auf. Eine gute Nachtigall hat zwanzig bis vierundzwanzig ver­schiedene Strophen, ohne die Modulationen, die sie noch mit Geschmack anzubringen weiß.

Es darf uns deshalb nicht wundern, über ein Beispiel be­sonderer Wertschäzung der Nachtigallen einen Artikel in der Leipziger Illustrirten Zeitung" vom 30. September 1882 zu finden, welchem wörtlich folgendes zu entnehmen ist.

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Adelina Patti   hat, wie ein pariser Berichterstatter aus dem Munde der Diva selbst erfahren haben will, in ihrem Testament angeordnet, daß sie bei ihrem Schloß in Wales  beerdigt werde und daß auf ihrem Grabe eine Volière mit Nachtigal­len sich erheben soll, welche mit ihren melo­dischen Klagen für im­merwährende Zeiten die Erinnerung an die San­geskünstlerin wachzu­halten berufen sind.

" Die Jdee, eine der artige musikalische See­lenmesse zum ewigen Gedächtnis an eine große Sängerin zu stif= ten, ist ebenso poetisch wie originell. Da es jedoch bekanntlich vom Erhabenen zum Lächer­lichen nur ein Schritt ist, so fühlt sich viel­leicht einmal eine reiche Geflügelhändlerin be­

stimmt, das Beispiel Adelina Pattis in stan­desgemäßer Weise nach zuahmen und zur Ver­ewigung ihres Anden­kens bei den kommenden Geschlechtern auf ihrer lezten Ruhestätte einen wohlafsortirten Hühner­hof zu stiften."

Schon im grauen Altertum hat die Nach­tigall( Luscinia Phi­lomela) durch ihren schönen Gesang die Be­wunderung der Mensch­heit errungen. Aristo­ teles   und Plinius  , die ältesten naturhistori schen Schriftsteller, er­wähnten dieselbe auf die rühmendste Weise.

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sie ein Gefühl von der Wonne des Ausrufes: So laß mich sterben!"

Sobald durch das Wehen   lauer West- und Südwinde der Grimm des Winters gebrochen ist und in den geschützten Tälern Schneeglöckchen und Anemonen ihre zarten Blütenknospen dem neuen Lichte erschließen, dann ist auch die Zeit wieder heran­gerückt, wo die Herolde des Lenzes nach und nach im Heimatlande ihren Einzug halten.

Besonders sind es aber die Schwarzamseln und Sing­drosseln, welche nächst der Nachtigall mit ihren feierlichen Lieder­strophen die Tage der

Töpfer oder Ofenvogel mit Nest.( Seite 491.)

Die ältesten Dichter besangen sie als Philomele, welcher Name ihr in der Dichterwelt bis auf die neueste Zeit geblieben ist und der von der Tochter Pandions, Königs von Athen  , Schwester der Profne, herrührt. Philomele ward von deren Gemahl Tereus entehrt und der Zunge beraubt, worauf Phi­lomele und Prokne aus Rache des Tereus Sohn Jtys töteten und Philomele von den Göttern in eine Nachtigall, Profne in eine Schwalbe verwandelt wurde.

Für das menschliche Ohr ist es ein besonderer Vorteil, daß es den Anschein hat, die Singvögel bemühen sich mit ästetischem Geschmack, indem sie bei Steigerungen wirklich zum bessern fort schreiten, und eine durch Geräusch in ihrem Schlage forcirte Nachtigall zum Beispiel gewährt auch der gewöhnlichen Be­obachtung den Eindruck, sie erhebe sich aus eigener Begeisterung zur selbstbeglückendsten Höhe ihrer Kraft und Kunst, als hätte

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Wonne" begrüßen.- Nur ist der Karakter beider Gesänge sehr verschieden. Beim Am­selgesang fließen die abgerundeten Töne sanft und gezogen dahin, beim Singdrosselschlag jagen sie sich in Hast, dem Wildbache gleich, dessen Wellen in der Wald­schlucht sich überstürzend von Stein zu Stein springen. Aus dem Flötengesang der Amsel spricht Ernst und Würde, fröhliche Selbstgenüg­samkeit und kindliche Freude; aus dem Schlage der Singdrossel dagegen leidenschaftliche Erregtheit, ungestüme Lust und jauchzender Lebensmut.

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Ein weiterer Ge­sangskünstler ist der Sommergast der rohr­bestandenen Gewässer, der Rohrsänger. Des sen eigentümlicher Ge­sang besteht weniger aus flangvollen, als aus ansprechend schwazen­den, zwitschernden und schnalzenden Tönen, welche in der Höhe und Tiefe wunderbar ab­wechseln, manche nicht unangenehme Wendun­gen befizen. Bald er­innert er an den Ge­sang der Schwalbe, bald an den anderer Vögel, am meisten aber

an ein Froschkonzert, aus einiger Ferne gehört, mit Wellen­rauschen und Windesflüstern im Schilfe. In schönen Nächten ertönt er noch um Mitternacht und beginnt schon lange vor dem ersten Grauen des Tages wieder: in solchen Stunden hat er etwas eigentümlich Anziehendes.

Der Rohrsänger ist sehr fleißig im Singen, bringt gar keinen Schaden und verdient deshalb den Schuz aller edel= denkenden Menschen.

Wie aber einerseits die Bestrebungen für die Fortpflanzung und den Schuz der im Freien lebenden Vögel eifrige sind, so sind sie es andrerseits nicht minder in der Zucht und Pflege der im Zimmer gehaltenen.

Hauptsächlich sind es unter lezteren die Kanarienvögel, welche sich durch ihren anmutigen, starken und abwechselnden Gesang, ihre Gelehrigkeit, ihr artiges Betragen, ihre hübsche