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Milizen und stehende Heere.

Man hört oft die Frage erörtern, wem wohl der Sieges preis zufallen würde, wenn die Armee eines großen europäischen Militärstaats sich mit den Milizen der nordamerikanischen Union zu messen hätte. Sich darüber zu erhizen ist müßig, denn einesteils ist diese Sache keineswegs von vornherein zu ent­

| scheiden, zum andern wird ein solcher Zusammenstoß kaum erfolgen, denn die Union treibt keine Angriffs- und Eroberungs­politit, und es ist nicht abzusehen, wie sie mit einem der euro­ päischen Militärstaaten in Konflikt geraten sollte. Selbst zur Zeit der Herrschaft der Franzosen und des österreichischen Prinzen

Richard Wagner .

Maximilian in Meriko, als sich die Situation aufs gefährlichste zugespizt hatte und ein Zusammenstoß kaum zu vermeiden war, wußte die Union flug durch die drohenden Klippen hindurch zusteuern, während sie nichtsdestoweniger energisch die Monroe­Doktrin*) wahrte. Wie vorteilhaft es ist, wenn ein Land sich aller Kriegs- und Eroberungspolitik enthält, sieht man an der

*) James Monroe , Präsident der vereinigten Staaten von Nord­ amerika , stellte am 2. Dezember 1823 den Grundsaz auf, daß jeder Versuch europäischer Regierungen, sich in innere Angelegenheiten ameri­tanischer Staaten einzumischen, entschieden zurückzuweisen sei. Diese Monroe- Doktrin gilt noch heute.

kleinen Schweiz , die zwischen lauter Militärstaaten gelegen ist und doch ihren Bestand seit Jahrhunderten wahrt, ja große Katastrophen glücklich überstanden hat.

Die Staaten, die keine Kriegs- und Eroberungspolitik treiben, können sich mit dem Milizsystem begnügen und brauchen nicht den schweren eisernen Panzer zu tragen, in den sich die euro­päischen Militärstaaten zu hüllen genötigt sind. Das Verhältnis der konkurrirenden Militärstaaten mit ihren stehenden Heeren ist ein ganz merkwürdiges geworden; sie drehen sich wie in einem Wirbel, der kein Ende hat, und sind genötigt, sich immer größere Lasten aufzuwälzen. Der alte Spruch: Si vis pacem,