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Wir beabsichtigen nicht, uns in den Wagnerstreit zu mischen, indem wir des am 13. Februar d. J. zu Venedig verschiedenen Meisters der Tonkunst gedenken. Den Streit überlassen wir den Leuten vom Fach; auch sind wir der Meinung, daß das Urteil über Wagner noch keineswegs abgeschlossen ist. Vor allem muß die Zukunft erst erweisen, ob die Wagnersche Zukunftsmusik" eben die ihrige ist. Der Wagnerstreit hat manchmal recht häßliche und ärgerliche Formen angenommen, die hervorgerufen wurden durch den blinden Fanatismus seiner Anhänger einer seits, durch die Gehässigkeit seiner Gegnerschaft andererseits. Der Streit ist uns in seinen Ursachen sehr erklärlich. Wagner , eine stolze, unabhängige und energische Natur, besaß weder die Bescheidenheit Mozarts noch die Gleichgiltigkeit Beethovens; wo die Zeitgenossen ihm die Anerkennung verweigerten, die er ver langen zu können glaubte, da führte er einen heftigen und erbitterten Kampf, um diese Anerkennung zu erzwingen. Wagner hat wahrhaft titanische Anstrengungen gemacht, um sich Anerfennung zu verschaffen; er fand alle die Hindernisse auf seinem Wege, denen die Neuerer jeder Art begegnen; viele hat er überwunden, andere nicht. Eins wird man nicht leugnen können, in seinen Schöpfungen wogt, stürmt und arbeitet das Genie, das man leicht daran erkennt, daß es Originelles zu schaffen, Ureigenes zu gestalten befähigt ist. Wenn aber die Konzentration der Töne in der Wagnerschen Musik den einen als zu massenhaft, zu wuchtig, zu schwer erschienen ist, so haben andere gerade darin die ursprüngliche Kraft und Tiefe des Wagnerschen Genius gefunden. Bei alle dem Streit aber war Richard Wagner immerhin die bedeutendste Erscheinung in der modernmusikalischen Welt, wie es ja selbstverständlich ist, daß ein Mann, der so viele Gegner hatte, eine ganz bedeutende Persönlichkeit sein mußte.
Richard Wagner , am 22. Mai 1813 in Leipzig geboren, verlor früh seinen Vater und empfing seine erste Bildung auf der Nikolaischule in Leipzig ; er besuchte auch die Leipziger Universität, aber seine Neigung zur Musik war so vorherrschend, daß er schon als Student mehr musikalischen als anderen Studien oblag. Troz des Widerstandes seiner Familie ging Wagner ganz zur Musik über und trat bald mit selbständigen Kompofitionen auf. Er wurde Musikdirektor am Stadtteater in Magde burg , wo 1834 seine Oper„ Das Liebesverbot " aufgeführt wurde. Sie fand nicht den erwünschten Beifall. Wagner wirkte als Musikdirektor in Magdeburg und Riga ; in Dresden wurde 1842 seine Oper„ Rienzi " aufgeführt, deren Aufführung er in Paris vergeblich betrieben hatte. Ein großer Erfolg war immer noch nicht erreicht; dieser kam erst, als 1842„ Tannhäuser " und 1843„ Der fliegende Holländer " aufgeführt wurde. Von dieser Zeit ab begann in der musikalischen Welt der große Kampf zwischen der Wagner feindlichen und der ihm freundlichen Richtung. Zahlreiche Bücher und Broschüren wurden geschrieben für und gegen. Wagner aber wurde das Haupt einer neuen Schule, die es unternahm, unserer Tondichtung eine deutsche, von ausländischem Einfluß unabhängige Gestaltung zu geben.
Indessen kam das Jahr 1848 heran und Wagner hatte als Hofkapellmeister in Dresden die demokratischen Anschauungen, denen er sich in den Tagen materieller Not zugeneigt hatte, feineswegs abgelegt. Als im Mai 1849 in Dresden der große Aufstand ausbrach, beteiligte sich Wagner sehr eifrig und führte bewaffnete Freischaaren der dresdner provisorischen Regierung zu. Auf den Barrikaden hat er indessen nicht ge fochten, wie irrtümlich behauptet worden ist.
