dem Elsa nicht fragen soll. Diese Melodie nun, die den Angelpunkt des Dramas begleitet, taucht teilweise im Verlaufe der Oper immer wieder aus dem Orchester auf, wo es sich darum handelt, daß jene Frage von Elsa vermieden werden soll. Sie ist eines der Leitmotive. In weit ausgedehnterem Maße hat nun Wagner das Leitmotivsystem im Ring der Nibelungen angewendet. Wie in der Dichtung gewisse Verhältnisse und Personen das Ganze beherrschen, so ziehen sich auch durch die ganze Musit bestimmte Leitmotive, gleichsam logisch den Gang der Handlung erklärend und motivirend. Diese Leitmotive sind in ihrem Karakter den jeweiligen Situationen angemessen, so daß sich dieser in ihnen spiegelt. In seiner Verwendung erfährt das Motiv mancherlei leichte Verän­derungen, verschiedene Harmonisirung und Instrumentirung, so doch, daß die Physiognomie des Grundgedankens nicht zu verkennen ist. Wie ferner im Gang der Handlung das eine oft unvermeidlich die Folge des anderen ist und beides unzertrennlich zusammengehört, so leiten sich auch einzelne Motive aus anderen her und lassen ihre Verwandt­schaft erkennen, ohne eins zu sein. Endlich sucht das Orchester durch möglichst reiche Farben nicht nur alles Tonmalerische in den Szenen, wie wogendes Wasser, flimmernden Glanz, lodernde Flammen, Gewit tersturm, Waldleben 2c. getreu wiederzugeben, sondern auch die Stim­mungen der handelnden Personen auf den Zuhörer zu übertragen. Man darf nicht die Musik als solche genießen wollen, sie erhält ihre Be­deutung nur durch die Handlung und das gesprochene Wort. Geschlossene Nummern, Arien u. dgl. gibt es nicht, melodisch zieht sich die Deklama­tion, das gehobene Sprechen( Recitativ), als musikalisches Sprechen idealisirt, durch das Ganze.

St.

Beim Advokaten.( Illustration S. 357). Es gibt immer noch jene merkwürdige Spezies von Bauern, die das Prozessiren nicht lassen fönnen. Ihnen ist nicht wohl, wenn sie nicht jede Woche aufs Gericht laufen und am Ende des Jahres dem Advokaten eine gesalzene und gepfefferte Rechnung bezahlen müssen. Das Schicksal anderer, die durch die leidige Prozeßsucht sich selbst um Hab und Gut gebracht haben und nun als Tagelöhner auf den Feldern arbeiten, die sie einst ihr eigen genannt, schreckt sie nicht ab; es muß weiter prozessirt werden. Das scheint in gewissen Bauernfamilien einmal so erbeigentümlich zu sein. Oft ist das Streitobjekt ein ganz geringfügiges; die Hartnäckigkeit der Parteien aber läßt die Kosten oft zu einer solchen Höhe anschwellen, daß der Sieger eben so schlimm oder noch schlimmer daran ist, als der Besiegte. Man kann nicht bestreiten, daß unsere agrarischen Ver­hältnisse dazu angetan sind, die Bauern leicht in Streitigkeiten zu ver­wickeln, andererseits ist aber nicht zu verkennen, daß ein großer Teil der Prozesse, welche die Bauern ruiniren, aus bloßer Lust zum Streit entsteht.

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Der Hofbesizer Michael Neuhaus, den unser Künstler verewigt hat, führt mit seinem Nachbar schon seit langer Zeit einen Prozeß, den man nach der Satire eines berühmten Schriftstellers den Prozeß um des Esels Schatten" nennen könnte. Wenn Michael siegt, ist er vielleicht schlimmer daran als sein Nachbar, aber das tut nichts; es wird weiter prozessirt, denn Michael sagt, er wolle sein Recht haben, der Nachbar sagt das auch, und daran liegt eigentlich der ganze Grund des Streits. Michael hat eben seine Jahresrechnung beim Advokaten in Ordnung gebracht, und es ist ihm doch in die Glieder gefahren, daß sein Beutel um verschiedene blanke Zwanzigmarkstücke erleichtert worden ist. Natür­lich fragt er den Advokaten, ob er denn seinen Prozeß bald gewinnen werde. Der alte trockene Jurist, der solche Fragen schon von früher her gewohnt ist, antwortet mit einem Achselzucken und versichert, daß er alles mögliche tun werde. Dem Hofbauer ist bei der Sache offenbar nicht ganz wohl zu Mute; die Geschichte dauert ihm zu lange und hat ihn auch schon ein rasendes Geld gekostet, denn die vielen Bogen Papier , die der alte Herr Doktor vollschreiben läßt, sind eine teure Waare. Aber der Hofbauer hat einen verzweifelt harten Kopf, und so muß er denn weiter prozessiren, bis sein Hab und Gut zum größten Teil dabei aufgegangen ist. Das kommt so sicher, als wenn es die Götter vorher bestimmt hätten, denn eher weichen die Planeten aus ihren Bahnen, als daß Michel Neuhaus seinen Eigensinn und seine Prozeßsucht zähmen möchte so lange er noch etwas hat.

