-

nach höfliche, so doch schroffe Abweisung beleidigte den Stolz des Künstlers auf das höchste, und er drückte dem Marchesen jezt nur in kurzen Worten brieflich aus, daß er, jenem Wunsche gemäß, seine Tätigkeit im Palazzo della Sponda als beendet betrachte, indem er ihm zugleich mitteilte, daß er das von Herrn von Montanari ihm angebotene Honorar nicht akzeptiren könne, sondern nur auf eine fleinere Summe Anspruch erhebe. Dann wußte Serena noch eine Zusammenkunft mit dem Ge­liebten herbeizuführen, die sich zu einem schmerzlichen, traurigen Abschied gestaltete. Camillo beabsichtigte für die Wintermonate nach Rom   zu gehen, um einem ihm von dorther gewordenen Auftrage zu genügen; wenn er daselbst seine Aufgabe gelöst haben würde, so wollte er, spätestens im März, zurückkehren und dann auf alle Fälle mit dem Marchese zu sprechen suchen, während Serena inzwischen treu ausharren und den Vater ihrem heimlichen Verlöbnis günstiger zu stimmen sich bemühen sollte. Durch Vermittlung der kleinen Adele, die Camillo in Venedig  zurücklassen wollte, hoffte man in regem brieflichen Verkehr zu bleiben, so zwar, daß Camillo, um jeder Gefahr einer etwaigen Unterschlagung der Briefe von vornherein auszuweichen, alle für die Geliebte beſtimmten Zuschriften seinen Briefen an die Schwester beizulegen und Serena dieselben dann bei dieser ab­zuholen versprach. Und dann hatten sich die beiden, all ihr Empfinden um die Hoffnung auf Wiedersehen klammernd, Lebe­wohl gesagt, und vorübergerauscht war alles, was die jungen Herzen noch vor wenigen Tagen so Süßes und Seliges genossen, vorübergerauscht wie ein kurzer Traum von Glanz und Glück.... Camillo eilte südwärts nach der alten Hügelstadt, und im Pa­lazzo della Sponda wurde es öd und traurig, wie es eben noch jezt der Fall war, wann ein plözlich gekommener, wenn auch gelinder Winter die weiße Schneedecke über Gärten und Fluren gebreitet hatte.

-

Die einander so verwandten und sonst so nahe stehenden Herzen des Marchese und seiner Tochter hatten sich durch die

242

der Abreise Camillos voraufgegangenen Ereignisse ernstlich ent­fremdet. Serena saß die längste Zeit still und in sich ver­sunken auf ihrem Zimmer, der Erinnerung an die vergangenen Tage nachhängend oder bald luftigen Träumen, bald bangen Besorgnissen für die Zukunft dahingegeben. In Gegenwart des Vaters suchte sie stets heiter und freundlich zu erscheinen; wie sehr sie sich indes mühte, ihm ein Lächeln abzugewinnen oder ihn zu größerer Wärme im Gespräch anzuregen, er blieb ernst und nachdenklich und ließ sich selten noch in eine lebhaftere Unterhaltung mit Serena ein. Daß dem Marchese bei alledem das Herz blutete und daß er heimlich ihren eigenen Kummer mit ertrug, davon war Serena überzeugt, denn sie wußte ja, wie sehr ihr der Vater im Grunde zugetan war, und eben darauf stüzte sich ihre Hoffnung, daß sich noch alles zum besten

wenden könne.

Nur eine war im Palazzo della Sponda, über die kein Gram und kein Kummer Macht zu haben, die kein Aergernis zu berühren schien: die Marchesa. Im Gegensaz zu allen anderen und im Gegensaz auch zu dem sonst in der Regel von ihr beobachteten Benehmen sah sie jezt fast immer heiter und freundlich aus, erwiderte selbst herablassender und weniger kalt als früher die ehrfurchtsvollen Begrüßungen ihrer Untergebenen, und ihre Lieblinge, der gelbe Kanarienvogel und das weiße Käzchen, schienen es ganz genau zu wissen, daß ihrer schönen Herrin lustige und heitere Dinge durch den Sinn schwirren mußten, so ausgelassen spielte sie mit ihnen, so freudig lachte sie zuweilen auf. Jene glockenhelle Stimmie tönte jezt noch öfter als zuvor in heiteren Weisen oder zuweilen auch fanft schwermütigen Klängen der Liebe und Sehnsucht über den weiten Korridor, als webte leuchtender Lenz mit wonnigem Leben und seligem Drang in der Brust aus der sie hervorquellen, und der Graf von Larente kam noch häufiger denn bisher in das herr­liche glänzende Prunkgemach des jungen, blühenden Weibes zu Besuch.

( Fortsezung folgt.)

Sang der sonderbare Greise Auf den Märkten, Straßen, Gaffen Gellend, zürnend seine Weise:

,, Bin, der in die Wüste schreit. Langsam, langsam und gelassen! Nichts unzeitig! Nichts gewaltsam! Unablässig, unaushaltsam, Allgewaltig naht die Zeit.

Torenwerk, ihr wilden Knaben, An dem Baum der Zeit zu rütteln, Seine Last ihm abzustreifen,

Wann er erst mit Blüten prangt! Laßt ihn seine Früchte reifen Und den Wind die Aeste schütteln, Selber bringt er euch die Gaben, Die ihr ungestüm verlangt.

Voetische Rehrenlese.

Der alte Sänger. Von Adelbert   v. Chamisso. ( 1833.)

Und die aufgeregte Menge Zischt und schmäht den alten Sänger: ,, Lohnt ihm sein Schmachgesänge!

Tragt ihm seine Lieder nach! Dulden wir den Knecht noch länger? Werfet, werfet ihn mit Steinen! Ausgestoßen von den Reinen

Treff ihn aller Orten Schmach!"

Sang der sonderbare Greise In den königlichen Hallen Gellend, zürnend seine Weise:

,, Bin, der in die Wüste schreit. Vorwärts! vorwärts! nimmer lässig! Nimmer zaghaft! kühn vor allen! Unaushaltsam, unablässig, Allgewaltig drängt die Zeit.

Sang der sonderbare Greise Immer noch im finstern Turme Ruhig, heiter seine Weise:

,, Bin, der in der Wüste schreit.

Mit dem Strom und vor dem Winde! Mache dir, dich stark zu zeigen, Strom- und Windeskraft zu eigen!

Wider beide, gähnt dein Grab. Steure fühn in grader Richtung! Klippen dort? die Furt nur finde! Umzulenken heißt Vernichtung;

Treibst als Wrack du doch hinab."

Einen sah man da erschrocken Bald erröten, bald erblassen: Wer hat ihn hereingelassen,

Deffen Stimme zu uns drang? Wahnsinn spricht aus diesem Alten; Soll er uns das Volk verlocken? Sorgt, den Toren festzuhalten, Laßt verstummen den Gesang."

Schreien mußt ich es dem Sturme; Der Propheten Lohn erhalt ich! Unablässig, allgewaltig,

Unaushaltsam naht die Zeit."