Gemüter nicht köstlicher zur Erscheinung bringen, als es auf dem Bilde geschieht, das die schönste Huldigung ist, welche der Genius der Malerei der in der Renaissancezeit hochverehrten Schwesterkunst der Töne zu widmen vermochte.
Von den Bildnissen dieser Zeit erwähnen wir das weibliche Bildnis der Gallerie Barbarini in Rom , welche als" For narina"( siehe Illustr. S. 409) bekannt ist und als Porträt der Geliebten Raffaels gilt. Wir wissen durch Vasari , daß der große Meister in Rom ein Mädchen liebte, angeblich eine schöne Bäckerin, welche sich ihm zu eigen gab und bis an seinen Tod in seinem Hause lebte. Sie ist eine der mächtigen plastischen Gestalten römischer Frauenwelt, deren Büste der Künstler unverhüllt gemalt hat, nur der Unterleib ist mit einem rötlichen Schleier leicht verhüllt. Ein goldener Reif umspannt die Haare, ein turbanartiges, gelbgestreiftes Tuch bedeckt den Kopf. Mit der einen Hand zieht sie den Schleier zum Busen empor, die andere fällt lässig in den Schoß. Der koloristische Gegensaz des glühend gemalten Fleisches mit dem Lorbeergebüsch ist von prächtiger Wirkung.
428
Mit dem Tode Julius II. ( 1513) schloß eine wichtige Epoche nicht blos für Raffael , sondern für das ganze römische Kulturleben. Jener gewaltige Pabst hatte mit genialem Blick die bedeutendsten Künstler seiner Zeit herbeigerufen und ihnen die größten Aufgaben gestellt. Nicht in gleichem Maße förderte der noch junge Medizeer, der als Leo X . den päbstlichen Tron bestieg, die Kunst. Wohl brachte er von den Traditionen seines Hauses die Pflege der Wissenschaft, Literatur und Kunst mit, wohl blüten auch unter ihm am päbstlichen Hofe alle, jene geistigen Interessen, in deren Pflege die Renaissancekultur gipfelt und oberflächlich betrachtet fonnte es scheinen, als ob erst jezt das augustäische Zeitalter für jene Epoche beginne. Allein in Wahrheit war es nur ein bequemer Genußmensch und Lebemann, der das Erbe des von hohen Plänen und Zielen erfüllten Julius antrat. In den Vergnügungen seines Hofes wechselten mit den edleren Genüssen der Poesie und Musik Späße von Possenreißern, Mummenschanz aller Art, Pferderennen und Stiergefechte, bei welchen nicht selten mehrere Menschen tot auf dem Plaze blieben. Indessen auch den bildenden Künstlern war der lebenslustige Medizeer zugetan, und wenn allerdings die großen Arbeiten Bramantes und Michel Angelos von ihm eher durchkreuzt als gefördert wurden, so fiel dagegen auf Raffael der ungeminderte Glanz päbstlicher Huld. Nicht als Maler allein, auch als Architekt besaß Raffael des Pabstes höchstes Vertrauen. Auf Bramantes Empfehlung wurde er nach dessen Tode mit der Oberleitung des Baues von St. Peter beauftragt. Daß Raffael auch sonst als Architekt einen hervor ragenden Rang einnahm, erkennen wir nicht blos auf den herr lichen architektonischen Hintergründen seiner Bilder, sondern auch aus einer Anzahl von Palästen, die nach seinen Angaben aus geführt wurden. Noch weiter zog ihn der Pabst in die umfassendsten Unternehmungen hinein, als er ihm 1515 die Aufsicht über alle Ausgrabungen in und bei Rom übertrug. Immer mehr trat seine Gestalt in den Vordergrund und so umfassend wie einst zu Perikles' Zeiten Phidias die attische Kunst beherrscht hatte, so universell stand Raffael in Mittelpunkt des römischen Kunstlebens und so mannigfach und vielseitig wurden seine Kräfte in Anspruch genommen, daß das in den lezten sieben Jahren seines Lebens Geschaffene die aufs Höchste gesteigerte Kraft eines Einzelnen zu übersteigen scheint und daß der Schriftsteller es hier besonders schmerzlich empfindet, daß er die zu gleicher Zeit nebeneinander durchgeführten groß artigen Unternehmungen nur in schwerfälligem Nacheinander zu schildern vermag.
