herrlichen Dichtungen Bürgers, aber dem Lob wird immer der Stachel hinzugefügt, daß Bürger einen ausschweifenden Lebens­wandel geführt habe und infolge dessen verkommen" sei. Nun, als man einst im französischen Nationalkonvent beklagte, daß das Blutgerüst so viele glänzende Talente verschlungen, rief der Dichter Chenier : Warum fanden sich nicht Höhlen, tief genug, um dem Vaterlande Condorcets Forschungen und Vergniauds Beredsamkeit zu erhalten?"- Und so möchten wir betonen: Statt sich zu Splitterrichtern über Bürgers Privatleben aufzu­werfen, sollten unsere Literaturhistoriker lieber fragen: Warum fand sich niemand, der es unternahm, diesem genialen Dichter eine erträgliche Existenz zu verschaffen, die unsere Poesie um einen weit größeren Schaz von Perlen bereichert hätte, als das Elend Bürgers?"

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Aber von den Freunden Bürgers waren die wenigsten in der Lage, ihm zu helfen, und die es konnten, scheinen nicht gewollt zu haben, wie die Grafen Stolberg. Die Stellung als Justiz amtmann behagte Bürger nicht und er gab sie bald auf, obwohl er kein schlechter Jurist war. Seine Feinde hatten, um ihn zu verdächtigen, eine eigene Petition gegen ihn bei der Regierung zu Hannover eingereicht. Er wies indes ihre Angriffe zurück in einem Aussaze, der auch in Weckherlins Zeitschrift Graue Ungeheuer" abgedruckt wurde. Die Redaktion des Göttinger Musenalmanachs scheint ihm wenig Schäze gebracht zu haben. Er übernahm dann eine Pächterei, konnte aber zu nichts kommen und verlor fast sein ganzes Vermögen dabei; anderes Unglück kam hinzu, und namentlich die Verschwendungssucht seiner dritten Frau, des Schwabenmädchens", ruinirten ihn vollständig. Der Mann, dem Deutschland die glänzendsten poeti schen Formen seiner Zeit verdankt, mußte sein Leben durch handwerksmäßiges Anfertigen von Uebersezungen fristen, für die von spekulativen Verlegern ein Lum= pengeld bezahlt wurde. In Göttingen wurde er wohl als Privatdozent zugelassen, aber es wurde ihm kein Pfennig be­zahlt, und so blieb es beim alten Elend. Bürger hat seinen Freunden oft erzählt, er habe sich an Friedrich den Zweiten von Preußen gewendet und um eine Versorgung gebeten. Diese Versorgung wurde ihm auch zugesagt, mit der Bitte, sich noch etwas zu gedulden. Bürger versäumte es wahrscheinlich, sich wieder zu melden, und inzwischen starb der König.

Ueber die Angriffe seiner Feinde und Neider tröstete sich Bürger mit den berühmten Versen:

Wenn dich die Lästerzunge sticht, So laß dir dies zum Troste sagen! Die schlechtsten Früchte sind es nicht, Woran die Wespen nagen!

Eine rührende Fürsorge für seine Kinder trieb Bürger immer wieder sich mit seinen schlecht bezahlten Uebersezungen abzuquälen. Aber ein harter Schlag traf ihn; in der Jenaischen Literatur­zeitung von 1791 brach Schiller den Stab über seine Gedichte, und dies harte Urteil von der Höhe des deutschen Barnaß herab brach Bürgers Selbstvertrauen*).

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Aus diesen trüben Zeiten muß das Bild Bürgers, das sich in Gleims Sammlung befindet, stammen. Denn es kann doch nicht jenen feurigen und lebenslustigen Bürger vorstellen sollen, der einst in Göttingen seinen Genossen die Lenore vordeklamirt hat, als noch der Hainbund bestand. Die Stolbergs waren auch dabei, als Bürger an die Stelle kam:

Rasch auf ein eisern Gittertor Gings mit verhängtem Zügel, Mit schwanker Gert' ein Schlag davor Zersprengte Schloß und Riegel!

und als Bürger mit seiner Reitgerte an die Tür schlug, sprang der eine Stolberg erschreckt auf und glaubte den schwarzen Rappen mit dem toten Wilhelm und der wahnsinnigen haar­flatternden Lenore zur Tür herein jagen zu sehen. Bürger aber, so erzählt einer seiner Freunde, glaubte nun selbst, etwas Gutes gemacht zu haben".

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*) Ueber Schillers Verhältnis zu Bürger hoffen wir gelegentlich eine auf sorgfältigste Quellenforschung gegründete Arbeit bringen zu

tönnen.

Red.

