alters stehend, die Höhe seiner künstlerischen Entwicklung erreichte und seine edelsten Schöpfungen hervorbrachte, entsprach der reinen Stimmung seines eigenen Gemüts und klingt in seinen Jugendwerken lebhaft nach. Es liegt in der Natur einer so normalen Entwicklung wie die Raffaels, daß er mit der gläubigen Hingebung jugendlicher Begeisterung die Formen seines verehrten Meisters getreulich nachahmte, wie man das in ganz ähnlicher Weise bei Mozart bemerkt. Wenn damals schon ein Unterschied hervortritt, so ist es höchstens der, daß die religiösen Aufgaben dem Jünglinge noch ganz anders Herzenssache waren als dem reifen Meister, und daß daher seine Gestalten einen geheimnisvollen Zug rührender Seelenschüchternheit verraten. Das gilt namentlich von einzelnen seiner frühesten Madonnenbildern. Keine Schule hat so oft und mit solcher Hingebung dieses Tema in der ganzen Innigkeit idyllischen Glücks geschil dert wie die umbrische, und kein Maler hat dasselbe in so mannichfaltigen Variationen mit höchster Meisterschaft dargestellt als Raffael . Es mag darum hier der Ort sein, etwas näher auf dasselbe einzugehen. Bildliche Darstellungen einer Gottesmutter nebst Sohn begegnen uns schon bei den ältesten Völkern, bei den Chinesen, Japanesen und Egyptern, welche leztere die Gottesmutter Isis bildeten, wie sie ihren Sohn Horus säugt, und nach der Vermutung mancher Archäologen hat diese in Egypten von Alters her sehr gewöhnliche Darstellung den originalen Typus abgegeben sowohl für die indische Darstellung der Gottesmutter Davati mit dem Krischnakind an der Brust*), als für die christliche Madonnendarstellung mit dem Jesuskind, und wie D. Pfleiderer mit Recht hervorhebt, gewinnt diese Vermutung an Wahrscheinlichkeit dadurch, daß die kultische Verehrung der Maria als Gottgebärerin unter dem Einfluß der egyptischen Teologen des 5. Jahrhunderts aufgekommen ist. Aber welch ein Unterschied zwischen den älteren Madonnenbildern und denen der Renaissance. Vielleicht nirgends springt der Gegensaz der religiösen Kunst im kirchlichen und im humanen Sinne greller ins Auge. Die byzantinischen Madonnen muß man sehen, wenn man wissen will, was religiöse Kunst im firchlichen Sinne ist. Der Gläubige, sagt L. Pfau, der diese ausgemergelten, hüftelosen, brustberaubten Gözenbilder verehrt, darf kecklich an die unbefleckte Empfängnis, an die übernatürliche Fortpflanzung, an die wunderbare Fleischwerdung beliebiger Generationen glauben; denn ein derartiges Weib kann unmöglich auf natürlichem Wege empfangen, noch empfangen worden sein. Bis ins 15. Jahrhundert hat die Kunst solche entfleischte, schönheitsfeindliche Madonnen- Gözenbilder oder doch von allem Irdischen und Sinnlichen freie Marien hervorgebracht, bis die Meister der Renaissance die Kunst aus den Banden der Kirchlichkeit erlösten und statt den Gottessohn vielmehr den Menschensohn und seine Mutter verherrlichten. Hauptsächlich aber war es Raffael , welcher die Madonna vom kirchlichen Boden ablöste und aus dem besonderen Glaubenskreise zu allgemeiner menschlichen Bedeutung, aus der dunklen und dumpfen Welt der Bekenntnisse in das Reich der lichten Empfindung emporhob. Für diese menschliche Auffassung des Marienbilds besaß Raffael in der florentinischen Kunst bereits mannichfache Vorgänger. Dem Beispiele des Bildhauers Donatello ( Florenz 1386-1466) und anderer Plastiker folgend haben auch schon die Filippo, Filippino Lippi u. a. die fröhlich liebende, jugendlich schöne Mutter in das Leben gerufen. Sie malten, wie das Kind an der Mutter emporklettert, sich dieser zärtlich anschmiegt; sie schildern, wie die Mutter ihrem Erstling eine Frucht, ein Spielzeug zeigt. Aber das Hauptmotiv bei ihnen bleibt doch die Anbetung des Christkindes durch die Madonna, welche mit gefalteten Händen vor demselben kniet oder von Engeln sich dasselbe reichen läßt. Die alte Tradition wirft auf ihre Darstellung einen, wenn auch leichten Schatten, während bei Raffael die neue Auffassung ganz ungetrübt und ungehemmt herrscht. Etwa ein halbes Hundert Madonnen hat Raffael geschaffen und in ihnen besonders offen
*) Krischna ist der Gott des Friedens und der Liebe und der Krischnamytus hat auffallend viel Aehnlichkeit mit dem Jesusmytus.
