Schwalbe vor dem Gewitter, pianissimo murmelnd und im Fluge das giftige Geschoß werfend. Ein dienstfertiger Mund nimmt es auf und bringt es piano, piano in ein bereitwilliges Ohr. Das Uebel ist da, es feimt, es rankt sich, es wuchert und geht rinforzando( verstärft) von Mund zu Mund; dann plözlich, man weiß nicht wie, seht Ihr die Verleumdung sich aufrichten, zischeln, anschwellen und vor unseren Augen größer werden. Sie erhebt sich, breitet die Flügel aus, umkreist euch, fällt euch an, reißt euch mit sich fort, prasselt und donnert; ſie wird endlich, Dant dem Himmel, ein allgemeiner Schrei, ein öffentliches crescendo, ein universeller Chorus der Gehässigkeit und Verachtung." Der willige Hörer ist darum ebenso verächtlich wie die Lästerzunge selbst; wäre doch diese unschädlich, wenn sich ihr nicht das Ohr willig erschließen würde. Schon singt Bodenstedt:
Du liebst die Luft, die zu dir weht Voll Wohlgeruch von Flur und Beet: So freu' dich auch, gibt dir ein Mund Den guten Leumund anderer kund.
Du fliehst die Luft, die schwer beschwingt
Dir Dunst aus Moor und Sümpfen bringt: So flieh auch aus des Schwäzers Kreis, Der Schlechtes nur von andern weiß.
St.
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Ein Bazar in Tunis. ( Illustration S. 209.) Wenn das Leben im Orient im allgemeinen viel Eintöniges und Einförmiges an sich hat, so kann man dies nicht von dem Handelswesen sagen, das sich bei den Orientalen in den Bazars zusammendrängt. Hier nimmt das Treiben einen so bunten Karakter an, wie die Waarensammlungen selbst, die in den Bazars zur Schau und zum Verkauf ausliegen. Bazar nennt man jene Straßen der orientalischen Städte, wo die Verkäufer ihren Standort aufgeschlagen haben. Man findet da fast alle Gewerbe und fast alle Industrien vertreten. Hier glänzen Gold- und Silberwaaren, dort gibt es gestickte Schuhe, wie sie die orientalischen Frauen lieben, allerlei Geschmeide, Kopfbedeckungen, Tuchstoffe, Waffen, Früchte und Getränke, furz es sieht aus, wie bei uns auf einem Jahrmarkt oder einer Messe, nur daß der Bazar im Orient feine zeitweilige, sondern eine ständige Institution ist. Am interessantesten ist das Feilschen um die Waaren mit anzusehen und anzuhören, denn feste Preise gibt es auf den Bazars nicht. Der Verkäufer fordert nach orientalischer Sitte immer einen fabelhaften und mehr als unverschämt hohen Preis, was aber den Käufer oder Liebhaber wenig erschreckt, denn dieser stellt ein womöglich ebenso unverschämt niedriges Angebot. Nun geht das Feilschen los, und es werden die wunderbarsten Grimassen und alle nur erdenkbaren Kniffe erschöpft, bis man sich endlich einigt. Diese Bazars find zu gewissen Tageszeiten sehr belebt, weil sie zugleich die Prome nade für die Orientalen, die Zeit zum Bromeniren haben, bilden. In den großen Städten des Orients sieht man auf einem solchen Bazar Angehörige vieler Nationen durcheinanderwimmeln und hört die verschiedensten Sprachen. Unser Bild stellt einen Bazar in Tunis vor. Die engen und frummen Gassen der alten Seeräuberstadt mit ihrem Schmuz und ihrem Gedränge sind für den Europäer als Promenade nicht besonders einladend; auch wird man an der Budringlichkeit der Händler keinen Geschmad' finden können. Kaum daß ein Sonnenstrahl in die Winkel hineinfällt, wo die Schäze des Drients lagern, und die Franzosen , die jezt ihre Hand über Tunis