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Die wissenschaftliche Bestätigung dieses Gedankens brauchte| ich nicht lange zu suchen und heutzutage findet man sie auf allen Wegen, auf denen überhaupt vorurteilslose Wissenschaft wandelt.
Schlagen wir z. B. die seit ein paar Jahren bei Trewendt in Breslau erscheinende Encyklopädie der Naturwissen schaften, eines der großartigsten Werke deutscher Wissenschaft in allerneuester Zeit auf und sehen uns im 3. Teil der 1. Abteilung desselben, im Handwörterbuch der Zoologie, Antropologie und Etnologie den Artikel Alkoholische Ge= tränke an.
Derselbe sagt:
Alkoholische Getränke rechnet die Physiologie unter die Genußmittel, deren Hauptwirkung auf den Körper in einer Erhöhung der Erregbarkeit des Nervensystems und mittelbar einer Veränderung der Blutverteilung beruht. Bei den alkoholischen Getränken kommt dies auf Rechnung des in ihnen enthaltenen
Alkohols. Die nervöse Wirkung hat zur Folge, daß alle Verrichtungen, bei denen das Nervensystem beteiligt ist, sowohl die bloßen Reflexe als die willkürlichen Tätigkeiten rascher und leichter von statten gehen, was besonders augenfällig ist, wenn durch die Ermüdung die Nervenerregbarkeit herabgesezt war. Der Alkohol ist also ein arbeitförderndes, Ermüdung beseitigendes Mittel, allein er bestreitet den Arbeitsaufwand nicht selbst, da er im Körper nur zum geringsten Teil durch Verbrennung nuzbar gemacht, sondern zum größten Teil unverändert durch die Atmung wieder ausgeschieden wird. Den Arbeitsaufwand bestreiten die im Körper sonst vorhandenen Nährstoffe, und des= halb ist solche„ Alkoholarbeit" gleichbedeutend mit Konsumption des Körpers, weshalb Alkohol die Nahrungsaufnahme nicht zu ersezen vermag. Da übermäßiger Genuß von Alkohol die Verdauungstätigkeit hemmt, so führt er mit Notwendigkeit zu dem bei Säufern bekannten Zerfall der Konstitution. Das Gleiche wie für die Arbeit gilt für die Wärme. Das Gefühl erhöhter
Wärme nach Alkoholgenuß rührt zumeist von einer Veränderung der Blutverteilung her. Der Alfohol treibt durch Erregung der Herzbeschleunigungsnerven und der gefäßerweiternden Nerven relativ mehr Blut in die Haut, die dadurch auf Kosten des Körperinnen stärker erwärmt wird. Da dies aber auch gleich bedeutend mit stärkerer Wärmeabgabe ist, so verliert ein Berauschter rascher seinen Wärmevorrat, erfriert also unter gleichen Umständen leichter als ein Nüchterner. Allerdings wird bei Alkoholgenuß auch ein gewisses Duantum von Wärme im Körperinnern erzeugt, nämlich so viel als aus der weitergehenden Verbrennung der im Körper vorhandenen Nährstoffe unter Einfluß der erhöhten Nervenerregbarkeit sich entwickelt, allein dies ist minimal gegenüber der Steigerung des Wärmeverlustes durch die Haut. Die geschilderten Wirkungen hat der Alkohol jedoch nur, so lange er in mäßigen Duantitäten genossen wird; im Uebermaß ruft er den Zustand des Rausches hervor, welcher dem durch mäßige Mengen erzeugten Zustand gerade entgegengesezt ist: er besteht in einer Verminderung bis Vernich tung der Nervenerregbarkeit durch Ueberreizung( Schlaf.) In den ersten Wegen hat der Alkohol in kleinerer Menge günstige Wirkungen, indem er die Verdauung anregt und, während der Verdauung( nach Tisch) genossen, durch Fällung des blos
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gelösten Eiweißes dessen Peptonisirung begünstigt; in größeren Mengen schwächt er die Verdauung durch Ueberreizung und Behinderung der Wiederauflösung des Eiweißes. Da der Alkohol in der Lungen- und Hautausdünstung aus dem Körper entweicht, so wird der Eintritt der Berauschung durch alle Umstände verzögert, welche diese Ausdünstung befördern, wie Singen, Schreien, lebhafte Motion 2c. Als zulässiges Duantum Alkohol werden von einigen 60 Gramm pro Tag gerechnet. Dies gibt von Branntwein, der durchschnittlich 50 Prozent Alkohol enthält, ein Duantum von 120 Gramm( 1/8 Liter), von Tischwein( 60 Prozent Alkohl) 1 Liter, von Bier( 3 Proz. Alkohol) 2 Liter pro Tag.
Fügen wir gleich noch ein andres wissenschaftliches Zeugnis hinzu, das aus der Verbreitung, welche die berauschenden und erregenden Genußmittel gefunden haben, auf das dadurch angezeigte Bedürfnis schließt.
Ed. Schaer, Professor am eidgenössischen Polytechnikum, schreibt in dem Bericht der naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu St. Gallen von 1879:
Die Genußmittel kann man nicht als entbehrlich oder naturwidrig betrachten, wenn man betrachtet, daß ihr Gebrauch bald harmlos auftretend, bald mächtig anwachsend, bald