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Der erste Schnee.

Von Adelbert   v. Chamisso. Der leise schleichend euch umsponnen Mit argem Trug, eh ihrs gedacht, Seht, seht den Unhold! über Nacht Hat er sich andern Rat ersonnen. Seht, seht den Schneenmantel wallen! Das ist des Winters Herrscherkleid! Die Larve läßt der Grimme fallen; Nun wißt ihr doch, woran ihr seid. Er hat der Furcht euch überhoben, Lebt auf zur Hoffnung und seid stark; Schon zehrt der Lenz an seinem Mart, Geduld! und mag der Wütrich toben. Geduld! schon ruft der Lenz die Sonne Bald weben sie ein Blumenkleid, Die Erde träumet neue Wonne, Dann aber träum ich neues Leid!

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Der Rathausquai in Zürich.  ( Illustration S. 541.) Es ist eine alte Erfahrung, daß in den von der Natur am reichsten und schönsten ausgestatteten Gegenden die Leidenschaften der Menschen am heftigsten auftreten und oft ein friedliches Zusammenleben auf lange Zeit unmög lich machen. In dem schönen Spanien  , in dem so reichgesegneten Italien  , in Südamerika   welche Kämpfe und Wirren, die das Glück der Völker durch Jahrhunderte unmöglich gemacht haben! Auch die herrlich ge= legene Stadt an der Limmat   hat ihre Geschichte, reich an blutigen Katastrophen und tragischen Szenen. Auf diesem Boden, der von der Natur sehr verschwenderisch mit Reizen ausgestattet ist und bestimmt scheint, ruhigem Glück und lebensfrohen Genüssen eine Stätte zu ge= währen, floß das Blut von Tausenden in erbittertem Streit zwischen Bürger und Adel, zwischen freien Schweizern und den mit ihren Usur­pationsbestrebungen so oft herandrängenden Erzherzogen von Dester­reich. Manch stolzes Haupt fiel unter dem Beil des Henkers auf dem Schaffot, aber auch manch kräftiges Wort gegen das Vorrecht ging von dieser Stelle aus. Hierher floh Ulrich von Hutten  , um auf freiem Boden zu sterben und Zwingli   verströmte sein Blut für seine Gedanken. Hier schlug Massena   die Russen und wurde Lavater   getötet; hier fand der berüchtigte Büriputsch" statt. Aber auch die Geächteten aller Länder und aller Art fanden hier ein Asyl; sie atmeten hier ungestört die Luft der Freiheit, nachdem sie in ihrem Vaterlande dem Schaffot oder dem Kerker entronnen. Denn durch alle Kämpfe und Katastrophen hat sich Zürich   zu einer festgegründeten und dauernden Freiheit durch­gerungen, und der Kanton Zürich   hat mit Recht den Ruf, die frei­finnigste politische Berfassung aller Länder zu befizen. So haben jene Kämpfe auch ihre Früchte getragen und schwere Opfer sind nicht um­sonst gebracht worden; was die Ahnen gesäet, ernten die Epigonen. Heute sehen die Häupter der mächtigen Gebirgszüge, die Zürich   und seinen See umringen, auf ein friedliches Treiben herab; die politischen Kämpfe werden an der Wahlurne statt in blutiger Schlacht ausgefochten, und der sanfte Hauch, der über den blauen See weht, begrüßt eine Stätte modernen und humanen Wirkens und Strebens. Angehörige aller gebildeten Nationen strömen bewundernd herbei, um den genuß­reichen Aufenthalt an dem schönen und interessanten See zu haben. Der große Fremdenverkehr einerseits, die rasche lokale Entwicklung andererseits verleihen der Stadt einen lebhaften und modernen Karakter; die Straßen sind sehr belebt und das Ganze hat einen entschieden groß­städtischen Anstrich. Aber neben dem Modernen sehen wir auch ehr­würdige Zeugen der Vergangenheit; unsere Jllustration zeigt einen solchen. Es ist das altehrwürdige Rathaus am Limmatquai  , 1699 erbaut, das ein Stück über den Rand des Quais hinaus, in die Limmat  hineinragt. Hier ist eine Hauptverkehrsader; man kann hier, wenn man sich längere Zeit aufhalten will, einen großen Teil der Bewohner­schaft und der Fremden vorüberströmen sehen. Das Rathaus selbst mit seinen Hallen im Erdgeschoß und mit seinen drei Stockwerken, ist gerade nicht stattlich, aber historisch merkwürdig; deshalb ist es auch stehen geblieben, trozdem viele auf seinen Abbruch gedrängt und einen neuen, modern stilisirten Prachtbau verlangt haben. Ein solcher wird mit der Zeit auch wohl noch an die Stelle des gegen­wärtigen Rathauses treten; man kann es aber auch nicht mißbilligen, wenn die züricher Bürger die Zeugen ihrer Vergangenheit mit der ge­ziemenden Pietät aufrecht erhalten. Wo die Natur so viele Schönheit aufweist, kann man sich leicht gegenüber der Kunst soweit bescheiden, um den Denkmälern der Vergangenheit die Existenz zu garantiren.

