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zum Sturz Robespierres hat das Tribunal 2728 Verurteilte aufs Schaffot geschickt. Man vergißt gewöhnlich hinzuzufügen, daß das Schreckensregiment in den Departements häufig mit weit mehr Grausamkeit durchgeführt wurde, als am Size der Regierung. Es bestanden Revolutionstribunale in Nantes  , in Brest  , in Orange, in Lyon  , in Bordeaux  , in Straßburg  , in Arras   und anderwärts, ganz abgesehen von den wandernden Tribunalen, welche den Schrecken im Umherziehen verbreiteten. Dabei wurde oft mit ausgesuchter Grausamkeit verfahren, wie bei der fürchterlichen Zerstörung von Lyon  , wo Collot d'Her bois Massenhinrichtungen mit Kartätschen vornehmen ließ, in Arras  , wo Joseph Lebon   den auf dem Schaffot befindlichen Verurteilten erst die Berichte von den Siegen der republikanischen Heere vorzulesen befahl, und in Nantes  , wo Carrier die be­rüchtigten republikanischen Taufen und Hochzeiten" arrangirte*). Mit dem zunehmenden Uebergewicht Robespierres er­reichte das Schreckenssystem seine Höhe. Nicht etwa weil Robes­pierre persönlich stärkere Neigungen zur Grausamkeit besessen hätte als andere, sondern weil sich unter den Machthabern der Republik   eine gewisse Konkurrenz entwickelt hatte. In dieser allgemeinen Fieberhize, in diesem wild empörten Meer Paris  " suchten die Machthaber sich durch Strenge und Unbeugsamteit gegen die Feinde Einfluß zu verschaffen und gefürchtet zu machen; jeder suchte den andern darin zu überbieten. Die Einsäze bei diesem unseligen Konkurrenzspiel waren die Köpfe der Verur­teilten. Unter diesen Umständen ward das Morden zur sinn losen Wut. Das Schaffot verschlang ohne Wahl alles, Danton  , weil er zu gemäßigt, Hébert, weil er zu wenig gemäßigt war. Damals schickte man die 33 Einwohner von Verdun   aufs Schaffot, weil sie 1792 den Preußen einen feierlichem Empfang bereitet hatten. Zwei junge Mädchen darunter wurden aus­nahmsweise nicht hingerichtet, sondern nur zu 20jähriger Zucht­hausstrafe verurteilt. Reizende Frauenköpfe fielen in Menge; am meisten betrauert wurde die so schöne und so unglückliche Lucile Desmoulins  , die Gattin des berühmten Journalisten. Im Prozesse der Cäcilie Renault, eines 18jährigen jungen Mädchens, dessen halbverrücktes Benehmen man zu einem Attentat gegen Robespierre   aufbauschte, faßte man eine Menge Personen, darunter mehrere junge Frauen und Mädchen, als " Verschworene" zusammen, obschon es klar war, daß diese Per­sonen sich niemals gesehen und auch nie miteinander verkehrt hatten. Man schickte sie in roten Hemden aufs Schaffot. In dieser Zeit wurden an einem Tage manchmal 70-80 Personen hingerichtet, was man eine Fournée, einen Schub( wie beim Bäcker) nannte. Auch die Sprache der Schreckenszeit weist auf eine große Roheit einzelner Machthaber hin**).

Robespierre   war sich des Unheils, den diese Konkurrenz der Machthaber in Grausamkeit herbeiführte, ganz gut bewußt und hat dies in seiner lezten Rede am 8. Termidor( 26. Juli) 1794 auch angedeutet. Allein er hatte trozdem, sagen wir die Schwäche besessen, diesen Konkurrenzkampf mitzumachen.

Der Terrorismus griff endlich in die Reihen der Macht­haber selbst hinein; die Regierung spaltete sich, und da Nobes­pierre ziemlich deutlich die Absicht an den Tag legte, die ihm unbequemen Regierungsmitglieder aufs Schaffot zu schicken, so kamen ihm diese zuvor und organisirten jene große Verschwörung, die am 9. Termidor( 27. Juli) 1794 zum Ausbruch kam. Robespierre  , der kein Mann der Tat war, unterlag, als man

*) Die Taufen" bestanden darin, daß man die Gefangenen in den unteren Raum eines Schiffes sperrte und nachher durch An­bohren das Schiff versenkte; die Hochzeiten" darin, daß man männ= liche und weibliche Gefangene paarweise nackt zusammenband und sie dann ins Wasser warf. Selbst Billaud- Varennes, der als der Protektor Carriers galt und dem auch seine Feinde zugestehen werden, daß er den Mut hatte, immer und unter allen Umständen die Wahr­heit zu sagen, erklärte beim Prozeß Carriers, daß er dessen Benehmen nicht gebilligt habe.

