Für Gerechte ist der Bund

Und für Ungerechte,

Starke, Schmucke nehmen wir,

Die mit frostigem Geblüt

Nehmen Lahm' und Schlechte...

Und Frau Venus   Knechte.

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Sehr begreiflich ist es, daß solch eine gemußfrohe Natür­lichkeit und gesunde Sinnlichkeit von gewisser Seite nicht eben gern gesehen ward, aber man suchte den Fehler nicht in den eigenen falschen Anschauungen und Sazungen, sondern in der gegen Willkür und Gewalttat sich aufbäumenden Natur! Fand

Und in einem prächtigen Trinklied, wo alles leben lassen doch selbst die Satire gegen die Geistlichkeit Einlaß in unsere wird, finden sich die bedenklichen Toaste:

Sechstens: jede flotte Musche!

Siebentens: die Herrn vom Busche!

Ausführlicher und bedenklicher schon lautet es über das Kapitel Liebe in einer komischen Beichte:

Mir ist in Frau Venus Dienst

Eine Lust zu frohnen,

Die in eines Tropfen Herz Nie hat mögen wohnen... Herr Prälat, laß deine Huld Mich drum nicht verscherzen... Mägdelein sind gar zu hold

Und mein Sinn nicht erzen.

Jugend habe nicht Tugend, heißt es weiter, und wer in

den Kohlen size, bleibe nicht unversehrt; ferner wird der Hoch­schule zu Pavia   gedacht, wo der Wink der Göttin Minne jedem Jüngling die Ruhe störe. Dort ist ein gar gefährlich Weilen! Sende hin den Hippolyt Niemand ist ja reiner

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Und am andern Morgen ist Er wie unsereiner!

In einem andern Liede streiten zwei Mädchen, ob ein Ritter oder ein Kleriker als Liebhaber vorzüglicher sei, wobei denn Mängel und Tugenden beider Stände wizig und zierlich zum Vortrag kommen. Lenzeslust und Naturfreude, gerade wie in den ritterlichen Minneliedern, werden mit dem Liebeleben in sinniger Verbildlichung verwoben und die ganze Tonleiter der Minnepoesie findet sich hier in lebendigen lateinischen Versen, gerade wie dort in deutschen. Wir kämen in Verlegenheit, sollten wir Proben auslesen; nur von einem geben wir hier als Vertreter der ganzen Gattung ein paar Strophen:

Wohl in dem holden Maienschein Steht unterm Baum am grünen Rain Schön Julchen mit dem Schwesterlein. O Liebesglück!

Die Bäume stehn in hellem Blust, Die Vöglein singen voller Lust: Den beiden wird so warm die Brust! Liebesglück!

Ei, hätt ich, die mein Herz gewann, Im grünen Wald, im stillen Tann, Da höb' ein lustig Küssen an. O'Liebesglück!

dreisten Vagantenlieder! Diesen Griesgramen und Feinden der Jugendlust dient folgender Schluß des schon oben angeführten Toastliedes:

Wie soll da das Geldlein reichen, Wenn in Zügen sonder Gleichen Alles ohne Maß und Ziel trinkt, Ob auch schon mit Hochgefühl trinkt? Da will uns die Welt bekritteln; Ei, das hilft uns nicht zu Mitteln! Jeder Krittler soll verflucht sein, Nie im Himmelsbuch gebucht sein!

Aber die Krittler waren stärker und behielten recht!