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Bl.

Tine Knopmaier.( Illustration Seite 361.) Den geehrten Lesern und Leserinnen sind sicherlich schon viele reizende Frauengestalten im Bilde vorgeführt worden. Aus allen Kreisen der Gesellschaft holt sich der Holzschnitt seinen Gegenstand. Kaiserinnen, Königinnen, Herzoginnen, Gräfinnen und Baronessen wechseln ab mit Militärsfrauen, Geheim­rätinnen, Doktorinnen und Schriftstellerinnen, Modedamen mit Land­pomeranzen, Nonnen mit Weltdamen, Teaterprinzessinnen mit Nähe­rinnen, Köchinnen mit Blaustrümpfen und reisende Engländerinnen mit Ziegenhirtinnen. Auch sonst wird dem Geschmack der Lesewelt nach allen Seiten gerecht zu werden versucht; die Schönheiten sind groß und klein, dick und dünn, schlank und üppig; sie bieten zierliche Ge­sichter, wallende Locken, schimmernde Nacken, zierliche Händchen und Füßchen, schwellende Formen, graziöse Stellungen. Für den derben Naturalismus finden wir Gestalten geboten von kräftigen Umrissen, starktnochige Bauerndirnen und Fischerfrauen mit muskulösen Armen und einer Gangart, die sich der der bairischen Kürassiere bedeutend nähert. Aber hübsch sind sie alle, jede in ihrer besonderen Art. Man soll jedoch nicht immer dieselbe Speise genießen, wenn sie noch

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so angenehm schmeckt, sonst wird man derselben überdrüssig, wie es den Juden in der Wüste mit dem Manna ergangen ist. Und da wir den Geschmack unserer Leser mit lauter Schönheiten nicht abstumpfen wollen, so präsentiren wir ihnen heute ein Bild von Feddersen, darstellend die alte Tine Knopmaier, wie sie behaglich ihr Schälchen Kaffee trinkt. Wir können dies Bildchen um so eher vorführen, als wir keine Furcht zu haben brauchen, die Phantasie heißblütiger Jünglinge unter unseren Lesern zu erhizen. Nachdem sie nun so oft gesehen und gelesen, wie schöne Damen die Herzen der Männerwelt betören, können sie sich ein­mal daran erbauen, wie eine alte Frau mit verwetterten Zügen und tiefen Runzeln in aller Gemütlichkeit ihren wir wollen nicht sagen Mokka, sondern Kaffee schlürft. Der Künstler war etisch genug an­gelegt, ihr den Mund, der einen Vergleich mit einem perpetuum mobile herausfordert, wenn die Tine spricht, zu schließen und damit alle un­nötigen Betrachtungen über die Unzulänglichkeit weiblichen Zahnwesens von vornherein abzuwenden. Ein alter guter Spruch besagt zwar: ,, Häßlichkeit entſtellet immer

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Selbst das schönste Frauenzimmer;"

allein man würde zu weit gehen, wollte man diesen Spruch auf unsre alte Tine anwenden. Und wir können gar nicht wissen, ob sie nicht ein schmuckes und vielbegehrtes junges Ding war, als sie noch vierzig Lenze weniger zählte. Wir wollen auch keineswegs darüber spötteln, daß die Reize Tines längst verblüht sind, sondern wir wünschen ihr, Kaffee trinke und ihre spize Bunge nicht zu viel spazieren gehen lasse, daß sie noch recht lange sich ihres Daseins freue, gesund bleibe, ihren wie sie denn auch mit geschlossenem Mund offenbar am liebenswürdig­sten aussieht.

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Bl.