** Badier bezeichnete das Hingerichtetwerden mit in den Sack nießen"; Boulland bezeichnete die Guillotine als Guckfenster" oder Nationalfenster" und Jagot antwortete den Gefangenen, die um mehr Kleidung baten: Ein Gefängnis ist ein Rock von Steinen."

ihn nicht zum Wort kommen ließ, und ward mit seinem An­hange auf das Schaffot geschickt.

Während dieser furchtbaren Stürme war die wirtschaftliche Lage in Paris   eine sehr drückende geworden, das Papiergeld fonnte nur durch die blutigste Strenge auf einem geringen Kurs erhalten werden und sank später auf einhalb Prozent seines Nennwertes; Gold und Silber verschwanden vom Geldmarkte; die Hauptstadt konnte nur durch unbarmherzige Requisitionen mit Lebensmitteln versehen werden; die Landleute suchten ihre Waaren dem Markte zu entziehen, weil sie kein Papier dafür haben wollten, und wenn nicht Frankreich   das Glück einer außerordentlich guten und reichen Ernte gehabt hätte, so wäre es wahrscheinlich, da Ackerbau, Handel und Verkehr an vielen Orten stockten, die Beute einer furchtbaren Hungersnot ge= worden. Dazu tobte der Krieg im Innern und an den Grenzen.

Diese Periode, die so viele Züge von antikem Heroismus und großartigem Karakter sowohl bei den Einzelnen wie bei den Massen aufweist, kann für die Zeitgenossen nur sehr unbehaglich gewesen sein. Mit Ausnahme der herrschenden Minorität sehnte sich alles nach ruhigeren und behaglicheren Verhältnissen, wie der große Umschlag nach der Katastrophe des 9. Termidor be­weist. Die große Masse kümmerte sich weniger um die Partei­fämpfe im Konvent. Die Tätigkeit der Bergpartei ging zum größten Teil im Kampfe auf; die positiven gesezgeberischen Leistungen des Konvents, so trefflich einzelne darunter waren, vermochten die Wünsche und Bedürfnisse des Landes nicht zu befriedigen. Der Rückschlag, der nach dem Sturze Robespierres eintrat, war daher nicht minder groß, als der Terrorismus vorher hoch gespannt gewesen war.

Wenn jezt eine weise, milde und starke Regierung die Zügel in die Hand genommen hätte, so hätte bei alledem und troz der reißenden Reaktion die demokratische Form des französischen  Staats möglicherweise erhalten werden können. Allein auf das allzu drakonische Tugendregiment Robespierres und Saint Justs folgte die Regierung der Korrupten, oder, wie Napoleon  sie nannte, der Verfaulten( pourris). Alles schlug ins Gegen­teil um; die Herren der Republik   suchten allen Glanz einer großen Regierung zu entfalten und waren doch nicht fähig, die allgemeine üble Situation etwas besser zu gestalten. Die Not erreichte um diese Zeit den höchsten Grad in Paris  *) und führte zu blutigen Aufständen, so daß der Konvent die Vor­städter entwaffnen ließ. Man wurde im Lande der Konvent regierung so überdrüssig, man sehnte sich so sehr nach einer festen und ordnenden Regierung; man haßte die noch im Kon­vent befindlichen Veranstalter der Schreckenszeit so sehr; man verfolgte so heftig die Terroristen im ganzen Lande und man sträubte sich so energisch gegen den geringsten Versuch, die Schreckenszeit wieder herzustellen, daß dem Konvent beim Heran­nahen des Endes seiner dreijährigen Legislaturperiode ernstlich bange ward. Der Konvent nahm daher in die neue Verfassung von 1795 die Bestimmung auf, daß zweidrittel seiner Mit­glieder ohne Wahl in die neue Volksvertretung übergehen sollten; nur das eine Drittel sollte gewählt werden.

Mit diesem Bekenntnis seiner Schwäche, das zugleich ein diktatorisches Verfahren ohne Gleichen war, rief der Konvent einen royalistischen Aufstand in Paris   hervor. Die Massen der Vorstädte rührten sich nicht, wohl aber die Bürger der wohl­habenden Duartiere, die Nationalgarde, die Herren épiciers, welche die demokratische Regierungsform gern los sein wollten. Der Rückschlag war so groß geworden, daß in vielen Landes­teilen die Jakobiner mit fast noch mehr blutigen Greueln, als die Schreckenszeit aufweist, verfolgt wurden.

Und nun erschien zum erstenmal der Mann auf dem Plaze, dem nach vier Jahren das von allen Stürmen zerrissene, er müdete und abgeſtumpfte Paris   nebst Frankreich   zu Füßen liegen sollte. Napoleon Bonaparte   hatte sein Genie zunächst bei der

*) Schon zur Zeit der Herrschaft Robespierres hatten die Arbeiter der Vorstädte gesagt: Wir sterben vor Hunger und ihr glaubt uns mit Hinrichtungen ernähren zu können.