Beginnen wir mit dem dritten Zimmer des Vatikans, das Stanza dell Incendio heißt, nach dem vorzüglichsten der darin enthaltenen Gemälde, dem Brand im Borgo oder Burgbrand. Es bezieht sich auf ein Ereignis aus der Regierungszeit Leos IV., der einen im päbstlichen Viertel ausgebrochenen Brand durch das Zeichen des Kreuzes gelöscht haben soll. Besonders beachtenswert ist, daß Raffael sich in dem Bitde von den Schranken
historischer Kostümirung befreit und mit Vorliebe nackte Gestalten oder solche in rein idealer Gewandung verwendet hat. Hierin wie in dem mächtigen Mark der Gestalten, den kühnen Be wegungen und Verkürzungen erkennt man einen durchgreifenden Einfluß Michel Angelos; doch bleibt dabei der große Meister sich selber treu und weiß der Energie des heroischen Stils seine eigenste Anmut zu vermählen. Dasselbe ist der Fall beim zweiten Bilde: der Sieg bei Ostia , gleichfalls ein Ereignis aus der Regierungszeit Leos IV. An den Küsten Italiens erschienen sarazenische Seeräuber, überall plündernd und verHeerend. Im Jahre 849 blokirten sie mit ihrer Flotte den Hafen von Ostia und bedrohten Rom . Da sandte Leo seine. schnell zusammengerafften Truppen ihnen entgegen, die in einer Seeschlacht an der Mündung der Tiber einen glänzenden Sieg davontrugen. Die beiden andern Bilder, bei deren Ausführung durchweg die Hand der Schüler herrscht, stehen an Wert erheblich hinter jenen zurück.
Ungleich höher steht die eigene Beteiligung Raffaels bei einem anderen Monumentalwerk, welches er im Auftrage des kunstsinnigen Agostino Chigi in St. Maria della Pace ausführte. Es sind vier Sibyllen( die cumäiſche, die persische, die phrygische und die tiburtinische), mit welchen er den Raum über einer Arkade geschmückt hat und zwischen denen er köstliche Engelknaben anbrachte. Raffael , der sich hier wieder als der große Meister der Raumesausfüllung zeigt, hat vielleicht nirgends so wie hier im Wetteifer mit Michel Angelo so bestimmt und zugleich so herrlich sein künstlerisches Glaubensbekenntnis abgelegt. Denn anstatt der unnahbaren Hoheit der Sibyllen der Sixtina( von Michel Angelo ) entzückt uns hier die ganze liebenswürdige Raffaelsche Anmut, und obwohl auch diese Gestalten von schwungvoller Begeisterung erfüllt sind, so bleiben sie uns doch durch die milde Schönheit der Köpfe, die entzückende Anmut der Gewänder und den Adel der Bewegung menschlich nahe.
Im Auftrage Leo X. leitete Raffael ferner die Ausschmückung der Loggien in dem von Bramante begonnenen ersten Hofe des Vatikan . Die Loggien umfassen dreizehn Arkaden, jede mit einer flachen Kuppel überwölbt. Raffael teilte den Kuppelraum der einzelnen Arkaden in vier Felder und malte ( bezw. ließ durch seine Schüler malen) in jedem derselben inmitten eines reichen ornamentalen Rahmens von größter Mannig faltigkeit eine biblische Geschichte. Diese 52 Darstellungen aus dem alten( 48) und neuen( 4) Testamente werden gewöhnlich als die Bibel Raffaels bezeichnet. Mit Vorliebe haben spätere Kupferstecher diese heiteren Bilder einer idyllisch- poetischen Welt nachgebildet, sie zum Gemeingut aller Kunstfreunde erhoben und selbst in tiefere Voltskreise eindringen lassen.
Eine weitere umfassende Arbeit waren die Kartons zu zehn( bezw. elf) Teppichen( Tapeten), welche Raffael im Auftrag Leos X. entwarf( 1515 bis 1516). Nach seiner Zeich nung wurden sie in Flandern gewebt und zur Wandbekleidung in der sirtinischen Kapelle bestimmt, so daß sie bereits am 30. Dezember 1519 die Kapelle zur höchsten Bewunderung der Zuschauer schmückten. Die Tapeten haben durch ein wechselreiches Schicksal( schon nach zwei Jahren, nach Leos X. Tod, wurden sieben durch die päbstliche Kurie gegen 500 Dukaten bei einem Pfandverleiher versezt, um die Kosten des Konklaves zu bestreiten u. s. w.) stark gelitten und sind in alle Welt zerstreut worden. Gegenwärtig werden sie in der Gallerie des Vatikan bewahrt; andere Eremplare finden sich im Schloß zu Madrid , im Museum zu Berlin und in der Gallerie zu Dresden. ( Leztere find ohne Anwendung von Gold gewirkt, während die andern Exemplare sich durch reichen Zusaz von Gold für die Lichter auszeichnen). Von den Kartons sind sieben erhalten, welche seit 1866 dem Kensington- Mu seum in London einverleibt sind. Folgende zehn biblische Sujets sind auf den Teppichen dargestellt: Krönung Mariä , Steinigung des Stephanus, Pauli Bekehrung, Fischzug Petri, Uebergabe der Schlüssel, Heilung des Lahmen, Bestrafung des Ananias , Bestrafung des Elymas, Opfer zu Lystra, Pauli Predigt zu Athen .