halten, werden genug zu tun haben, wenn sie der Stadt resp. den Bazars ein etwas mehr zivilisirtes Aussehen beibringen wollen. Mit der Zeit wird dies auch kommen; borläufig hat die Stadt noch das düstere Aeußere, durch das sie befannt war und von dem die befreiten christlichen Sklaven noch lange nachher mit Grauen erzählten. Nunmehr hat auch dort die Seeräuberei längst aufgehört. Früher, als sie noch bestand, gab es auch Sklavenbazars, wo die unglüdlichen Europäer und Europäerinnen, die den tunesischen Piraten in die Hände gefallen waren, zum Verkauf ausge stellt wurden. Männer wie Frauen mußten sich, wenn die Käufer es verlangten, gänzlich entkleiden und unter dem Spott der rohen Menge wurden sie wie das Vieh betastet und auf ihren Wert geprüft. Die Leiden, die die Sklaven auszustehen hatten, waren namenlos; anders 1535 Tunis eroberte, wurden von ihm mehr als 20000 Christensklaven befreit, ein Beweis, wie jene Seeräuber- Industrie in Blüte stand. Namentlich die Inseln des Mittelmeers wurden von den Seeräubern sehr belästigt. Aber erst 1830 wurde Tunis von den Franzosen gezwungen, die Sklaverei und Seeräuberei abzuschaffen. Jezt sieht man keine Menschenwaare mehr, wenn aber die alten Häuser, Mauern und Türme erzählen fönnten, was sich vor ihnen abgespielt, so würden sie noch manchmal einen gelinden Schauder erregen.
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Nicht aufgepakt.( Illustration S. 213.) Die Holländerinnen sollen im allgemeinen sehr große Füße haben, sonst aber weibliche Vorzüge in Hülle und Fülle ausweisen, so daß jener alte Prälat, der sich so sehr über hübsche Mädchen freute, auch in Holland sagen würde:„ Die Schöpfung ist hier ganz vorzüglich!" Die ländliche Schöne auf unserem Bilde könnte zwar nicht leicht einen Vorwurf für einen Rembrandtschen Frauenkopf abgeben, im übrigen aber scheint sie so übel nicht zu sein, denn das ihr Mund so groß erscheint, kommt von dem Lächeln her,
zu dem sie der Anblick eines gefoppten Anbeters bringt. Sie hat der Anbeter zweie, vielleicht noch mehr, also kann sie zufrieden sein. Man kommt vom Heumachen, und der eine Anbeter mit dem derben Gesicht und dem runden Hut, hat mit Klugem Feldherrnblick die Situation ausgenuzt, um aus der Heimfahrt ein Schäferstündchen zu machen und das Angenehme mit dem Nüzlichen zu verbinden. Wie er den schwerbeladenen Nebenbuhler herankeuchen sieht, sezt er rasch die Ruder ein und ist boshaft genug, so lange zu warten, bis jenem der Kahn mit der. Schönen dicht vor der Nase wegfährt. Der Gefoppte weiß noch nicht, ob er sich ärgern oder gute Miene zum bösen Spiel machen soll; er hat aber auch keine Hoffnung, da die doppelt umworbene Schöne nicht zu seinen Gunsten intervenirt. Aber er wird sich fürchterlich rächen. Es ist Sommer, die Zeit der heimlichen Stelldicheins mit den Schönen in Gärten und unter dem Fenster. Er sinnt offenbar schon nach, wie er dem heute glücklichen Nebenbuhler morgen den Rang ablaufen wird, und was das Aeußere betrifft, so kann er es mit jenem vollkommen aufnehmen. Die Schöne selbst freut sich über den Wettkampf der beiden Rivalen und läßt sie gern ein wenig zappeln, um sie zu entflammen, denn sie weiß, daß in der Ehe eine merkliche Abkühlung eintritt. So sind sie eben, die Engel in Menschengestalt!"
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Aus allen Winkeln der Zeitliteratur.
