427

mehr verschwindet. Noch einen wichtigen Zug hebt Lübke als gemeinsame Eigentümlichkeit dieser römischen Madonnen hervor. Während die florentinischen einen mehr weltlichen Karakter haben, wird in den römischen das religiöse Element weihevoller Andacht mehr betont, ohne jedoch dem allgemein Menschlichen Abbruch zu tun. Vielmehr wird dasselbe zur reinsten Idealität verklärt. Eine der reizendsten Madonnen dieser Zeit ist die Ma­donna mit dem Diadem" im Louvre, auch Madonna mit dem Schleier genannnt. Auf weiche Tücher gebetet, schläft sanft und ruhig das Christkind, das linke Händchen in den Schoß, das rechte über den Kopf gelegt. Man kann die himmlische Unschuld des Kinderschlafs nicht schöner schildern. Leise hebt die knieende Mutter den Schleier von dem Kinde und zeigt es dem Johannesknaben, der, von der Linken der Madonna umfaßt und herangezogen, ihr zur Seite kniet und die Hände faltet. Man muß eine derartige Szene schon im Leben beobachtet haben, muß sich erquickt haben an der Schönheit des schlafenden Kindes, an dem liebevollen Stolze der Mutter, die ihr kleinod, mit größter Behutsamkeit seinen Schlaf nicht zu stören, einem älteren Kinde zeigt, wie an dem neugierig betrachtenden Blick des lezteren, um dieses köstliche Madonnenbild recht zu verstehen und zu würdigen.

als sie ihre Siege über die Perser künstlerisch zu verherrlichen| Modellirung, so daß der lichte Goldton der früheren Zeit immer sich anschickten, die Ereignisse der Gegenwart sich im Spiegel des Mytos und der Sage reflektiren ließen, so suchte auch die Raffaelsche Zeit durch Zurückgreifen in eine sagenhafte Vorzeit das, was die Gegenwart bewegte, künstlerisch zu verklären. So entstanden die vier großen Wandbilder dieses Zimmers, indem man zeitlich weit auseinander liegende Temata verband, die indes durch den gemeinsamen zu Grunde liegenden Gedanken. geeint und durch die höchste künstlerische Kraft in lebendige Wirklichkeit übertragen waren. Das erste dieser Bilder, nach welchem das Zimmer seinen Namen hat, schildert nach dem zweiten Buch der Makkabäer   die wunderbare Vertreibung des syrischen   Feldherrn Heliodor aus dem Tempel von Jerusalem  . Raffael   hat in dem Heliodorbild ein Werk von dramatischer Gewalt und momentaner Wucht geschaffen, das im weiten Bereich der Kunst kaum seinesgleichen hat. Mit der unmittelbaren Klarheit, wie sie nur den großen Künstlern eigen ist, wählte er gerade den Augenblick der Handlung, welcher das Vorher und das Nachher mit wunderbarer Prägnanz zur Er­scheinung bringt, der eine vollkommene Uebersicht ihres Ver­laufes gewährt und zugleich den Höhepunkt der Verwicklung darstellt. Wir ahnen die vorangegangenen Szenen, wir sind Zeugen der Katastrophe und erhalten auch über den Ausgang unbedingte Gewißheit.-- An der benachbarten Fensterwand malte Raffael   die Messe von Bolsena  . Die Sage erzählt, daß einem deutschen Priester auf der Reise nach Rom  , da er an dem Wunder der Transsubstantiation zweifelte, in Bolsena  während des Meßopfers durch das Bluten der Hoftie beim Brechen derselben der Zweifel genommen worden sei. Neu­mütig begab er sich dann zum Pabst, der aus Anlaß dieses Wunders das Frohnleichnamsfest stiftete. Auch aus diesem spröden Gegenstand wußte Raffael   ein wahres Wunderwerk der Kunst zu machen. Das dritte Wandbild schildert Attila   vor Rom  , wie er durch die Vorstellung Pabst Leos I. und durch die wunderbare Erscheinung der beiden Apostelfürsten bewogen wird, von Rom   abzustehen. Als leztes Bild entstand an der zweiten Fensterwand die Befreiung Petri aus dem Gefäng­nisse. In der Wahl der Gegenstände dieses Zimmers spielten die Beziehungen auf zeitgeschichtliche Vorgänge eine große Rolle. Heliodors Züchtigung sollte an die Vertreibung der Feinde aus dem Kirchenstaat  , die Messe von Bolsena   an die vermeintliche Besiegung der Irrlehren zu Anfang des 16. Jahrhunderts, Attilas   Zurückweisung an die Verjagung der Franzosen aus Italien   und die Befreiung Petri an die Befreiung des Pabstes ( Leo X  , in dessen Pontifikat die Ausführung dieses Bildes fiel) aus den Händen der Franzosen   in Mailand   erinnern.- Für das Kreuzgewölbe dieses Zimmer ordnete Raffael   vier Kompo­fitionen aus dem alten Testament an: Jehova, dem Noah er­scheinend, Isaks Opferung, Jakobs Vision der Himmelsleiter und Jehova im Dornbusch. Die Stanza d'Eliodoro überrascht noch ganz besonders durch die vollendet gelungene Lösung schwierigster Farbenprobleme.

