para bellum*), steht bei den militärischen Autoritäten unserer Zeit noch in voller Giltigkeit. Man hält jede Kritik der stehen den Heere, ihrer Kosten und ihrer langen Dienstzeit schon für überflüssig und hat für das Milizsystem nur noch ein überlegenes Lächeln. Unsere modernen europäischen Strategen lassen in diesem Punkte eben nicht mit sich reden; auch die Staatsmänner stimmen ihnen gewöhnlich zu, und Gambetta hat ebensowenig wie Moltke eine Abrüstung für zulässig gehalten.

Und doch gibt gerade die preußische Geschichte ein berühmtes Beispiel, wie ein Volk waffentüchtig und wehrhaft zu machen ist, ohne dreijährige Dienstzeit und ohne stehendes Heer nach dem heutigen System. Als Napoleon 1806 Preußen nieder­geworfen und geschwächt hatte, glaubte er es wehrlos zu machen, indem er ihm sein stehendes Heer nahm. Er zwang es zu einem Vertrage, nach dem es nie mehr als 42000 Mann unter den Waffen haben sollte. Nach den Anschauungen unserer Strategen von heute müßte dies der Untergang Preußens ge= wesen sein. Allein die Wirkung war eine ganz andere. Das bei Jena und Friedland unterlegene Heer war nur mehr eine brüchige und verrostete Maschine gewesen, zusammengehalten durch den Korporalstock und den Gamaschenknopf. Nun ward ein lebendiger Organismus geschaffen. Scharnhorst ließ von nun ab den preußischen Soldaten nur noch einige Monate dienen. In kurzer Zeit war die ganze waffenfähige Mannschaft ein­geübt, obschon immer nur die vertragsmäßigen 42000 Mann unter den Waffen standen. Die in wenig Monaten eineɣerzirten Truppen wurden die Sieger an der Kazbach, von Großbeeren , von Dennewiz, von Leipzig und nahmen 1814 Paris ein. Sie hatten keine drei Jahre in der Kaserne gelegen und mußten gegen den ersten Feldherrn der Neuzeit mit seinen gefürchteten Garden marschiren. Sollte für ihre Epigonen von heute die furze Einübung nicht auch hinreichend sein? Oder hat Deutsch­ land etwa an Intelligenz abgenommen?

Wenn man sich also an einen Vergleich der Milizsysteme mit den stehenden Heeren wagt, so hat man Autoritäten für sich, mit denen man sich decken kann. Ueber Scharnhorst wird fein heutiger Stratege zu lächeln wagen; es ist bekannt, daß auch Gneisenau, der einen so erheblichen Anteil an dem Sieg über Napoleon und an der Vorbereitung dieses Sieges hatte, sich entschieden gegen die stehenden Heere aussprach.

Man hat in vielen Kriegen die Miliz über die stehenden Heere siegen sehen, so namentlich in den Revolutionskriegen der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Das System, mittels dessen man siegte, war ein sehr einfaches. Es konnte nicht fehlen, daß die Truppen des stehenden Heeres kriegs­geübter und disziplinirter waren, als die eben ausgehobenen Freiwilligen. Aber man erdrückte die stehenden Heere, die sich ganz tapfer schlugen, durch die Masse der Milizen, die man auf sie warf. Und nach der Zahl werden die Milizen den stehenden Heeren immer unendlich überlegen sein. Jener Ge­danke, der von dem berühmten Carnot ausging, verschaffte der ersten französischen Republik den Sieg über die gegen sie ge­richtete europäische Koalition.

Die Union von Nordamerika hat in den mehr als hundert Jahren, die seit ihrer Gründung verflossen sind, drei Kriege von Bedeutung zu führen gehabt; den Befreiungskrieg gegen die Engländer, den Krieg gegen Merifo von 1847 und den blutigen Sezessionskrieg gegen die empörten Südstaaten im Anfang der sechziger Jahre; der zweite Krieg gegen England, der im Jahre 1814 zu Ende ging, war nicht von erheblicher Bedeutung, und die zahlreichen Indianerkämpfe können nicht als Kriege im eigentlichen Sinne des Wortes angesehen werden.

Das ist Krieg genug, und in allen diesen Kämpfen hat die Union bewiesen, daß ihre Bewohner, die sich so tapfer ihre republikanische Freiheit erkämpft und behauptet haben, durchaus tein waffenuntaugliches Volk sind, wenn sie zum Kampf ge­zwungen werden. Es ist interessant zu erfahren, wie im Be­freiungsfriege gegen England die ersten Milizbataillone aus den

*) Wenn du Frieden haben willst, sei zum Krieg gerüstet!

