In Italien , wo man überhaupt der alten Kultur näher stand, zeigt sich das Wiederaufleben des klassischen Altertums schon von der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an. Gelehrte Griechen, welche vor dem Ansturm der Türken nach dem Abend­lande, besonders nach Italien flüchteten, verpflanzten dahin die Kenntnis der griechischen Sprache und Literatur, und kunstfreund­liche Päpste, Fürsten und Patrizier, besonders die durch Reich tum und Talent ausgezeichnete Familie der Mediceer, er­warben sich große Verdienste um die Beförderung der klassischen Studien durch den Ankauf von Manuskripten, Anlegung von Biblioteken, Gründung von Akademien und freigebige Unter­stüzung gelehrter und geistreicher Männer. Und wie sich das Interesse für alte Literatur zunächst darin betätigte, daß man von allen Seiten Manuskripte einsammelte, so äußerte sich der Eifer für antike Kunst zunächst dadurch, daß man die Trümmer von Gebäuden, Denkmälern und Tempeln der alten Welt sorgfältiger vor dem Untergang bewahrte und durch Aus­grabungen und Nachforschungen( welche die Auffindung des Apollo von Belvedere in Antium und der Laokoongruppe zur Folge hatte) das Verborgene ans Licht zu bringen suchte. Die italienischen Künstler begannen die leberreste der alten Kunst einem sorgfältigen Studium zu unterwerfen und übertrugen dann die Prinzipien und Formen des Antiken auf die For­derungen ihrer eigenen Zeit. Und wie an den Schöpfungen der Antike, so bildete sich das Auge des Künstlers auch durch das gründlichere Studium der Natur. Die Folge davon war, daß sich die Kunst von den typischen Formen mittelalterlicher Romantik abkehrte und dem Realismus der Natur sich zuwendete, und daß die Stoffe der christlichen Myte und Legende nicht mehr in typischer Weise, sondern historisch, menschlich behandelt wurden: die Heiligen wurden wie die Götter Verkörperung menschlicher Vollkommenheit und Schönheit. Gleichzeitig wurden die Myten und Historien des Altertums wieder lebendig als Vorwürfe für künstlerische Darstellung, auch das Leben der Gegenwart erscheint der künstlerischen Behandlung würdig und ferner schärft sich der Blick für landschaftliche Schönheit. So tritt in der Architektur an die Stelle des gotischen Spizbogen­stils der griechische Säulenbau und die römische Kuppelform, während in Skulptur und Malerei der christliche Spiritualismus realistischer Naturwahrheit und blühender Fleischfreudigkeit weichen muß. Die leztere, die Malerei, schwingt sich nach und nach an die Spize der bildenden Künste, und hier erheben sich nun vor dem umschauenden Blick, wie Lübke sagt, jene Heroen­gestalten der Kunst, welche die Bewunderung und die Liebe der Menschengeschlechter bis in die fernsten Zeiten sein werden. Den Reigen eröffnet die ernste Gestalt des großen Lionardo da Vinci), Architekt, Kriegs- und Wasserbaumeister, Bild­hauer, Improvisator, Sänger und Musiker wie Gelehrter, und auf keinem dieser Gebiete Dilettant, vielmehr gründer und Entdecker"; dabei von ungewöhnlicher Schönheit, höchster und geübter Körperkraft, voll Geist und Wiz. In seine Fußstapfen tritt, wie ein junger Herkules, übermütig, fraftvoll, Michelangelo **), der zum erstenmal aus dem tiefsten Studium des Klassischen Altertums jenen freien, großen Stil in die Kunst einführt, vor welchem selbst die bedeutendsten Schöpfungen der Vorgänger fast wie befangene Schülerversuche zusammenschrumpfen. Auch er ist in seinem Schaffen von wunder­barer Vielseitigkeit: in allen drei Künsten die großartigsten Meisterwerke als unerreichbare Vorbilder darstellend. Die Vol­lendung in lauterster Schönheit bringt dann Raffael , der den unsterblichen Hauch göttlicher Anmut über alles verbreitet, was seine Hand berührt; auch er ist nicht blos in der Malerei, sondern ebenso in der Architektur, im Studium und Erforschung des Altertums erfahren. Daran reihen sich die Vollender rein

überall Be­

*) 1452-1519, Stifter der lombardischen Schule. Sein bekann­testes Werk ist das Abendmahl, in Del auf die Wand des Refaktoriums von Sta. Maria delle Grazie zu Mailand gemalt.

**) 1475-1564. Besonders bekannt sind sein Moses( plastisches Werk) und seine Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle in Rom .