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bart sich der unerschöpfliche Reichtum seiner Phantasie, welche selbst bei engbegrenztem Inhalt in immer neuen Formen sich ergeht. Freilich ein dankbarerer Stoff für die Malerei läßt sich kaum denken. Gibt es etwas Erhabeneres in der Welt als die Mutterschaft? Die Liebe der Mutter zum Kinde ist selbstlos, frei von jedem sinnlichen Zuge, feusch und doch glühend, von unnennbarer Süße und Innigkeit. Berauschender im Augenblicke wirkt wohl die Hingabe der Jungfrau an den Jüngling, einzelne zärtlichere Ausbrüche kennt die Neigung der Gatten zu einander, aber keine Empfindung kann sich an idealem Schwung, an Reinheit und gleichmäßiger Wärme mit echter, tiefer Mutterliebe messen. Sie verschönt selbst das häßliche Weib, sie erhebt die schöne Frau zur Göttin. Darum üben die anmutigen Marien Raffaels, die hold verschämt zu ihrem Erstling herabblicken, ihn an den Busen drücken, sein Erwachen, seine Spiele belauschen, mit einem Wort, die ganze reiche Mannichfaltigkeit von Mutterliebe, Mutterfreude und Mutterstolz in ihren Aeußerungen offenbaren, einen so unsäglichen Zauber. Sie sind lieblich und holdselig, mit einem Reiz übergossen wie die Rose duftend von Morgentau. Man betet nicht zu ihnen und dennoch sind sie die wahren Heiligen, in ihrer Nähe atmet man himmlische Reinheit und süßen Frieden.
Raffaels Madonnen nun aus seiner frühesten Jugendzeit haben einen fast noch kindlichen Hauch von Jungfräulichkeit. Unschuldsvoll schlagen sie die Taubenaugen nieder, blicken in das Gebetbuch oder auch liebevoll auf das Kind. Die Formen haben etwas knospenhaft Geschlossenes, namentlich gilt das von dem bisweilen etwas zu fleinen Mündchen. Der Holdeste Seelenfriede einer Jugendzeit, welche die Welt nur aus dem Klaren Spiegel des eigenen schönen Gemüts kennt, ist mit unsäglichem Zauber darüber ausgegossen. Ein solches Raffaelsches Jugendwerk besizt die Gallerie in Berlin . Die ſizende Madonna hält in der Rechten ein Gebetbuch, in welches sie blickt, während sie mit der Linken leicht das Füßchen des auf ihrem Schoße ſizenden Kindes berührt. Dieses blickt zu ihrem Buche hinauf und hält einen Stiegliz im linken Händchen. Die Komposition ist überaus anmutig in den Linien, das rote Kleid der Madonna, der blaue Mantel, der das liebliche Köpfchen einrahmende Schleier zeigen in ihren goldgestickten Säumen und anderen Zierraten die liebevollste Sorgfalt der Ausführung; die Farbe hat den tiefen Goldton und leuchtenden Schmelz der umbrischen Schule, die Köpfe verraten ein eigentümliches Ringen mit der Form, das noch nicht zu freiem Flusse sich entfaltet. Derselben Epoche gehört die ebenfalls im berliner Museum befindliche Maria mit dem Kinde nebst dem heiligen Franziskus und Hieronymus an.
Wie Raffael schon damals aus der Schaar seiner Mitstrebenden durch hohe Begabung hervorragte, erkennen wir aus dem Umstand, daß ihm in so zartem Alter mehrere ansehnliche Aufträge zuteil wurden. Neben zahlreichen religiösen Dar stellungen finden sich aus der Jugendepoche Raffaels einige Arbeiten, die ihn auch auf dem profanen Gebiet der Allegorie und des Mytus bewandert zeigen. Den Abschluß dieser ersten Epoche bildet die berühmte„ Vermählung der Maria", ein Auftrag für die Stadt Città di Castello , als Altarbild gemalt im Jahre 1504. In der französischen Zeit 1798 von einem General lombardischer Abkunft entführt, gelangte das Bild später in die Galleri Brera nach Mailand . Perugino hatte neun Jahre vorher denselben Gegenstand für den Dom von Perugia ausgeführt; das Bild befizt gegenwärtig das Museum in Caen . Ein Vergleich beider Arbeiten zeigt deutlich, wie stark der Genius des Jüngers den des Meisters schon damals über flügelte. Im wesentlichen der Komposition seines Meisters sich anschließend, ist Raffael doch voll Selbständigkeit weit darüber hinausgegangen und hat dieselbe zu solch freier Anmut und Lebendigkeit entwickelt, daß wir schon auf den gewöhnlichen Holzschnitten dieses fesselnden Bildes den Finger dessen erkennen, der die Sixtina geschaffen. Raffael hatte mit dieser Schöpfung sich selbst seinen Meisterbrief geschrieben. Die Schule Peru ginos konnte ihm nichts mehr bieten. Es drängte ihn hinaus