Wir kehren zu der obgedachten salzburger Verordnung zurück, die natürlich nicht die einzige des Sinnes gewesen ist. Geist­liche zu sein oder dafür zu gelten, ward so allmälich den Va­ganten unmöglich gemacht. Und die Folge? Die einen griffen zur Fiedel und zur Sangeskunst in deutscher Sprache, während sie bisher hauptsächlich lateinisch gesungen und gesagt hatten; andere stiegen zu dem niederen Gewerbe wirklicher Gaukler und Kunststücke machender Tausendkünstler herab; wieder andere machten sich als Duacksalber, Schazgräber, Teufelsbanner und Schwarzkünstler, welche vorgaben aus dem Venusberge zu kom­men, die Unwissenheit und den Aberglauben des Volkes, na­mentlich der Bauern, in sträflicher Weise zunuze. Andrerseits aber ward jezt eine neue Gattung eigentlicher so zu nennender Schüler geschaffen, welche in einem weniger festen Zusammen hange mit der Kirche standen. Es ergab sich, wenn auch un­beabsichtigt, ein bedeutender Anstoß zu einer folgereichen Weiter­entwicklung des deutschen Schulwesens, bei der dann die Re­formation fräftig und förderlich eingreift und die nächst höhere Stufe abschließt. Freilich starben auch da die Vaganten und Bacchanten nicht aus( man sagt, es gebe noch heutigen Tages welche!), aber diese bilden eine neue Art, sie sind Kinder einer neuen Zeit, und von ihnen wollen wir hier nicht reden, das versparen wir uns auf eine spätere Gelegenheit.*)

*) Die Uebersezungen sind dem trefflichen Ludwig Laistner­schen Liederbuch: Golias, Stuttgart   1879", entnommen, welches eine Auswahl des Besten aus den Carmina Burana   nebst einigen andern bietet. Form und Sinn des Urtextes sind gleich treu und gleich trefflich wiedergegeben, aber auch die feine Blume des tecken, fast gleich einer lebenden Sprache gehandhabten Klosterlateins ist dabei nicht ver­duftet, Laistner hat sich also ein Lob verdient, wie man es selten einer Uebersezung geben kann.

Bu Raffaels 400jährigem Geburtstag.

Bon Dr. Richard Ernst. ( Siehe Illustration S. 405 und S. 409.)

Jedenfalls waren die florentiner Tage für Raffael   die Zeit der stärksten künstlerischen Gährung. Wie die verschiedenen Ein­flüsse damals auf ihn gewirkt, wie der offene Lebenssinn der Florentiner sich mit der Innigkeit seiner Empfindung, wie die neue Formenwelt sich mit der aus Peruginos Schule überlie­ferten Anschauungen mannigfach mischen und in Ausgleich zu sezen suchen, das liegt in den Werken dieser zweiten Periode flar ausgesprochen. Ein lezter Nachklang der umbrischen Schule und doch bereits die florentinische Periode kennzeichnend ist die Madonna del Granduca  "( M. des Großherzogs, so genannt, weil sie ehemals in den Gemächern des Großherzogs von Toskana  prangte, gegenwärtig in der Gallerie Pitti   zu Florenz  ), die zu jenen Raffaelschen Madonnen gehört, welche man am häufigsten in den Schaufenstern von Kunsthandlungen erblickt. Sie hält mit beiden Armen das Kind, welches sich liebevoll der Mutter anschmiegt. Der holdseligste Zauber jungfräulicher Reinheit

( Fortsezung.)

durchhaucht das schöne Bild. Der blaue Mantel, welcher halb zurückgeschlagen den Kopf der Maria umhüllt der Schleier, der das liebliche Köpfchen einrahmt, die Zartheit der Empfindung, der goldige Ton des Kolorits entsprechen noch ganz der früheren Weise; aber eine größere Fülle des Lebens erinnert an die ersten Eindrücke von Florenz  . Die ältere firchliche Kunst hatte die Madonna nur als Christusträgerin aufgefaßt; sie hielt daher das anfangs völlig bekleidete Kind stehend auf dem Schoße, so daß der kleine Erlöser den Gläubigen mit erhobener Rechten den Segen spenden konnte. Bei Raffael   fommt dieses Motiv nicht mehr vor, wohl aber macht er sich viel zu schaffen mit einer anderen Auffassung, nach welcher die Madonna ganz in ihr Gebetbuch vertieft, dargestellt wird. Das Kind verhält sich dabei sehr verschieden, zuerst noch ziemlich ruhig, dann aber fängt es an, ungeduldig zu werden, sucht sich der Mutter auf alle Weise bemerkbar zu machen und ruht nicht, bis es diese