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sie schon nachhause zurückgekehrt sei, vielleicht hatte er sie kommen hören und wußte von allem, was geschehen.

Derart verworrene Gedanken peinigten sie die ganze Nacht, und sie konnte zu keiner Ruhe kommen. Sie teilte darin das Geschick des Marchese. Dieser war bald nach Serenas Zurück­funft noch einmal an der Tür ihres Zimmers gewesen, um den Hauptschlüssel, den er, wie er sich erst nachher erinnerte, im Schlosse hatte stecken lassen, an sich zu nehmen. Als er den= selben bereits entfernt und die Tür wieder verschlossen fand, sowie, aufmerksam lauschend, Geräusch und dumpfe, unverständ liche Laute aus dem Zimmer vernahm, ging er, überzeugt, daß Serena wieder in demselben anwesend sei, nach seinem Gemach zurück. Hier versant er wieder in dumpfes, qualvolles Brüten. Er wollte nun, so sehr es ihn auch dazu drängte, in dieser Aufregung seines ganzen Wesens Serena nicht mehr gegen­übertreten und das offenbar mit schweren Gedanken ringende Mädchen nicht in noch höherem Grade beunruhigen. Aber gleichwohl hätte er doch gar zu gerne wissen mögen, wo sie so spät gewesen und was sie in den lezten Stunden getan, und es schlich sich ein schmerzhaftes Mißtrauen gegen die geliebte Tochter in seine Seele. Dann machte er sich heftige Vorwürfe, daß er nicht doch noch einmal bei ihr Einlaß begehrt, mit ihr ge­sprochen und prüfend in ihrem Antliz gelesen, und unruhig warf er sich bis zum anbrechenden Morgen auf seinem Lager hin und her...

Es war also feineswegs verwunderlich, daß jezt in dem eleganten Familiensalon neben der jungen, blühenden Frau, die, wie immer, selbstzufrieden und in kalter Teilnahmlosigkeit dreinsah, zwei Menschen saßen, denen die tiefste Seelenverstimmung und äußerste förperliche Abgespanntheit in allen Zügen zu lesen stand. Serena, die etwas später als die beiden anderen an den Kaffee­tisch gekommen war, bemühte sich freilich, möglichst unbefangen zu erscheinen, wie sie denn überhaupt, ihrer inneren Neigung zuwider, nach fast ganz durchwachter Nacht und aus dem Grunde sich hier eingefunden hatte, um nicht einem etwa von Seiten der Ihrigen gegen sie gehegten Verdacht durch ihr Fernbleiben größere Nahrung zu geben. Der Marchese richtete nur dann und wann seine Augen forschend auf die Tochter und sprach wenig und einfilbig. Endlich, als sich Serena bereits anschickte, den Salon wieder zu verlassen, sagte er, alle ihre Mienen scharf beobachtend, mit eigentümlichem, doch nilden Tone zu ihr:

Ach darf ich dich wohl bitten, Serena, den Hauptschlüssel, den ich diese Nacht wieder zu mir zu nehmen vergessen und den du jedenfalls am Schlosse deiner Tür gefunden hast, mir zurückzugeben?"

Eine glühende Röte flog über Serenas blasses Antliz, und sie stotterte:

Ja, lieber Vater,

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ich habe ihn drüben in meinem Zimmer und werde sogleich hinübergehen, um"

Sie wollte sich erheben. Aber der Vater legte seine Hand auf ihren Arm und zwang sie mit einem sanften Druck der­selben, sizen zu bleiben, indem er, ihre Worte unterbrechend, ernst versezte: ich habe den

" Laß das jezt, Kind!- Es hat Zeit, Schlüssel im Augenblick nicht nötig."

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Und ernster noch und, ohne es zu wissen, die Stirn in tiefe Falten legend, fügte er hinzu:

Aber sage mir, zu welchem Zweck du gestern so spät noch dein Zimmer verließest und wo du weiltest,- ich habe mich arg gesorgt um dich!"

Serena wurde fast wehmütig berührt, als sie den stillen, um ihretwillen erlittenen Kummer des Vaters aus diesen Worten deutlich heraushörte, und sie fand in der Verwirrung, in welche sie, obgleich sie sich auf eine solche Frage gefaßt ge= macht hatte, durch dieselben versezt wurde, nicht sogleich eine Antwort.

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" Du warst unwohl, sagtest du,"- fuhr indessen der Mar­chese fort und ich glaube nicht, daß du gut tatest, zu so später Stunde noch auszugehen. Im ganzen Garten habe ich dich gesucht, und da ich dich dort nicht zu finden vermochte, vermutete ich, daß du in der Stadt ――― Warst du allein, Serena?" unterbrad er sich plözlich- Es schickt sich nicht für ein Mädchen von deinem Stande, daß es noch so spät abends allein sich vom Elternhause entfernt!"

