Kopf und den feurigen und doch sanften Augen des Herrn Ferrand Rodrigo.
,, Dem kann es nicht an Erobrungen fehlen", sagt die eine.
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" Da irrt ihr euch sehr", sagt die andere.„ Der fragt nach niemand; er ist verheiratet und wohnt mit seiner Frau bei meiner Tante. Sie soll aber ein Scheusal sein, eine wahre Xantippe. Tag für Tag regnet es Schläge in ihrer Wohnung, und was das Beste ist, nicht er prügelt sie, nein, umgekehrt, sie prügelt ihn."
Die übrigen lachen die Erzählerin aus. Auch uns erscheint das Gesagte als der helle Wahnwiz. Dieser allem Anschein nach so rüde Patron wär' der lezte, sich prügeln zu lassen. Oder sie muß ein Riesin sein und ihm an Körperkraft überlegen, so daß den Prügeln stets ein Ringkampf voranzugehn pflegt. Dann ist es allenfalls möglich.
Seine Frau holt ihn jeden Abend aus dem Teater ab, aus Eifersucht, er könne einmal eine andere nach Hause bringen."
Rrrr, ein ander Bild. Ueber die Chansonette haben wir den Herkules ziemlich vergessen. Bald haben wir den ganzen Schwindel satt und brechen wenig erbaut auf.
Wie wir den Hausflur passiren, schreitet eine auffallend häßliche Frauensperson an uns vorüber. Ist das ein giftiger Blick, ist das ein verbissener Mund, ist das eine breitgedrückte Nase, sagen wir unwillkürlich. Jenes gewisse Etwas in Kleidung und Benehmen, das schwer zu definiren, aber auch schwer zu verkennen ist, verkündet, daß die Person zum Bau" gehört, nämlich zur Künstlerschaar des Theatre variété, oder wenigstens als Gattin oder Verwandte Fühlung mit diesen Kreisen hat. Mit besonderem Raffinement hat die kleine, ganz abscheuliche Dame durch ungewöhnlich große Ohrringe, durch Brosche, Ringe, kostbaren Belzbesaz ihre Häßlichkeit in allen Einzelheiten auffallend gemacht. Wie vom bösen Geist getrieben, trippelt sie auf und nieder, den Vorübergehenden in unverschämter Weise den Weg vertretend. Wir bleiben einen Augenblick stehen, das Naturwunder von Häßlichkeit und pfauenartiger Gespreiztheit anzustaunen.
Da öffnet sich die Tür zu den Garderoberäumen des Künstlerpersonals, und heraus tritt, in einen einfachen dünnen Rock gehüllt, einen etwas schäbigen Calabreser auf dem Kopf, einen dicken wollenen Shawl um den Hals gewürgt, der schöne" Rodrigo. Ihn erblicken und mit einer Flut von Schimpfreden auf ihn losstürzen, ist bei dem kleinen Monstrum von Häßlichkeit eins. Wie gebannt bleibt er stehn und blickt mit tötlich verlegenen Blicken auf das Publikum, das sich rechts und links ansammelt.
" Ist das ein Benehmen für einen Ehemann? Mit den geschminkten Dirnen will der Kerl sich umhertreiben! Du niederträchtiger Mensch, du Betrüger, komm' du mir blos nach Hause!" Mit solchen Invektiven fährt und zischt sie in ihn hinein wie eine giftige Schlange. Plözlich packt sie ihn am Handgelenk und zieht ihn auf die Straße hinaus und fort. Er stolpert geduldig mit.
Wir sehn uns groß an. Ist es die Menschenmöglichkeit? Das ist die Omphale des Herkules ; vor ihr beugt sich der Gewaltige, um sie demütigt er sich? Aber Omphale war schön, war eine Fürstin. Sie hingegen ist ein Ausbund von Häßlichkeit und offenbar von Gemeinheit. Wie hängt das Wunder zusammen?
Das muß ergründet werden.
Von dort kommt das Gekeife. Das sind sie. Wir gehen fünf Schritte hinter ihnen. Es weht eine eiskalte Nachtluft uns entgegen. Dank ihr entgeht uns kein Wort.
" Du miserables Subjekt, du verdienst meine Liebe gar nicht, wenn du mich auf solche Weise hintergehst," schreit sie. Er hält den Shawl vor's Gesicht, denn er ist noch über und über in Schweiß, und versezt mit einem so grundgütigen, herzlichen, schlichten Ausdruck, wie dessen nur ein gutes, wohlwollendes Herz und ein schuldfreies Gewissen fähig ist:
Mein liebes Mäuschen, ich wiederhole dir nochmals, du irrst. Beruhige dich doch; es ist mir nicht eingefallen, mit einer der Chansonetten ein Wort zu sprechen. Ich weiß, du wünschest es nicht; gut, ich unterlasse es. Ich kümmere mich um niemand."
Du infamer Lügner," feist sie und versezt ihm einen Fußtritt, ,, ich habe im Publikum gestanden, ganz hinten, und habe wohl gesehn, wie du mit Miß Wanda, die in den Kulissen stand, kokettirt hast."
Er will etwas erwidern und verfällt in einen starken Husten. Sie läßt ihn nicht zur Ruhe kommen und schimpft, daß unser Innerstes sich empört.