Nach der Niederwerfung des Aufstandes floh Wagner in die Schweiz , von den Behörden als Hochverräter verfolgt. Franz Liszt bewirkte indessen, daß Wagners Opern wieder aufgeführt wurden; 1850 schon errang" Lohengrin " in Weimar
einen durchschlagenden Erfolg und machte die Runde über die deutschen Bühnen, während sein„ Tannhäuser " in Paris ausgepfiffen wurde. In diesen Jahren begann Wagner sich auch literarisch zu beschäftigen und schrieb seine Bücher:„ Das Kunstwerk der Zukunft"," Oper und Drama "; dazu kam eine Menge von Streitschriften, wie„ Kunst und Revolution" und später: „ Das Judentum in der Musik ". In diesen Schriften in 9 Bänden gesammelt herausgegeben worden sind Wagner seine Feinde mit seiner ganzen Schärfe an und dadurch wurde er in zahlreiche literarische Fehden verwickelt.
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Im Jahre 1864 berief Ludwig II. von Baiern , der, wie bekannt, ein eifriger Protektor Wagners bis an dessen Ende gewesen ist, den berühmten Komponisten nach München . Dort wurde 1865 Tristan und Isolde " aufgeführt, 1869„ Die Meistersinger von Nürnberg ". In den folgenden Jahren konzentrirte Wagner seine ganze Schaffenskraft auf sein Hauptwerk, die Trilogie( dreifache Dichtung, Dreidichtung) Die Nibelungen", die aus dem Vorspiel„ Rheingold " und aus den drei Stücken ,, Walküre "," Siegfried " und" Götterdämmerung besteht. Dieses gewaltige Werk machte große szenische Schwierigkeiten; auf dem eigens dazu erbauten Wagner- Teater in Bayreuth indessen gingen„ Die Nibelungen" 1876 in Szene, und man weiß, daß troz aller Gegnerschaft der Erfolg ein großartiger war.
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Wagners Schaffen hatte, ganz abgesehen von seiner Musik, darin den Höhepunkt erreicht, daß er die von ihm angestrebte Neugestaltung des Textes zur Musik völlig durchgeführt hatte. In diesem Sinne hat er wahrhaft reformatorisch gewirkt. Wir wollen auf eine Kritik seiner Textdichtungen ebensowenig eingehen, wie auf eine solche seiner Tondichtungen, allein es wird einer seiner bleibenden Verdienste sein, daß er gezeigt hat, wie dem oft so unnatürlichen Verhältnis zwischen Text und Komposition eine bessere und entsprechendere Gestalt gegeben werden kann.
Wagner ist am 13. Februar 1883 in Venedig am Herzschlage gestorben. Er war zweimal verheiratet; in Magdeburg vermählte er sich mit der schönen und berühmten Schauspielerin Minna Plauer . Die Ehe war feine glückliche. Frau Minna Wagner starb 1866, und Wagner heiratete die geschiedene Frau seines Freundes Hans von Bülow , Cosima , geb. Liszt , eine Tochter des bekannten Klaviervirtuosen und der französischen Schriftstellerin Gräfin d'Agoult , die unter dem Namen Daniel Stern schrieb. Dieser Ehe, die eine glückliche war, sind mehrere Kinder entsprossen.
Nachdem der Meister tot, wird es, wie immer, erst klar, welch bedeutende Stellung er eingenommen hat und welch große Lücke er hinterläßt. Wie schon gesagt, muß uns die Zukunft erst ein abgeschlossenes Urteil über die Früchte seines Schaffens bringen. Die Tatsache aber wird immer bestehen bleiben, daß Wagner ein großer Künstler war, und daß die deutsche Kunst in einer besonderen Richtung durch ihn repräsentirt wird. Der Streit zwischen seinen Schülern und seinen Gegnern wird noch lange fortdauern und nach dem Tode des Meisters vielleicht mit verdoppelter Heftigkeit entbrennen. Im übrigen werden wir zu beobachten haben, ob der Einfluß Wagnerscher Tonkunst auf die Gestaltung der musikalischen Leistungen sich als ein dauernder bewähren wird. Die Unsterblichkeit wird man einzelnen seiner Werke nicht absprechen können; die kühl erwägende und abschäzende Zukunft, welche die Werke abgeschiedener großer Meister leidenschaftsfreier zu prüfen vermag, als die in den Kampf gegnerischer Richtungen verwickelten Zeitgenossen, wird zu entscheiden haben, wie weit Wagner von seinen Ver ehrern überschäzt, von seinen Feinden aber zu wenig geschäzt worden ist.
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