in die freie Welt, seine Anschauungen zu erweitern und zu bereichern.

Diesem Drange zu genügen, begab sich der einundzwanzig jährige Künstler im Herbst desselben Jahres nach Florenz  . Welche Stadt hätte Raffael   mehr anziehen können, als diese Wiege der Kunst, vor allem der Malerei, von deren Ruhm die Welt erfüllt war bis in die fernsten Täler des stillen Umbriens  . Gerade damals war Florenz   bewegt vom Wettstreit Lionardos und Michelangelos   in den Arbeiten für den Saal des Palazzo Vecchio  . Jene beiden berühmten Kartone, welche die ganze florentnische Welt in Aufregung versezen sollten, entstanden gerade damals. Mit welch gespanntem Interesse mag Raffael   diese bewunderten Schöpfungen betrachtet haben! Es scheint, daß sich Raffael   besonders Lionardo  , der damals auf der Höhe seines

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Ruhmes stand, verehrungsvoll zuneigte. Der Einfluß von Lionardos Formengebung und Malerei ist in den Werken Raffaels aus jener Zeit nachweisbar. Besonders aber schloß er sich dem edlen Fra Bartolomeo  ( 1475-1517) an, mit welchem er in lebhaften künstlerischen Austausch trat. Den großartigeren Zug im Aufbau kirchlicher Gemälde, den tiefen Schmelz des Kolorits in den Werken dieses Meisters hat sich Raffael   in seiner Weise zu eigen gemacht. Denn unter den Gaben, mit welchen die Natur ihn verschwenderisch ausgestattet, war eine der vortrefflichsten die, daß er mit lebendiger Empfäng lichkeit jede Richtung in sich aufnahm, überall das seiner Natur Gemäße mit dem sichern Instinkt des Genius sich aneignete, ohne jemals an seinem Eigensten dadurch Abbruch zu erleiden.

( Fortsezung folgt.)

Allerlei aus der Geschichte der deutschen Sprache.

Von Bruno Geiser.

Gleichzeitig mit der Anleitung zum Deutschschreiben er­schienen Bücher, welche hauptsächlich den Zweck hatten, Unter­weisung in der Kunst zu Lesen zu bieten.

Das älteste dieser Bücher ist im Jahre 1529 erschienen und nennt sich: Encheridion. Das ist. Hantbüchlin teutscher Ortho­graphie, Hochteutsche spraoch, artlich zuschreiben und lesen, sampt einem Regiſterlein über die ganze Bibel, wie man die Allega­tiones und Concordantias, So im Newen Testament, neben dem Text vnd sonst, mit halb latinischen Worten verzeichnet. Auch wie man die Ziffer und teutsche zaal verstehen soll. Durch Johannem Kolrost, Teutsch Lesermaystern zuo Basel   Gemachte."

Die Kunst, deutsch   zu lesen, begann dazumal ungemein wichtig zu werden dank der lutherischen Bibelübersezung. Die Kämpfe der Reformation regten die Gemüter auf, um die Tat der Bibelübersezung ins Deutsche regten sich abertausend Mei­nungsstreitigkeiten. Nun die christliche Religion selbst aus ihrer Urquelle, eben dieser Bibel, kennen zu lernen, war das Be­mühen und Sehnen aller, die für die öffentlichen Angelegen­heiten damaliger Zeit ein Herz oder wenigstens ein Ohr hatten. Da aber das Lesen eine wenig verbreitete Kunst war, so ging man allerwegen daran, sie zu lehren und zu lernen, und brachte es damit binnen verhältnismäßig kurzer Zeit ziemlich erfreulich

vorwärts.

So konnte Valentin Jdelsamer, der just als Frangks Buch erschien und den Wunsch laut werden ließ, es möchte endlich eine deutsche   Grammatik geschrieben werden, mit dem ersten Versuch einer solchen Grammatik vor das Publikum trat, sagen:

" Es ist one zweifel yeßt kaum ain werd oder creatur auf erden, die zuogleich zuo Gottes ehr vnd unehr mehr gebraucht würdt dann die lesekunst, mit schreibung viler guoter vnd boeser buecher in die welt. Vnd die es zuo zeyten am besten machen, oder am fruchtbarlichsten lesen künten, denen mangelts am lesen. Es würdt auch ain yeder, der zum rechten vrsprung des lesens gedenken vnd kummen würdt( wie dieses buechlin anzaiget) er­kennen, das es ein herrlicht gabe Gottes ist, vnd das sey ainer Holzhawer, ain Hyrdt auff dem velde, vnd ain yeder in seiner arbait vom Schuolmaister vnd Buecher lernen mag."