Die neue mit der französischen Freiheitsbewegung der neun­ziger Jahre anbrechende Zeit fand Bürger schon gebrochen; seine Dichtungen erhoben sich nicht mehr zu dem früheren Glanze. Bemerkenswert ist das Straflied beim schlechten Kriegsanfang der Gallier", das die merkwürdige Strophe enthält: Wie war mein freies Herz entbrannt, Getäuscht durch Erdenschein,

Selbst gegen Hermann's Vaterland Tyrtäus auch zu sein!

Das Straflied" war verfrüht, denn Bürger, der im Juli 1794 starb, sollte viele Siege der Franzosen erleben!

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Bürger war ein Liebling der Frauen. Wenige haben die Liebe und die Männer- und Frauenschönheit so reizend besungen wie er. Aber auch seine merkwürdigen und unglücklichen Schick­sale machten ihn den Frauen interessant. Bürger hat drei Frauen gehabt. 1774 heiratete er ein Fräulein Dorothea Leonhart zu Niedeck, mit der er anfangs glücklich lebte. Allein es ergriff ihn die denkbar heftigste Leidenschaft zu der jüngeren Schwester seiner Frau, Auguste Leonhart, die er unter dem Namen Molly in seinen Dichtungen unsterblich gemacht hat. Aus den Ge­dichten an Molly kann man die Stärke der unseligen Leiden­schaft Bürgers ersehen. So entstand jenes vielbesprochene Ver­hältnis, das so viel Anstoß erregt hat. Bürger selbst hat in der Beichte", die er an seine dritte Gemahlin gerichtet hat, das seltsame und nicht zu rechtfertigende Verhältnis geschildert. Mein Fieber," sagte er, legte sich nicht, sondern wurde durch eine Reihe von zehn Jahren immer heftiger, immer unauslösch­licher. In eben dem Maße, als ich liebte, wurde ich von der Höchstgeliebten wieder geliebt. O, ich würde ein Buch schreiben müssen, wenn ich die Martergeschichte dieser Jahre und so viele der grausamsten Kämpfe zwischen Liebe und Pflicht erzählen wollte. Wäre das mir angetraute Weib ein Weib von ge­meinem Schlage, wäre sie minder billig und großmütig gewesen ( worin sie freilich von einiger Herzens- Gleichgültigkeit gegen mich unterstützt wurde), so wäre ich zuverlässig längst zu Grunde gegangen. Was der Eigensinn weltlicher Geseze nicht gestattet haben würde, das glaubten drei Personen sich zu ihrer aller­seitigen Rettung selbst gestatten zu dürfen. Die Angetraute entschloß sich, mein Weib öffentlich und vor der Welt zu heißen, und die andere, insgeheim es wirklich zu sein. Dies brachte nun zwar mehr Ruhe in aller Herzen, aber es brachte auch eine andere höchst angst und kummervolle Verlegenheit zu Wege"

Der Tod schien endlich dies Verhältnis lösen zu wollen. 1784 starb Bürgers erste Frau und nach Abfluß des Trauer­jahres konnte er seine so leidenschaftlich geliebte Schwägerin heimführen. Aber das Glück war kurz; Molly starb im ersten

Wochenbett schon 1786. Von diesem Schlage konnte sich Bürger nie recht erholen, und er beging einen Fehler, als er sein Schwabenmädchen", Elise Hahn, heiratete, ohne sie näher zu kennen, auf Grund einer poetischen Epistel, die sie an ihn ge­richtet hatte. Nach einem furzen unglücklichen Zusammensein trennte man sich; Elise Bürger , geb. Hahn, ein eitles, über­spanntes Wesen, zog noch lange in Deutschland umher; sie starb

1833 in Frankfurt am Main .

Diese sonderbaren und interessanten Schicksale standen auf

jenem Antliz im gleim'schen Hause geschrieben; ich kann mir auch denken, wie jenes Antliz geglänzt und geleuchtet haben mag, als Bürger es noch stolz umhertrug unter den Dichter­jünglingen des Hainbundes, die in Eichenhainen schwärmten und bei der Flasche Freiheitsgesänge donnerten, Klopstock an­beteten und Wielands Schriften zu Fidibussen benuzten. Im Mondschein vergossen sie altdeutsche Tränen und als sie sich trennen mußten, fühlten sie, daß der Traum zu Ende war. Des Grafen Gesicht war fürchterlich," schreibt der biedere Voß bei der Trennung von dem jüngeren Stolberg .

Mir ist das Bild des armen Bürgers unvergeßlich; möge sich bald ein Künstler finden, der es vervielfältigt. Denn dieser Dichter gehört dem Volke, und das Weh in seinen Zügen ist ein Stück mit Tränen und mit edlem Herzblut geschriebener Geschichte des Volkes.