Aufopferung zu danken hatte, womit er junge Talente förderte und unterstüzte*). Dabei muß er von außerordentlich liebenswürdigem Wesen und von den anziehendsten geselligen Formen gewesen sein.
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Die gleimsche Porträtsammlung nimmt das Interesse eines jeden, der die Kenntnis der Vergangenheit unseres Vaterlandes zu schäzen weiß, im höchsten Grade in Anspruch. Auch der Schreiber dieser Skizze hat stundenlang vor jenen Bildern gestanden, die eine entschwundene Welt darstellen und wo ein Karakterkopf prächtiger als der andere uns das titanische Kämpfen und Ringen in der Gedankenwelt des achtzehnten Jahrhunderts vergegenwärtigt. Da sieht man Klopstock mit dem mystisch verklärten Antliz, und Herder, den heißen Verehrer der fran zösischen Revolution mit seinen energischen Zügen; Wieland mit seinem spießbürgerlichen Gesicht, das auf die sinnliche Glut seiner Dichtungen nicht schließen läßt; Ewald von Kleist in seiner phantastischen Tracht, der bei Kunersdorf fiel; die Karschin mit nichts weniger als schönen Zügen und zahnlosem Munde; Heinse , den Verfasser sozialistisch angehauchter Romane, der zugleich in der Gnade des lezten Kurfürsten von Mainz stand; die beiden Stolbergs mit ihren karakteristischen Gesichts zügen, den demokratischen Voß mit seiner Lehrerphysiognomie; Göckingt, den Sänger lustiger Liebeslieder, Jakobi, Weiße und wie sie alle heißen mögen. Viele Fürsten , Prinzen und Prinzessinnen blicken auf den Beschauer herab, darunter der alte Friz, von dem auch ein eigenhändiger, natürlich französischer Brief vorhanden ist. Eine Silhouette der von Cagliostro beschwin delten Freundin Tiedges, Elisa von der Recke , ist auch da, und weiterhin blickt uns ernst an der„ Spaziergänger nach Syrakus ", J. G. Seume , herrlicher Karakter und vielleicht deshalb großer Unglücksmensch. Die Krone der ganzen Sammlung aber bildet ein großes Porträt Lessings, so schön und sprechend, wie ich es noch nirgend gesehen. Das blaue Gewand paẞt trefflich zu dem hellen Haar. Aus diesen Augen blizt und funkelt der neue Geist des achtzehnten Jahrhunderts, und von der breiten Stirn strahlt jener Lichtglanz, vor dem die Reptilien und Nachtvögel in ihre Höhlen gescheucht wurden. Etwas Majestätisches und Sieghaftes geht von dieser erhabenen Erscheinung aus; solch hinreißendes Bildnis ist mir noch selten vor Augen getommen. Der Maler ist nicht bekannt geworden.
Wie ich mich so stumm unterhielt mit diesen großen Zeugen unserer Geisterrevolution des achtzehnten Jahrhunderts, da fiel mein Blick auch auf ein unscheinbares Bild, das einen Mann von etwa 40 Jahren vorstellte. Trüb und kummervoll schaute er mich an, und seine Miene schien zu verkünden, daß der, so diese Züge trug, den Kelch bitterer Leiden bis auf die Neige geleert habe. Es war nichts Auffallendes an dem Bilde, auch fand ich keinen bekannten Zug in dem melancholischen Gesicht. Und dennoch zog es immer wieder meinen Blick an, bis ich den Katalog aufschlug und zu meinem Erstaunen für den traurigen Unbekannten einen Namen fand, an den ich am wenigsten gedacht: Gottfried August Bürger .
Lange hab' ich vor jenem Bilde gestanden. Es ist von Tischbein gemalt und hat zu den Porträts von Bürger, die man gewöhnlich sieht, nicht die entferntesten Beziehungen. Sonst sieht man bei Bürger ein rundes Gesicht, Augen, in denen der Schalt steckt, und zwei große runde aufgerollte Perrückenlocken an jeder Schläfe. Davon hier keine Spur. Eine hagere, engschulterige, eingefallene Büste, die Stirn schmal, die Nase langgebogen und spizig, die Wangen eingefallen, die Augen traurig blickend. Ueber der ganzen kränklichen Physiognomie liegt eine Wolfe von Gram, Unmut, furz, es ist ein Dulderhaupt, das uns aus der alten Leinwand anschaut. Und Tischbein hat Wahrheit gemalt.
So muß er ausgesehen haben, der geniale und unglückliche
*) Unser geehrter Mitarbeiter ist da doch wohl im Irrtum. Die Zeitgenossen, auch die bedeutendsten, z. B. Goethe, schäzten Gleims Verse, die uns allerdings unbedeutend erscheinen, sehr hoch und von ihrem Standpunkte aus mit vollem Rechte, übten sie doch zumteil, insbesondere die„ Lieder eines preußischen Grenadiers", mächtige WirRed. d.„ N. W. " fung auf weite Volkskreise.