Zum Lesenlernen mag Jckelsamers Grammatik in der Tat auch beigetragen haben, zur wissenschaftlichen Einführung in den grammatischen Bau der dentschen Sprache genügte sie jedoch bei weitem nicht und erst in der um fast fünfzig Jahre später er schienenen Grammatik des in Herzberg   an der schwarzen Elster geborenen Schulmannes Johannes Klaj, gewöhnlich Clajus ge­nannt, gelang es einem Deutschen  , die hauptsächlichsten Grund züge der deutschen Schriftsprache darzulegen. Clajus war es auch, der die Sprache Luthers   als die einzig mögliche Grund­lage der deutschen   Schriftsprache erklärte. Die Begründung, wie er zu dieser völlig zutreffenden Erkenntnis gekommen sei, dürfte für manchen an die Anschauungen der neuesten Zeit Gewöhnten fast fomisch flingen. Er schreibt nämlich:" Diese Kenntnis( der

( Fortsezung statt Schluß.)

deutschen Sprache) habe ich in diesem Buche in grammatische Regeln gefaßt, die ich aus der Bibel und den andern Schriften Luthers   gesammelt habe. Denn ich halte seine Schriften nicht sowohl für die eines Menschen als für Werke des Heiligen Geistes, der durch einen Menschen gesprochen, und bin durchaus der Ueberzeugung, daß der Heilige Geist, der durch Moses und die andern Propheten rein hebräisch und durch die Apostel griechisch gesprochen hat, auch gut Deutsch   gesprochen habe durch sein erwähltes Werkzeug Luther."

Die Sprache Luthers   war übrigens durch Luther   nur zur Anerkennung als Büchersprache gekommen, von ihm nur mit genialer Kraft und Sicherheit gehandhabt, keineswegs aber von ihm erfunden oder durchgreifend verändert und verbessert worden.

Völlig dem entsprechend, was Fabian Frangk   über diese für die Geschichte des Neuhochdeutschen so wichtige Angelegen­heit geschrieben, spricht sich Luther   selbst in den Tischreden darüber aus:

" Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen  , sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, das mich beide Ober vnd Niderlender verstehen möaen. Ich rede nach der Sechsischen Cangeley, welcher nachfolgen alle Fürsten  und Könige in Deutschland  . Alle Reichstedte, Fürstenhöfe, schreiben nach der Sechsischen vnd unsers Fürsten Cangeley  ! Darumb ists auch die gemeinste Deutsche Sprache. Kaiser Maximilian vnd Churf. Fride H. zu Sachs. haben im Römi­schen Reich die deutschen Sprachen also in eine gewisse Sprache gezogen."

Daß Luther   das Rechte getroffen und Clajus dies richtig erkannt hatte, beweist die höchst bemerkenswerte Tatsache, daß um das Jahr 1600 Luthers Sprache Schriftsprache in ganz Deutschland  , und zwar ebensowohl bei Katoliken als Protestanten, geworden war und daß des Clajus Grammatik, die nicht nur überall auf Luther   hinwies und aus seinen Schriften Zitate brachte, sondern ganz im lutherischen Reformatoreneifer gegen katolisches Wesen und das Haupt der katolischen Christenheit grimmen Haß merken ließ, dennoch rasch Verbreitung und An­erkennung auch im katolischen Deutschland   fand und mit ihren elf Auflagen von 1578 bis 1722 bei weitem die meistbenuzte Grammatik des 16. und 17. Jahrhunderts geblieben ist.

Das durch die Reformation geschaffene Bedürfnis, deutsch  lesen zu lernen, kam denn auch der Volksschule in Deutschland  ungemein zu statten, die bis dahin, in wenigen embryonalen Einrichtungen, ein vernachlässigtes und einflußloses Dasein ge­führt hatte.

Schon die von Herzog Christoph von Würtemberg 1559 gegebene Schulordnung handelt in einem besondern Abschnitt " Von Teutschen Schulen", wonach der Schulmeister die Kinder erst lesen lehren soll und so dann das Kind ziemlich wol lesen kan, als dann dasselb mit schreiben vnderrichte, vnd die Vor­schrifften in ein sonder Büchlin, so das Kind dazu haben soll,

"