Ein verkrachter Poëta laureatus. In England hat man noch die mittelalterliche Sitte oder richtiger, man hat sie wieder einge­führt sich einen souveränen Landesdichter zu halten, der regelrecht gekrönt wird, auf Lebenszeit den Titel des Laureate( Lorbeergekrönten) führt und offiziell für den König der lebenden Dichter gilt. Stirbt er, so kommt ein anderer an die Reihe. Der jezige poëta laureatus ist Tennyson  , ein Lyriker mit wenig Gedanken aber viel Sprachtalent, für welchen allerdings die Sprache den Hauptteil des Dichtens besorgt. Dieser Herr Tennyson   wäre der glüdlichste Mensch von der Welt­man denke nur, wie wenig Mühe es ihn gekostet hat, die Dichterfrone zu erlangen, und was für ein leichtes, gemütliches Leben( ein halbes Duzend Gedichtchen das Jahr ist schon eine übertriebene Leistung) er haben könnte wenn er nicht vom Teufel des Ehrgeizes und der Ruhmsucht geplagt wäre. Der lyrische Lorbeer genügt ihm nicht­er will durchaus Dramatiker sein, und sich zum mindesten einen Blaz neben Shakespeare  ( unter Shakespeare   tut ers nicht) erfämpfen. Der Wille ist gut in seinen Gedanken auch das Fleisch mag gut sein, allein der dramatische Genius ist dem armen laureate leider nicht hold. Schon vor zwei Jahren hat er es mit einem Drama versucht, und statt des erhofften phänomenalen Triumphs blos einen mehr als bescheidenen Achtungserfolg( succés d'estime), den man gescheiter Mitleids­erfolg nennen würde, davon getragen. Die Kritik, obgleich voller Rüd­fichten und Höflichkeit, gab Herrn Tennyson ihre zarten Winke, doch ja nicht wieder auf das dramatische Eis zu gehen. Indes, wer kann gegen ſein Verhängnis? Der Lorbeergekrönte wußte es besser: er hatte den Beruf, der größte dramatische Dichter der Welt zu werden, und wenn sein erstes Stüd nicht gefallen, so war das nicht die Schuld des Stüdes, sondern die des Publikums. Es galt ein Wert zu schaffen, so gewaltig, daß jeder Widerstand verstummen, jedes Bedenken sich in staunende Bewunderung verwandeln mußte. Drei der größten dramatischen Ge­dichte der Welt sind: Hamlet  , Faust und Manfred. Wohlan, unser Byron in einer Person zu sein, sezte sich hin und dichtete ein Drama, das den Tiefsinn, Gedankenreichtum und die poetische Schönheit des Hamlet, Faust und Manfred in sich vereinigte und potenzirte. Das Opus trägt den Titel: The Promise of May( Das Maiversprechen), wurde Mitte November im Globe- Teater aufgeführt( auch Shakespeares Stüde wurden im neuen Globe- Teater aufgeführt) und war es kein Durchfall mehr, es war ein Durch krach. Ein ärgerer ist nie dagewesen. Dieses klaffende Mißverhältnis zwischen titanischem Bollen und eunuchischem Können hat förmlich etwas Beängstigendes. Der Verdacht kommt einem unwillkürlich, der unglückliche Autor müsse gelinde ausgedrüdt- nicht ganz richtig im Oberstübchen sein. Die Kritit, die diesmal unbarmherzig ist, deutet derartiges auch an. Jeden­wachsames Auge auf ihn haben, und sobald sie merken, daß er wieder sezen, die höchstens zu lyrischen und ähnlichen Ergüssen ausreichen. Das Plot( die Fabel) des Stüdes ist nicht anzugeben, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil keins da ist. Alles steht in der Luft: Per­Hamlet, Fauft und Manfred, welcher den Namen Edgar empfangen sein, er entschließt sich wieder in langen Monologen- hat, entschließt sich in langen geschwollenen Monologen ein Schuft zu ein Mädchen, die Tochter eines Farmers, zu verführen, was auch mit obligaten Monologen- geschieht; läßt das Mädchen ſizen, und hält lange Mo nologe, tritt in einer Monologenpause eine Erbschaft an; entschließt fich natürlich mit langen Monologen die Stätte seiner Sünden wieder aufzusuchen, findet die Schwester der Verführten, will sie unter falschem Namen und endlosen Monologen heiraten, wird aber von der Verführten, die, nachdem sie eine zeitlang verschwunden war, plözlich nach Hause kommt, erkannt und verschwindet nun seinerseits mal ohne Monolog, weil nämlich die Verführte einen hält. Ex est. nicht. Ob Herr Tennyson furirt sein wird? Wenn er kurabel ist, Ursprungs jener Trümmer, die sicher nicht stundenweit hergebracht sind,