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urwüchsigen Hinterwäldlern, Farmern und Kolonisten gebildet werden mußten. Der bekannte General Steuben, der im Dienste der Union stand, erzählt ergözliche Dinge, wie es ihm erging bei seiner Aufgabe, aus diesen halbnackten, schlechtbewaffneten und unbändigen Leuten disziplinirte Truppen herzustellen. Aber sie schlugen sich gut, und wo sie unterlagen, ward der Feind seines Sieges nicht froh.

Der große Sezessionskrieg, der dem Namen nach die Be­freiung der Sklaven zum Ziel hatte, in Wahrheit aber ein Interessenkampf zwischen den Schuzzöllnern des Nordens und den Freihändlern des Südens war, führte zwei großartige Miliz­systeme zu einem Zusammenstoße. Die militärischen Operationen, die in diesem Kriege ausgeführt wurden, können sich an Groß­artigkeit und Kühnheit mit denen eines jeden andern Krieges messen. Man hat in diesem Kriege dieselbe Erscheinung, die man so häufig bei Milizen findet; sie können sich anfangs nicht recht an das Feuer der Schlacht gewöhnen und wenden sich leicht zur Flucht; bald aber werden sie kriegshart wie die zehnte Legion Cäsars oder die Garde Napoleons , und schlagen sich mit erstaunlicher Zähigkeit und Tapferkeit. Welche Truppen mußten es sein, die die dreitägige Schlacht von Richmond, die Schlacht in der Wildnis, die Eroberung von Vicksburg mit­machten und bestanden! Und die Milizen des Südens schlugen sich nicht schlechter, als die des Nordens; sie hatten anfangs bessere Generale und blieben im Vorteil, bis endlich die größere Macht und die populärere Sache des Nordens siegte. Die Heere der Baumwollenbarone stoben auseinander oder kapitulirten, die Bundesregierung triumphirte und die Union hatte diese furcht­bare Krise glücklich überstanden.

Eine europäische Regierung hätte zunächst über die nieder­geworfenen Empörer ein furchtbares Strafgericht verhängt und sodann ein möglichst großes stehendes Heer als Schuzmittel gegen eine etwaige Wiederholung solcher Empörungen errichtet. Die Bundesregierung war weise genug, keins von beidem zu tun, trozdem der Präsident Lincoln von einem fanatischen Anhänger der Südstaaten meuchlerisch ermordet worden war. Man nahm keine Hinrichtungen vor und hielt die Sezessionisten für hin­reichend bestraft, indem man ihre Sklaven für frei erklärte*), ihnen also beträchtliches Eigentum entzog. Selbst dem Präsi denten des Südbundes, Jefferson Davis , der in die Hände der Bundesregierung fiel, geschah weiter nichts, als daß man ihn einige Zeit in Haft hielt und dann wieder frei ließ.

Aber auch kein großes stehendes Heer wurde errichtet. Zunächst wurde für die Invaliden und die Hinterbliebenen der Kriegsopfer hinlänglich gesorgt; dann ging man an die Re­organisation des in den ungeheuren Kämpfen zersplitterten und verstümmelten Heerwesens. Es hat in der Union auch republi­kanische Generale gegeben, welche darauf hindrängten, die Union möge die europäischen Heersysteme nachahmen. Natürlich hatten diese edlen Strategen dabei zunächst den Zweck, sich selbst die Macht, den Einfluß, mit einem Wort die dominirende Stellung zu verschaffen, die in Europa die hohen Militärs, unserer Ansicht nach unnötigerweise, einnehmen. Diese Bestrebungen sind bis heute vergeblich gewesen.

Die Union blieb bei dem bewährten Milizsystem, welches heute so vervollkommnet ist, daß von den 50 millionen Ein­wohnern der Union etwa 61/2 millionen waffenfähiger Männer ins Feld gestellt werden können, wenn es zu einem Kriege mit einem auswärtigen Feinde kommt. Diese gewaltigen Heeres massen sind imstande, jeden Angriff zu erdrücken, denn über eine solche Anzahl von Männern, die ihre eigensten und ihres Vaterlandes Interessen verteidigen, in den Waffen geübt und

*) Die armen Nigger waren zunächst von ihrer Freiheit sehr wenig erbaut. Sie mußten sich nun bei den Baumwollenbaronen als ,, freie" Arbeiter verdingen und sahen sich vielfach schlechter behandelt, als zuvor, denn wenn sie früher auch Sklaven waren, so mußte sie der Befizer als persönliches Eigentum in seinem eigenen Interesse schonen. Jezt fiel dies Interesse fort. Daß sich der Norden darum nicht füm­merte, zeigt, wie wenig die Sklavenfrage das eigentliche Motiv jenes großen Kampfes war.