiffbrüchige, der seinen Beruf verfehlt hat, neben den ehrlichsten von den besten Absichten beseelten Neuling. Leichtsinn und Bosheit, Laster und Verbrechen treffen namentlich in einer neuen Kolonie mit gutem Willen und ehrlichem Denken zusammen, und alle diese Be­standteile einer erst werdenden Gesellschaft unternehmen ge­meinschaftlich den Wettlauf nach dem Glück. Diesen Leuten schreibt niemand ihre Konduitenliſten; sie tun es selbst, mit dem Revolver und dem Bowieknife  "; aber es ist ein herr­licher Beweis für die Unverwüstlichkeit der guten Menschen­natur, daß wenn man diesen Kampf um's Dasein sich allmälich

-

da stellt sich der nieder­