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Schundlektüre. Das Magazin für die Literatur des In- und Auslandes," Organ des„ Allgemeinen deutschen Schriftstellerverbandes," veröffentlicht folgende Notiz, die wir auch den Lesern der„ Neuen Welt" nicht vorenthalten wollen. Die neuesten Ankündigungen einer der Haupthandlungen mit Kolportageliteratur, Werner Grosse in Berlin , lauten wörtlich:
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Born, G. F., die schöne Venetianerin. Romantische Erzählung. 53. u. 54. Heft. à M. Füllborn, G., die Königin der Nacht. Romantische Erzählung. 53. u. 54. Heft. à M. 10. Reinecke, W. v., entlarvte Betrüger. Volksroman. 71. u. 72. Heft. à M. Sändermann, A., das schöne Burgfräulein. Romantische Erzählung. à M. 53. u. 54. Heft. Mazeppa. Romantische Erzählung. 17.- 20. Hft. à M.- 10. Der geheimnißvolle Schleichhändler. Romantische Erzählung. 71. u. 72. Heft. à M. Der Sonnenwirt. Volksroman. 85.- 88. Heft. à M. Von keinem dieser Schauerromane, mit denen unsere ärmeren und ungebildeten Mitmenschen heimgesucht werden, ist das Ende für's erste abzusehen. Irgend eine arme Näterin oder ein lejebegieriger Kleiner Handwerker hat also z. B. für die Königin der Nacht" bis jezt 5,40 M. ausgegeben, für den„ Geheimnisvollen Schleichhändler" bis jezt 8,20 M., für den„ Sonnenwirt" sogar die horrende Summe von 17,60 M.! Es ist rein zum Weinen, wenn man bedenkt, daß unsere um ihr schwer erarbeitetes Geld gebrachten ärmeren Mitbürger für die genannten Summen eine ganze Bibliotek guter Lektüre haben könnten. Die Kolportage guter billiger Literatur das ist die einzige wirksame Rettung von dem geistigen und materiellen Ruin weitester Volkskreise."
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Im Anschluß an das Vorstehende scheint es uns nötig, auch auf die seichte und oft verderblich wirkende Literatur hinzuweisen, die dem Publikum durch die Mehrzahl unserer belletristischen Blätter und die Beitungs- Feuilletons geboten wird. Die unterhaltenden Beiträge in den lezteren find leider zumeist in der drastischesten Weise lediglich auf das Sensationsbedürfnis und der Klatschsucht der Leser zugeschnitten; tünstlerische Gestaltung und eine Geist und Gemüt veredelnde Wirkung bleiben in diesen Romanen, Novellen u. s. w. in der Regel ausgeschlossen. Geradezu entsezlich aber berührt ein Einblick in die FeuilletonSpalten deutscher und österreichischer Zeitungen. Wir können und wollen nicht leugnen, daß wir darin hier und da ausnahmsweise ganz Vortrefflichem, dauernd Wertvollem begegnen, aber im ganzen: welches farakterlofe Durcheinander pikanten" Gewäsches, allerhand müssigen Klatsches aus der Künstlerwelt und wohl auch aus der Sphäre der Geld- und Geburtsaristokratie, welche Absurditäten vor allem in den Uebersezungen aus dem Französischen und Englischen! Wenn die Beitungen und Zeitschriften auch um verhältnismäßig billiges Geld zu haben sind, so kosten sie doch immerhin Geld; insbesondere aber verübt man durch diese Art geistiger Kost, vermittelst welcher man das große Publikum zu ergözen glaubt, in ganz unverantwortlicher Weise einen unter den heutigen Verhältnissen doppelt schweren Diebstahl an der Zeit der Leser, der verflachenden und abspannenden Wirkung derartigen Lesestoffs gar nicht zu gedenken. Wenn die Presse eine Erziehungsanstalt für das Volk sein soll, um wie vieles besser müßten Papier und Druckerschwärze und die kleinen mächtigen Buchstaben- Soldaten verwendet werden! Der Schriftsteller aber, der sich nach jenen von den Zeitungs- Eigentümern und Redaktionen beliebten Maximen richten muß, finkt, was man so schwer zugibt wirklich zum bloßen Spaßmacher und Possenreißer, zum geistig Prostituirten herab. Und wir haben in der Tat an lezteren gegenwärtig feinen Mangel.... Dr. M. V.