Die Aussäzigen" im Mittelalter. Der Aussaz" oder die Lepra " ist eine der entsezlichsten Krankheiten epidemischer Art, von denen je die Menschheit heimgesucht worden. Schon die Bibel erzählt bekanntlich von den Schrecken derselben, doch ist es ungewiß, ob der von ihr erwähnte Aussaz die eigentliche Lepra gewesen von Herodot wird die leziere als eine persische Krankheit bezeichnet. Jedenfalls stammt sie aus dem Orient, verpflanzte sich von da nach Griechenland und wurde von hier im Jahre 62 v. Chr. nach Italien eingeschleppt. Bei Beginn der christlichen Zeitrechnung finden wir sie schon in Spanien , Galizien und Britannien verbreitet. Die Longobardenkönige von Italien ver= boten die Heirat der Leprösen; im Mittelalter muß sich hier und in Frankreich die Krankheit furchtbar verbreitet haben, denn jeder Flecken besaß damals dort ein Leprösenhaus; in Paris bestand ein besonderes Haus für Hofdamen. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts zählte man in Europa zirka 19 000 Leprösenhäuser. Jedenfalls hatten auf die große Verbreitung des Aussazes zu jener Zeit die Kreuzzüge, welche große Menschenmassen nach dem Orient und wieder zurückführten, be­deutenden Einfluß. Ein an der Lepra Erkrankter galt als ausgestoßen aus der bürgerlichen Gesellschaft, als unehrlich( wie ein am Erbgrinde, der Tina, Erkrankter), als bürgerlich tot, so daß in Frankreich schon für den Erkrankten die Totenfeier abgehalten wurde. Anderwärts galt ein mit dem Aussaz Behafteter als ein von Gott gezeichneter schwerer Verbrecher, der deshalb besondere Kleidung tragen und, wenn er durch die Straßen ging, durch Klappern auf seine Nähe auf­merksam machen mußte. In Deutschland wurden, wie Virchow gezeigt hat, die Leprösen anfänglich ausgesezt, woher der Name Aussaz" fommt. Später baute man gleichfalls Häuser für diese unglücklichen Kranken. Die Männer und Frauen pflegten in von einander getrennten Lepraforien untergebracht zu werden. Im siebzehnten Jahrhundert er­losch die Lepra als epidemische Krankheit im größten Teile Europas ; nur in Norwegen und Kreta kommt sie als solche noch in größerer Ausdehnung vor; vereinzelte Fälle werden jezt auch an den Küsten des Mittelmeers noch beobachtet. In den genannten Gegenden, wie in mehreren außereuropäischen Ländern sind heutzutrage noch Leprösen­häuser zu finden.

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Dr. M. V.

Gastfreundschaft gilt bei den Zulukaffern als eine der höchsten Tugenden. Wenn eine Hausfrau den Gast nicht gut bewirtet, so ist das für den Mann ein gültiger Scheidungsgrund. In den Dörfern ist es die vornehmste Hütte, in welche die Fremden einkehren. Sie ist dazu eingerichtet und also zugleich eine Art Gasthaus nur daß nichts darin bezahlt wird, was jedenfalls kein Fehler. Ein Zulu, Umpenguía, schildert diese Einrichtung wie folgt:*) Bei uns schwarzen Männern ist das Haupthaus das, zu welchem alle Fremden gehen und wo sie gut aufgenommen werden. Die erste Frau des Dorfes die Frau des Häuptlings hat die Pflicht, alle Fremden zu bewirten. Unter Be­wirtung verstehe ich, daß ihnen Nahrung verabreicht wird, und zwar so viel sie verlangen und ohne ein schiefes Gesicht. Wenn eine Frau dem Gaste nicht freundlich ist, ihm das Essen mißgönnt, Essen vor ihm verbirgt oder es heimlich ißt, ohne ihm davon zu geben, wenn sie mit dem Gaste zankt oder ihn gar abweist, dann muß sie aus dem Hause gehen. Ein solches Weib können wir nicht dulden. Sie ist nicht geeignet, das Dorf zu tragen( das heißt: an der Spize des Dorfs zu stehen). Sie muß fort in eine schlechtere Hütte und eine andere nimmt ihren Plaz ein." Mit dem Essen ist es bei den Zulus - Die Zulus , ihre Ge­

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*) Sieh Amazulu: The Zulus , their part history etc. schichte 2c. von Thomas B. Jenkinson.

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