fendem Ausdruck die Blütezeit der hellenischen Kunst karakterisirt. Der menschliche Körper war seinen Händen anvertraut; die unmerklichsten Wendungen wußte er zu unterscheiden, Schönheit in jede Faser zu legen. Raffaels Gestalten erschöpfen die Möglichkeit menschlicher Bewegung, wie die Bildsäulen der Griechen die der menschlichen Ruhe, wie Shakespeares Dichtungen die der menschlichen Leidenschaft, Goethes Gedichte die der liebenden Betrachtung erschöpfen. Und wie ein Homerisches Distichon den Stempel Homers   deutlich an der Stirne trägt*), so die Geschöpfe Raffaels. Seine Werke sind ganz vollendet, sehen wir sie an, so steht unsere Sehnsucht still und verlangt nichts mehr. Wir wollen nur sehen, die Gedanken verschwinden, die Fordrungen der Phantasie verstummen und sind befriedigt. Selbst wo er das Verderben und das Furchtbare darstellt, tragen seine Bilder eine, klare Schönheit in sich, belasten niemals das Gemüt, das in Bewunderung versunken ist. Raffaels Werke sind wie goldene Aepfel, die an einer ewigen Sonne reifen; feine Mühe sieht man ihnen an, arbeitslos scheint er sie hin­geworfen zu haben, und doch zeigen seine Bilder ein Studium, das heute unerhört ist( ganz wie bei Mozart  ). Es quoll ihm aus den Fingern, es war feine Arbeit, wie einem Rosenbusch das Blühen keine Mühe macht; was er angriff, verwandelte sich in Schönheit. Mitten in ihr knickte sein Leben. Keine Ab­nahme seiner Kraft, kein Stehenbleiben, keine Manier ist bei ihm wahrzunehmen. Sein Leben entblätterte sich nicht langsam; plözlich war er nicht mehr da. Er ging unter wie eine blühende Stadt, die ins Meer versinkt mit all ihrem Reichtum wie Mozart  . Wen Zeus   liebt, der stirbt jung," gilt von diesen beiden Lieblingen der Götter.

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Ein Zauber umgab ihn und erfüllte die, denen er begegnete und die mit ihm zusammen waren. Harmonie war sein Leben, um mit Pythagoras   zu reden. Seine neidlose Güte, sein reiner Sinn wird von allen Zeitgenossen einstimmig gepriesen und die Grazie seiner Seele strömte von ihm auf seine ganze Umgebung. Wo er arbeitete, verstummten Neid und Eifersucht unter den Künstlern, sie wurden einig und ordneten sich ihm unter. Es gibt kein erhabeneres, kein rührenderes Lob, als die Art, wie Vasari  , der italienische Biograph Raffaels, dessen Oberherr schaft über alle Künstler nicht seiner Meisterschaft und der Klug­heit seines liebenswürdigen Benehmens zuweist, sondern dem Genius seiner schönen Natur zuschreibt. Nicht allein preist er Nicht allein preist er an ihm die Höhe und Vollkommenheit seiner Kunst, die nie jemand hoffen dürfe, übertreffen zu können, sondern fast noch mehr rühmt er seine edlen Sitten, sein leutseliges Wesen, das herzliche Verhältnis zu seinen zahlreichen Schülern und am meisten bewunderungswürdig findet er, daß der Himmel ihm die Kraft verliehen habe, im Künstlerkreise zu erwecken, was wider die Natur der Maler streite; denn alle Maler, nicht nur die geringen, auch die großen, welche auf ihren eigenen Ruhm bedacht waren, arbeiteten unter ihm in unerhörter Eintracht. Zwistigkeiten und böse Gedanken fielen tot zu Boden. Jede üble Laune" sind Vasaris   eigene Worte schwand, wenn sie ihn sahen, jeder niedrige Gedanke war aus ihrer Seele ver­scheucht, und dies kam daher, daß sie durch seine Freundlichkeit, durch seine Kunst und mehr noch durch die Macht seiner schönen Natur sich überwunden fühlten." Unverständigen Tadel wußte er fein abzufertigen. Als einmal zwei Kardinäle an einem Gemälde die Köpfe der Apostel Petrus und Paulus   zu rot fanden, äußerte Raffael  : Sie erröten vor Scham darüber, daß ihre Kirche von Leuten wie ihr seid verwaltet wird." Des Ruhmes genoß Raffael   wie kein Sterblicher vielleicht vor ihm und nach ihm. Wie ein Fürst lebte er. Vasari   erzählt, daß er selten von seinem Hause zum Vatikan   gegangen sei, ohne von wohl fünfzig guten und vorzüglichen Malern" umgeben zu sein, die ihn durch ihr Geleit ehren wollten. Der Papst, der ihn wie einen Freund empfing, kannte ihm gegenüber keine Grenze der Freigebigkeit. Das aber verführte seine Bescheiden­

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*) Die Alten sagten: So wenig dem Herkules seine Keule, eben­sowenig kann dem Homer ein Vers entrissen werden.

