-
-
Größeres und Herrlicheres als diese Werke hat Raffael nicht geschaffen. Die Teppichkartons, sagt Dohm, sind die Partenonskulpturen der neueren Kunst. In ihnen treten uns die reifsten Leistungen Raffaels wie die herrlichsten Werke der Renaissance entgegen. Der Gedanke, daß dieselben anders erscheinen könnten, kommt uns gar nicht in den Sinn. Aus jedem Karton leuchtet uns hell und klar ein festes Bildungsgesez entgegen, nach welchem der Künstler jede Gruppe, jede Gestalt entworfen hat. Doch hat er das Gesez nicht von außen in das einzelne Bild hineingetragen, sondern jedesmal aus der Natur der Handlung und des Karakters der Hauptpersonen frei und selbständig entwickelt. Wer die Geseze des künstlerischen Schaffens erkennen will, studire die Raffaelschen Teppichkartons. Wir übergehen manche andere Arbeiten und wenden uns zum Triumph der Galatea, womit der unerschöpfliche Meister den Schritt in die Götterwelt der Alten tat. Im Auftrag des bereits erwähnten Agostino Chigi malte Raffael in dessen Villa Farne sina zwei große Fresken, welche die Geschichte des Polyphem und seiner Geliebten behandelten. Auf dem einen, dem Triumph der Galatea( 1515), sieht man die schöne Geliebte des Cy klopen auf ihrem von zwei Delphinen gezogenen Muschelwagen über die Meeresflut dahinfahren, die herrliche Gestalt umspielt von tierischen und halbtierischen Geschöpfen der Salzflut, von Nymphen und von Liebesgöttern, die in den Lüften schweben, hinter Wolken hervorblicken oder in übermütiger Luft sich ins Meer gestürzt haben. Ein berauschender Klang gesteigerter Daseinslust weht durch das ganze Bild, das uns den Frohsinn der goldenen Renaissancezeit in vollen Zügen schildert. Das zweite Wandgemälde hat so starke Beschädigungen und Uebermalungen erlitten, daß über Raffaels Autorschaft kaum noch zu urteilen ist.
Einen umfassenderen Zyklus aus der antiken Göttersage be= handelte Raffael bald darauf in der vorderen Halle der Farnesina, die er dadurch zu eine.. der köstlichsten kunstgeweihten Räume machte. Dem Märchen von Amor und Psyche wurde dieser anmutige Raum gewidmet; die unwiderstehliche Macht der Liebe ist das Tema, welches hier geschildert wird. Die Halle, ehemals mit fünf Pfeilerarkaden gegen den Garten geöffnet, ist ein Raum von 22 Fuß Breite bei 60 Fuß Länge. Er wird von einem flachen Spiegelgewölbe bedeckt, in welches rings Stichkappen einschneiden. In die 14 Gewölbkappen sezte Raffael in immer neuen Variationen den Amor, der sich mit den Attributen aller Götter ausgerüstet hat, um seine Allherrschaft zu bewähren. Wie er sich mit dem Schild und Schwert des Mars, der Keule des Herkules, den Blizen Jupiters, der Feuergabel Plutos und dem Dreizack Neptuns schleppt, wie er Vulkan seinen Schmiedehammer, Apollo den Bogen und Köcher, Bacchus den Tyrsos, Pan die Rohrflöte entwendet hat, um zulezt als Sieger über Land und Meer mit einem Hippokampen und Löwen einherzufahren, das alles hat der Künstler mit uner schöpflicher Anmut und geistreichem Mutwillen geschildert und nebenbei wahre Meisterwerke schöner Raumausfüllungen geliefert. Die zehn Gewölbzirkel zwischen den Stichkappen benüzte Raffael, die einzelnen Momente der Geschichte Psyches anzubringen. Diese Einzelgruppen sind das Seelenvollste und Anmutreichste, was der Geist der Renaissance auf dem Gebiet des antiken Mytos geschaffen. An der Decke endlich ließ Raffael in zwei großen Bildern, die wie Teppiche ausgespannt sind, die Aufnahme der Psyche unter die Götter und das Hochzeitsgöttermahl darstellen.
Neben anderen Werken der Malerei, auf die wir nicht ein gehen wollen, hat der Vielbeschäftigte auch einige plastische Werke entworfen; einmal die edle Statue des Propheten Jonas; sodann ein kleines Marmorwerk, welches einen toten Knaben auf einem Delphin darstellt; endlich die herrliche in Wachs modellirte Büste eines jungen Mädchens von echt Raffaelscher Anmut im Museum zu Lille .