Ein

ficherlich.

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diesmal

dies

lb.

Aus allen Winkeln der Zeitliteratur.

Bl.

Römische Refte in Baiern  . Wie an den meisten größeren Donau­zuflüssen, so hatten auch rechts und links des Lechs die Römer eine Straße angelegt, deren eine die am linken Ufer herziehende, welche das blühende, fundreiche Epfach( Abodiacum) mit dem mächtigen Augsburg  verband, von Burggen   bei Schongau   bis fast nach Donauwört bekannt und noch in Resten erhalten ist. Während von der rechtsseitigen Straße selbst bis jezt noch keine Spuren aufgezeichnet sind, mehren sich in lezter

Beit die Funde, welche wenigstens von Landsberg   lechabwärts bas Borhandensein einer solchen Straße sicher voraussezen lassen. Abgesehen von den Münzfunden zu Epfenhausen, Unteregling, Steidorf, Merching  u. s. w., welche den Zug der Straße ziemlich deutlich fennzeichnen, find in der lezten Zeit in der angedeuteten Richtung einige römische Reſte

zutage getreten, welche jeden Zweifel ausschließen. So wurden zu Wolfratshausen  , eine Stunde nördlich von Friedberg   bei Augsburg  , die Grundmauern eines kleinen römischen Gebäudes aufgedeckt, das nach den Resten des bemalten Zimmerbewurfs und dem Beton des Estrichs das Landhaus eines wohlhabenden Mannes gewesen sein mag; eine gute halbe Stunde von diesem Plaze in einer Sandgrube bei Friedberg  liegt eine große Masse von römischem Schutt, besonders Gefäßstücke, aber auch Gesimssteine und ein Handmühlstein fanden sich dort, doch so, daß man deutlich erkennt, dieselben seien nicht dort an der Stelle in Verwendung gewesen, sondern anderwärts für unbrauchbar erkannt und dort als Abfall niedergeworfen worden. Da sich im Bereiche der jezigen Stadt Friedberg außer Münzen bis jezt noch keine Spur römi­mischer Anwesenheit vorgefunden hat, so bleibt die Aufsuchung des Aufgabe der dortigen rührigen Lokalforscher. In allerneuester Zeit ist