--

Wie diese großartigen Werke allmälich aus den Anschauungen der florentiner Zeit in die größere Formgebung hinüberwachsen, so verhält es sich auch mit den Tafelbildern der ersten römischen Jahre. Es entstand eine Reihe von Madonnen und heiligen Familien, welche zuerst sich nur wenig von den florentinischen unterscheiden und dennoch unmerklich in einen neuen Ton der Darstellung übergehen. Am meisten bleibt Raffael   im Typus der Madonnen der früheren Auffassung treu. Es ist immer noch das sanfte, jungfräuliche Antliz mit den Taubenaugen, das milde Oval mit dem goldblonden Haar, das kleine liebliche Mündchen wie früher. Nur die Formen werden allmälich größer und voller und der Gewandwurf in seinem breiten Schwung läßt den Einfluß des monumentalen Stils erkennen. Auch das Christkind gleich dem kleinen Johannes gewinnt ein kräftigeres Wesen und noch größere Lebendigkeit. Sodann weisen die landschaftlichen Hintergründe auf den Einfluß der römischen Campagna hin. Auch die Färbung dieser Bilder gewinnt all­mälich einen fräftigeren Ton durch tiefe Schatten und energische

Während nun Raffael   in den dramatisch bewegten Fresken in der Stanza d'Eliodoro   arbeitete, übermannte ihn die Sehn­sucht nach den alten einfachen Gegenständen der Darstellung, die nichts als Wohllaut und Wonne atmen, den Künstler be­seligen und den Beschauer entzücken, die wenig zu sagen scheinen und doch das Tiefste bedeuten er schuf die Madonna della Sedia", nächst der Sixtina die herrlichste der Raffaelschen Madonnen. Ein halbes hundert Kupferstecher und mehr haben ihre Kunst an der Madonna della Sedia, deren Besiz sich gegenwärtig die Gallerie Pitti erfreut, versucht, die Photo­graphie Tausende von Nachbildungen verbreitet. Kein Bild Raffaels ist so beliebt in weiten Kreisen, kein Werk der neueren Kunst so gut bekannt. Kunst so gut bekannt. Die Madonna della Sedia drückt das innigste Zusammenleben von Mutter und Kind aus, preist die Freude und Seligkeit der jungen Mutter, wie es so viele floren­tiner Madonnen taten; nur ist die della Sedia aus den floren­tiner Formen in römische übertragen. Die Madonna sizt in einem Stuhle( sedia) und hält mit beiden Armen ihr Kind umfaßt, das sich eng an sie preßt, sein Köpfchen an ihre Wangen zärtlich schmiegt. Beide blicken aus dem Bilde heraus, die Mutter still beglückt, das Kind froh, im weichen Mutterschoße geborgen zu sein. Ein gestreiftes Tuch, welches turbanartig den Kopf der Madonna einhüllt und ein echt römischer in buntem Muster gewirkter, mit Franzen besezter Ueberwurf, der Rücken und Schultern bedeckt, erinnert an die Frauengestalten aus dem römischen Volfe und zeigt, wie Raffael   die Wirklichkeit zur höchsten Idealität zu erheben wußte. An die innig verschränkte Gruppe von Mutter und Kind schließt sich noch rechts der kleine Johannesfnabe an, der zu dem Genossen liebevoll- andächtig emporblickt. Die hohe Vollendung des Bildes wird durch nichts so anschaulich gemacht wie durch die Sage, welche sich an das­selbe knüpft. Raffael  , wird erzählt, sah eines Tages im pati­kanischen Hofe eine Bäuerin mit ihrem Kinde im Arme ſizen. Entzückt von der wunderbaren Schönheit des Weibes griff er nach dem ersten besten flachen Gegenstand, der sich ihm darbot, um Stellung und Züge zu fixiren. Das war zufällig der Boden eines Fasses und so kam unwillkürlich die Rundform heraus, in welche die della Sedia sich zeigt. Die Einordnung aller Gestalten in den Ramen eines Kreises erschien so unge­sucht, die Führung der Umrisse in leisen Krümmungen so wenig gezwungen, daß man meinte, nur der Zufall zeige so glückliche Inspirationen. Eine Variante dieser herrlichen Komposition ist die Madonna della Tenda" in der Pinakotek zu München  .

Im Ausgang dieser Epoche schuf Raffael   noch eines seiner herrlichsten Altarbilder, die heilige Cäcilia in Bologna  . Die h. Cäcilia ist die Patronin der kirchlichen Musik, und man kann den mannigfachen Eindruck der Musit auf die verschiedenen