Er schwieg; aber seine Blicke gingen nicht von ihrem Antliz hinweg. Serena wurde durch diese strafenden Worte, die sie durchaus in Zweifel darüber ließen, ob der Vater von der Richtung und dem Zweck ihres spätabendlichen Spazierganges, von ihrem Zusammensein mit Camillo wußte oder nicht, noch mehr verwirrt und rang noch immer vergebens nach einer Ent­gegnung, durch die sie sich nicht selbst verriet.

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" Ich fühlte mich so beengt, lieber Vater," brachte sie endlich mühsam und sich wieder völlig entfärbend hervor da wollte ich in der milden Abendluft"

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und

Da fuhr es ihr wie ein heftiger Stoß durchs Herz, und in ihrer Brust regte sich eine ernst mahnende Stimme. Sie konnte den Saz nicht zu Ende sprechen und legte plözlich ihre sich einander frampshaft umklammernden Hände wortlos in den Schoß... Nein, sie vermochte es nicht, sie durfte dem Vater nicht mit Bewußtsein eine Unwahrheit sagen,- sie brachte es nicht über sich, ihn zu belügen. Sie errötete wieder bis an die Schläfen, das Haupt begann ihr zu schwindeln, und ihre Glieder fingen sichtbar an zu leben.

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Der Marchese nahm dies alles wahr und ergriff in höchster Bestürzung ihre fest zusammengepreßten Hände.

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" Serena, mein Kind!"- sagte er laut und in ahnungs voller Besorgnis ,, du kämpfst mit dir selbst einen schweren Kampf, du hast etwas auf dem Herzen, was du uns verbergen willst uns aber sagen wirst, Serena, sagen mußt!" Die Angst rüttelte an dem armen Mädchen und durchrieselte sie kalt vom Scheitel bis zur Sohle. Sie senkte den Blick und schüttelte das Haupt und sah unverwandt vor sich nieder. Der Vater aber neigte sich tiefer zu ihr und richtete ihr Gesicht zu dem seinen empor und suchte, immer noch ihre Hände um schlossen haltend, ihr in die Augen zu schauen. " Ist es wahr, Kind,"- Ernst und in einem Ton, der der Angeredeten durch Mark und fragte er jezt mit weihevollem Bein drang ist es wahr, Kind, daß du dich, den Maler Camillo von Winter leiden magst, liebst?"

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daß du

daß du ihn ( Fortsezung folgt.)

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Unter uns gefagt.( Illustration S. 201.) Leider können wir unsern Lesern das Geheimnis nicht verraten, das der auf unserm Bilde links befindliche Biedermann dem andächtig lauschenden Baar mitteilt, aber daß das edle Kleeblatt im Begriff ist, irgend einen guten Namen mit dem Geifer der üblen Nachrede zu besprizen, spricht sich deutlich genug in der vom Maler vorzüglich karakterisirten Physiognomie des Erzählers aus, welcher offenbar zu jener Menschenklasse von Geberden­spähern und Geschichtenträgern gehört, von denen Schiller sagt, daß sie des Uebels mehr auf dieser Welt getan, als Gift und Dolch in Mörders Hand uns konnten. Klatschsucht, Bosheit und Schadenfreude prägen fich deutlich aus in diesem faunisch verzerrten Antliz und aus den Augen zuden böse, unheimliche Lichter. Bon gleicher Qualität ist das Gegen­stück, der die Berleumdung ebenso gierig einsaugt, als sie der Erzähler von sich gibt und in Haltung und Gesichtsausdruck mit gleicher Meister­schaft vom Künstler behandelt ist. Eine besondere Spezies dieser Men­

schensorte ist die zwischen den beiden Herren poſtirte Dame. Sie gehört offenbar zu den Frommen. In sittlich- religiöser Entrüstung zieht sich ihre Stirn finster zusammen, ihre Lippen sind zusammengepreßt bot moralischem Ingrimm und in ihrem gottseligen Bufen lodert und focht heiliger christlicher Eifer. Sie wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen, troz dem Unter uns gesagt", darauf kann man sich verlassen. der Betreffenden vernichtet ist. Wie viel Unheil hat ein derartiges ,, Unter uns gesagt" schon angerichtet, wie viel Existenzen untergraben und zerstört! Treffend läßt Beaumarchais in seinem Barbier von Sevilla " den Musiklehrer Bafilio zu Dr. Bartolo sprechen: Glaubet feit, kein abgeschmadte3 Märchen, das man nicht den Müßiggängern einer großen Stadt aufbinden kann, wenn man es geschict anfängt. Zuerst ist es ein leises Geräusch, das am Boden hinstreift, wie die

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