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malerischer Darstellung, Giorgione *), der seiner leidenschaft­lichen Empfindung in einem glutvollen, mächtig akzentuirten Farbenvortrag zum Ausdruck verhilft und Tizian **), der un­übertroffene Meister des blühenden Fleisches", der seine Ge stalten vom goldenen Licht eines reinen Aeters durchleuchten läßt, endlich Corregio***), dessen luftdurchhauchte Gebilde sich in die durchsichtigen Schleier eines verstohlenen Helldunkels hüllen. So groß aber ist die schöpferische Kunst dieser Zeit, daß neben jenen höchsten Meistern ein ganzer Kreis von Sternen zweiten Ranges aufleuchtet, die jenen an Glanz nicht selten sehr nahe kommen und von der Intensität und Mannichfaltigkeit des künstlerischen Lebens im Cinque- cento Zeugnis ablegen. Noch jezt ist es für den Wanderer wahrhaft staunenerregend, wenn er in Italien auf Schritt und Tritt, selbst in den kleinsten Städten, die glänzenden Schöpfungen dieser Zeit kennen lernt. So uner­schöpflich scheint dieser Reichtum, daß das funstgesegnete Land noch überschwänglichen Besiz aufzuweisen vermag, obwohl es seit Jahrhunderten alle Museen und Privatkabinete Europas von Madrid bis Petersburg , von Pest und Wien bis Stockholm und London mit seinen Schäzen geschmückt und bereichert hat. Was die italienische Malerei damals Hohes geschaffen hat, ge­hört zu den köstlichsten Gütern der Menschheit, weil sie sich nicht begnügte, das einfach Natürliche und Wirkliche in ihren Gebilden zu erreichen, sondern aus den Meisterwerken der antifen Plastik wie aus dem eigenen aufs höchste gesteigerten Schönheitsgefühl den Trieb schöpfte, über das Alltägliche zu Gestalten höchster Schönheit und Idealität durchzudringen.

Dogma und Zubehör fingen an, in den Hintergrund zu treten, der klassische Humanismus ließ die erleuchteteren Geister dem Humanen im Christentum, in Lehre und Sage, sich zu­wenden. Für die Kunst war dies nun ein doppelter Gewinn, mit dem Reinmenschlichen der Antike verband sich die verfeinerte christliche, oder sagen wir lieber die moderne Etif, und während die antike Kunst mehr die körperlichen Vorzüge zur Darstellung brachte, Schönheit, Kraft u. s. f., war in der Renaissance sitt liche Reinheit und Größe mit antiker Aeußerlichkeit gepaart. Dem antifen Leib wurde eine moderne Seele eingehaucht, wie wir eine ähnliche Verschmelzung in einer Schwesterkunst, der Poesie, in Goethes Iphigenie, bewundern.) Wenden wir uns nun zum größten Maler der Renaissance. ††)

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Reines Künstlers Leben ist auch nur von ferne dem des Raffael an Glück zu vergleichen. Keine Kämpfe gegen Not und Feindschaft bedrängten seine Jugend. Als Kind erregte er die größten Hoffnungen, schrittweise erfüllte und übertraf er sie und bald in einem Umfang, den niemand ahnen konnte. Als Franzesko Franzia zum erstenmal eines seiner Bilder sah, legte er den Pinsel nieder und starb vor Gram, daß er nun nichts mehr zu erreichen habe. Rasch entwuchs der Jüngling seinen Meistern. Was als das Wunderbarste an seiner Erscheinung hervortritt, das ist jene vollkommene Harmonie aller geistigen Anlagen, die selbst bei den größten Künstlern nur selten ge­funden wird; in solcher Vollkommenheit wie bei ihm wohl nur noch bei einem einzigen innerlich nahe verwandten Meister einer andern Kunst, bei Mozart . Ist bei andern, selbst bei den ersten Meistern, irgend eine Richtung die vorwiegende, sei es die auf energische Karakteristik oder auf den höchsten Ausdruck des Erhabenen, so findet sich hier jeder Zug des geistigen Lebens zu unvergleichlichem Ebenmaß, zur vollendeten Schön­heit verbunden. In seinen Werken begegnet uns wieder seine ,, edle Einfalt und stille Größe", welche nach Winkelmanns tref­

*) 1477-1511.

**) 1477-1576, Haupt der venetianischen Schule. Unter seinen zahlreichen Werken sind sein Zinsgroschen( in der dresdner Galerie) und seine Venus und andere Frauenbilder die populärsten.

***) 1494-1534. Sein bekanntestes Werk ist die büßende Magda­lena( in Dresden ), welche mehr eine Magdalena als eine Büßerin darstellt.

) Bgl. hierzu die Artikel: Die Religion der Vergangenheit und der Zukunft" im vorigen Jahrgang der N. W."

tt) Lübke, Geschichte der italienischen Malerei. Springer, Raffael und Michelangelo . Grimm, Ausgewählte Essays.