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heit nicht. Auch wirft ihm niemand vor, daß er Schäze ge­sammelt, daß er nach Gold und Ruhm gegeizt habe. Seine Kunst war sein Glück den Bildner der Schönheit hatte die Natur mit hoher Schönheit ausgestattet. Bezaubernde Anmut war über sein edles Antliz ausgegossen und umfloß seine feine Gestalt. Er liebte die Frauen, wie Mozart und Goethe. Vasari   erzählt, wie ihn einst die Liebe von aller Arbeit abzog und seine Freunde zulezt keinen andern Rat wußten, als daß sie die schöne Frau zu ihm aufs Malergerüst brachten, wo sie nun den ganzen Tag bei ihm saß und er sie arbeitend nicht entbehrte. Vermählt war er nicht. Vermählt war er nicht. Der Kardinal Bibiena  bot ihm die Hand seiner Nichte an, aber Raffael   verzögerte die Heirat von Jahr zu Jahr und starb unvermählt. Ob er die künstlerische Freiheit sich nicht beschränken wollte? Wer weiß es? Ueberall, und so auch bei Künstlern, ist es ein trauriger Anblick, wenn Weib und Kind die freie Arbeit zur drückenden Last machen; allein Beispiele dieser Art ließen sich ebensoviele gegenüberstellen, wo eine glückliche Ehe der reinste Antrieb zur Arbeit und wahren Entwicklung ward. Es ist dies eben ganz individuell. Auch Lionardo da Vinci  , Michel Angelo   und Tizian  waren unverheiratet. Legitime Verbindung durch die Kirche und vor dem Gesez war damals nicht die Bedingung, an welche sich die Gunst schöner Frauen knüpfte. Es war kein Vorwurf, ein uneheliches Kind zu sein. Tizian   hatte Kinder, welche er glänzend ausstattete.

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Hoch auf einem östlichen Ausläufer der Apenninenkette, wo sich die Mark Antona von Umbrien   und Toskana   scheidet, liegt das kleine Städtchen Urbino   in stiller Einsamkeit des Gebirgs, altertümlich und malerisch mit engen gewundenen Gassen, mit zahlreichen Kirchen und Klöstern, ehemals die Residenz der Her­zoge von Urbino  , deren kühn auf steilem Felsen tronendes Schloß das Städtchen überragt. Von hier schweift der Blick über die Obstgärten der nächsten Umgebung zu den waldigen Hügeln über eine weit ausgedehnte Gebirgslandschaft, die mit ihren sanften Wellenlinien und einzelnen hervorragenden Kuppen sich bis zum adriatischen Meer hinabsentt. Hier steht noch in einer der steilen Gassen, die zum Schloß hinanführen, das bescheidene Haus, in welchem am Charfreitag, den 28. März 1483, Raffael   geboren wurde. Sieben Monate später in demselben Jahre erblickte in einem unscheinbaren Städtchen Norddeutsch­lands Luther das Licht der Welt. In beiden großen Männern, sagt Lübke, brachte die Zeit zum höchsten Ausdruck, was an treibenden Kräften in ihr lag. Wandte in Deutschland   sich alles auf die religiöse Seite und führte zur Erneuerung und Be­freiung des inneren Lebens, so blieb Italien   seiner durch Jahr­hunderte befolgten Mission treu, die Welt der Erscheinungen im künstlerischen Ideal zu verklären, die neubelebte Antike mit den christlichen Anschauungen zu vermählen. In Raffael   sollte dies Streben seinen reinsten Ausdruck gewinnen. Die ersten künstlerischen Anregungen empfing Raffael   von seinem Vater, Giovanni Santi  , einem wackeren Maler, von dem noch iezt mehrere Gemälde vorhanden sind. Als einziges Kind drei später geborene Geschwister starben frühwuchs Raffael, von zarter Mutterliebe bewacht, heran bis zum achten Lebensjahr, in dem ihm die Mutter Magia, eines Kaufmanns Tochter, durch den Tod entrissen wurde. Schon nach kaum acht Monaten suchte sich der Vater eine neue Hausfrau und verband sich mit Bernardina, der Tochter eines Goldschmieds. Der kleine Raffael scheint von der Stiefmutter nicht eben liebevolle Behandlung erfahren zu haben, und seine Lage wurde drückend, nachdem er 1494 auch seinen Vater durch den Tod verloren hatte. Auch der Bruder seines Vaters, der Priester Don Bartolomeo Santi, scheint sich als Vormund seiner nicht sonderlich angenommen zu haben. Dagegen knüpft sich ein Verhältnis inniger Liebe zu dem Dheim mütterlicherseits, Simone Ciarla, der väterlich für den Knaben sorgte und ihn später nach Perugia   zu Meister Pietro Perugino  , Repräsentant der umbrischen Schule( 1446 bis 1524), in die Lehre brachte. Bei Perugino   erhielt er die tüchtige Anleitung einer soliden Werkstatt, und die seelenvolle Aumut des Meisters, der damals in der Reife des Mannes­

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