Ueberblicken wir die Summe des von Raffael in wenigen Jahren Geleisteten, so erfaßt uns Staunen vor der Unerschöpf lichkeit seiner Phantasie, der sicheren Gestaltungskraft, der Fülle
430
köstlichen Lebens, der Reinheit und Anmut der Empfindung, mit der er alles adelt, was er berührt. Und dies inmitten eines üppigen, schwelgerischen Hofes, der sich der größten Zügellosigkeit hingab. Eins aber ist bei alledem zu beklagen: bei der immer mehr steigenden Flut der Aufträge mußte er zur Ausführung fast aller seiner umfangreichen Werke die große Anzahl seiner Schüler in Anspruch nehmen, wodurch eine merkliche Kluft entstand zwischen Komposition und Ausführung, welche leztere manche Trübung erfuhr. Die Vollendung eines Kunstwerts ist eben nicht in der Idee allein bedingt, sondern verlangt die beseelte Hand des erfindenden Meisters. Um so wertvoller für uns, daß wir aus derselben Zeit eine Reihe von Bildnissen befizen, in denen wir den Meister auch in der geistvollen Ausführung auf der vollen Höhe kennen lernen. Des Malers Pinsel liefert in diesen Porträts die beste Illustration zu den Berichten der Geschichtsschreiber.
Neben allen diesen Werken ist nun noch eine Reihe großer Altartafeln zu nennen, die ebenfalls den lezten Jahren Raffaels angehören. Die Krone von allen ist die sirtinische Madonna, die Venus von Milo der Renaissance, das kostbarste Juwel der Gallerie zu Dresden . Als die Benediktiner vom Kloster des heiligen Sirt in Piacenza bei Raffael eine Tafel für ihren Hauptaltar bestellt hatten, führte er die Sixtina auf Leinwand aus. Bis 1753 blieb das Bild an seiner ursprünglichen Stelle, dann wurde es durch den Maler Giovanni in Bologna für den Kurfürsten Friedrich August II. von Sachsen erworben und nach Dresden gebracht. 1826 erfuhr es durch den italienischen Bilderrestaurateur Palmardli an Ort und Stelle eine teilweise Er neuerung, indem er die entstandenen Lücken mit farbigen Punkten ausfüllte, im übrigen aber das Original nicht berührte. Später überzog man das Gemälde an der Rückseite mit neuer Leinwand und tränkte diese mit Kopaivbalsam, welcher, von rückwärts eindringend, den völlig taub gewordenen Farben ihr ursprüngliches Leben wiedergab. Um das Bild möglichst zu schüzen, hat man es mit einer Glastafel bedeckt; um es hoch zu ehren, wurde ihm ein besonderes Zimmer eingeräumt. Unter allen Schöpfungen Raffaels ist dies Wunderwerk das höchste Ideal Raffaelscher Madonnen, wohl diejenige, welche die größte Popularität erlangt hat. Durch zahllose Nachbildungen, unter welchen die Stiche von Müller, Steinla- Büchel, Keller den ersten Rang behaupten, lebt sie im Bewußtsein von Tausenden. Die herrliche Gestalt der Madonna erscheint im Vollglanz des Himmelslichtes, auf Wolken schwe bend und von einer Schaar aus dem Aeter auftauchender Engelföpfchen umringt. Mächtig umwallt die großen Formen der blaue Mantel und ein hellbrauner Schleier breitet sich vom Kopf über die linke Schulter aus, wie von himmlischem LuftHauch erfüllt, in hochfeierlichem Schwunge gebläht, weil Maria aus dem Hintergrunde des Himmels heranschwebt. Der schöne Kopf zeigt ein Antliz, auf dem sich hehre Majestät, wie sie der Idee einer Himmelskönigin und der Mutter des Weltheilands entspricht, mit dem Ausdruck der Zartheit und Demut der Erdenjungfrau wunderbar vereint. Man wird nicht müde, dieses liebliche, edle Oval des Antlizes zu bewundern, mit dem voll aufgeschlagenen Blick, worin ein neuerer Schriftsteller eine kunstgeschichtliche Tat ersten Ranges erblickt. Auf den Armen trägt die Madonna leicht schwebend in wonnigfreier Lage den Christusknaben, der, gleichfalls die Augen voll aufschlagend, in findlicher Grazie und Leichtigkeit, aber ohne kindische Nachlässig feit, vielmehr mit einem Ernst und einer Geistigkeit in den Zügen dargestellt ist, als würde das Gemüt schon jezt von Gedanken der Erlösung des Menschengeschlechts bewegt. Zu ihren Füßen knien zwei herrliche Gestalten, welche mit der außerhalb des Bildes gedachten Gemeinde in Zusammenhang gebracht werden müssen: rechts der h. Sixtus, ein Wunderwerk malerischer Technit, in prachtvoller päbstlicher Dalmatifa, um als oberster Hirt Fürbitte einzulegen für seine Gemeinde; der Erhörung gewiß, richtet er den Blick aufwärts, fest auf die himmlische Erscheinung, während ihm gegenüber die H.- Barbara ( deren Wahrzeichen, der Turm, hinter dem Vorhang sichtbar