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Bürger, als das Elend ihn umnachtete und der finstere Gram die Krallen in seine weiche Seele schlug. Zwiefaches Leid zerriß sein Herz: das tiefe Leid der Liebe zu einem beglückenden Wesen, das er nach den härtesten Kämpfen endlich errungen glaubte und das ihm der grimme Tod grausam entriß, und der Schmerz verlorenen Strebens, den ein Dichter ,, den schwersten Schmerz, der je die Menschenbrust durchzuckt", nennt. Bürger von dem„ Makulatur- Lorbeer", wie Heine spöttisch die Unsterblichkeit der Poeten bezeichnet, viel hielt, weiß ich nicht zu entscheiden; auf alle Fälle hätte er sich gerne bei Lebzeiten irgendwo ein warmes Nest gebaut, und daß ihm dies nicht gelang, dafür konnte ihn die Aussicht auf künftige Denkmäler schwerlich trösten.
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Der Sänger so vieler lustiger Lieder kann persönlich kein Sauertopf gewesen sein. Wir vernehmen denn auch, daß er ein lustiger Gesell war, vielleicht etwas zu lustig, wo er manchmal hätte ernster sein müssen in seinem eigenen Interesse. Aber die ewigen Jeremiaden über sein„ ausschweifendes Leben" sind, däucht mir, der Ausdruck einer scheelen Philisterkritik. Denn als das Gestirn Bürgers strahlend aufstieg, als der Name des jugendlichen Stürmers und Drängers von seiner„ Lenore" durch ganz Deutschland getragen wurde, da war auch die Zeit der hochgespreizt einherschreitenden Adels- und DomHerren, die Zeit einer brutalen Bureaukratie, die Zeit eines in Knechtschaftsdünkel wir wissen feinen bezeichnenderen Ausdruckversunkenen Bürgertums, und alle diese Elemente haßten den echt demokratischen, freimütigen Ton, den Bürger anschlug. Wer übrigens das Studentenleben im allgemeinen kennt und wer sich aus den alten Chroniken einen Begriff gemacht hat, welche Roheiten man noch im vorigen Jahrhundert bei dem deutschen Studententum als selbstverständlich ansah, der wird wohl wissen, wie leicht es ist, einen flotten Bruder Studio der Ausschweifung" zu beschuldigen. Diese bequeme Gelegen heit haben denn auch Bürgers Feinde wacker ausgenuzt, und mancher wohlbeleibte Pastor, der über Bürgers„ Frau Schnips" Zeter schrie, hatte es vielleicht bei den Göttinger Landsmannschaften toller getrieben, als der arme Bürger.
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Ein Poet wie Bürger, eine solche ganz im Dienst der Musen aufgehende Natur war nicht zu einem strengen Berufe geeignet. Seine Feinde bezeichneten das natürlich als Liederlichkeit und Faulheit. Nun, Bürger war kein flacher Bielschreiber und pflegte die dichterische Inspiration abzuwarten. Darum quoll auch bei ihm so herrlich und so formenschön wie bei sehr wenigen andren der goldene Strom der Sprache und seine Verse erreichten eine hohe Vollendung und herzbewegenden Wohllaut.
Bürger war kein Rechnungsträger. Wie sein Herz, so schlug auch seine Leier an, bestimmt, die zu erheben, die unter den Zeitverhältnissen litten. Ein Zug von unbeugfamem Stolz und Troz geht durch die Poesien Bürgers. Das fleine Gedicht " Mannstroz" fündigt uns die Stärke seiner Gesinnungen vor allen an:
So lang ein edler Biedermann
Mit einem Glied sein Brod verdienen kann,
So lange schäm' er sich, nach Gnadenbrod zu lungern! Und tut ihm endlich keins mehr gut,
So hab er Stolz genug und Mut,
Sich aus der Welt hinaus zu hungern!
Diese heroische Vorschrift ist für Bürger keine Phrase ge blieben. Sein„ Mittel gegen den Hochmut der Großen" stellt sich dem„ Mannstroz" ebenbürtig zur Seite:
Biel Klagen hör' ich oft erheben Vom Hochmut, den der Große übt; Der Großen Hochmut wird sich geben, Wenn unsere Kriecherei sich gibt!
Oder das bekannte Gedicht, in dem ein Bauer seinen„ durchlauchtigsten Tyrannen" nach seiner Berechtigung fragt, seine Saaten zu zertreten und ihn niederzureiten! Aus all diesen Versen atmet jener freie Geist, welcher Pharisäer und Philister in Harnisch brachte. Und so fommt es, daß auch der größte Teil unserer Literaturgeschichten voll ist des Lobes über die