Wie kann sie es wagen, den Löwen so zu reizen? fragen wir uns. Ein Druck seines kleinen Fingers und er fann sie zerknicken wie eine Binse. Seine Großmut ist es also, die der Bankteufel mißbraucht. Horch, er verteidigt sich wieder:
„ Sieh, ich habe dich so lieb, daß mir nicht der Gedanke an eine Untreue beikommt. Das schönste Weib kann mich nicht fesseln, weil ich dir zu gut bin, weil ich mich zu deinem Beschüzer und Ernährer gemacht habe. Haben wir nicht so viel trübe Zeiten mit einander Surchgemacht, wie könnte ich das jezt vergessen, da es uns gut geht?"
Mit diesen Worten schlingt er seinen Arm um ihre Taille und neigt sich zärtlich zu ihr nieder. Plözlich erfolgt ein Schlag. Er fährt zurück, sie hat es gewagt, dem Herkules eine Ohrfeige zu geben! Er erwidert kein Wort, hält sich die Wange und schreitet geduldig mit ihr weiter.
So viel Bartgefühl, so viel Rücksicht gegen das schwache Geschlecht, so viel Großmut bei so viel strozendem Ueberschuß von Kraft! Wir
haben uns sehr in ihm getäuscht; aber ein Rätsel, ein Widerspruch bleibt es trozdem, ein Spiel der launigen Natur!
Ein Jahr nach jenem Abend im Theatre variété war verstrichen. Wir hatten die Geschichte mit dem Herkules und seiner Omphale schon halb vergessen, als uns der Zufall wieder in jenes Lokal führte. Die Programme verkündeten unter anderem:„ Erstes Wiederauftreten des Herrn Ferrand Rodrigo, genannt der Herkules des Jahrhunderts, nach seiner Krankheit."
Wir sollten unsern Freund wiedersehen; aber wie? Statt des vollen Haupthaares einige spärlich gesäte Härchen, das Gesicht gealtert, die Miene finster, das Licht der sonst so freundlichen Augen erloschen. Woher diese Beränderung'
Der Nachbar, ein Habitué, war auch wieder da und erteilte uns folgende Auskunft:„ Eine Erkältung, die er sich an jenem Abend zugezogen haben mußte, warf ihn auf's Lager. Er wurde ins Krankenhaus geschafft. Er hatte eine Lungenentzündung und schwebte am Rand des Todes. Die Aerzte gaben ihn auf. Da verließ ihn auch seine Frau treuloser Weise. Sie, an die er seinen ganzen Verdienst gehängt hatte, die in Gold und Seide prangte, während er beinahe dürftig einherging, vor der er niederkniete, um sich schlagen zu lassen die denn sie war zu klein, um an ihm hinauflangen zu können, er liebkoste, während sie ihn zauste und mißhandelte, sie verließ ihn und ließ ihn in bitterer Armut zurück. Der Schmerz um ihren Verlust zog ihm ein Nervenfieber zu. Aber seine starke Natur ließ ihn genesen. Seine Kolleginnen erzählen, er sei still und menschenschen geworden; sehn Sie nur, mit wie viel Anstrengung im Vergleich zu früher er produzirt."
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Wir konnten den Mann nicht ohne Rührung betrachten. Er war roh und ungebildet. Die Liebe hatte ihn geadelt und nun brochen. Er, der Robuste, war in seinem Gefühlsleben unbegreiflich fein, zart und weich.
Ein ungekröntes Preisgedicht.
Vor einiger Zeit schrieb die Wiener ,, Deutsche Zeitung" eine Preiskonkurrenz für die beste österreichische Hymne" aus. Nachstehendes Gedicht wurde von einem( etwas naiven) Boeten eingeschickt und natürlich nicht ,, gekrönt".
Wo Kraft und Mut 2c.
Ob frei und fühn in lauter Städte Mitte Der deutsche Geist die Adlerschwingen regt, Ob treu und schlicht die deutsche Art und Sitte Ein einsam Haus im stillen Walde hegt- Es braust in dieser Stunde
Von deutscher Männer Munde:
Und wär's euch allen noch so unbequem Wir sind und bleiben deutsch , troz alledem!
Was wir erkauft mit Blut und Schweiß und Tränen, Was wir erkämpft in ehrlichem Gefecht, Wir haltens fest mit Nägeln und mit Zähnen, Wir steifen uns auf unser gutes Recht. Ihr mögt die Lippen nagen
Uns wird man nicht verjagen; Ob klar das Auge, ob es trüb und naß, Wir sind und bleiben deutsch , in Lieb und Haß!
Wir waren stets das Bindeglied der Stämme, Und wenn die Flut von Süd und Osten droht, Wir sind der höchste, festeste der Dämme Wozu an beiden rütteln ohne Not? Es wird euch wenig frommen, Ihr werdet weit nicht kommen,
Und wir uns beugen? Ist nicht deutscher Brauch! Wir bleiben Deutsche, bis zum lezten Hauch!
Von Lissas Strand zum Paß des roten Turmes Ruft zu den Waffen mahnend uns die Pflicht. Schon sind die Boten da des großen Sturmes Er komme nur! es ist der erste nicht! Es ward in diesen Landen So mancher überstanden!
Gesunde Kraft, sie jauchzt in der Gefahr: Wir sind und bleiben deutsch auf immerdar!