„ Sie selbst sind mir noch die Aufklärung darüber schuldig, ob das Leben an Ihnen gut gemacht hat, was es einst gegen Sie sündigte. Nicht etwa, daß ich ein Recht zu dieser Frage hätte. Ich habe Sie damals von mir gehen lassen, ohne Trost, ohne Hilfe, wo Sie deren bedürftiger waren als ich, und habe dadurch einen Teil der Verantwortung für Ihr Schicksal auf mich geladen. Nun ist es nur natürlich, daß ich wissen möchte, wie es Ihnen inzwischen ergangen ist; auf welche Weise Sie das Glück gefunden haben, das aus Ihren Augen leuchtet und in Ihren Worten unverkennbar ist."
Sie hatte diese Worte kaum gesprochen, als die Tür ungestüm geöffnet wurde und Erich hereinstürmte. Er sprang auf die Mutter zu, in den kleinen Händen einen Strauß frischgepflückter Feldblumen, hinter welchem sein dunkles Köpfchen fast verschwand. Als er die Fremde gewahr wurde, sah er sie mit großen Augen an und drückte sein kleines, sonnengebräuntes Gesicht verschämt an die mütterliche Brust. Lisbeth errötete befangen. Fast schämte sie sich ihres Glückes der Kinderlosen gegenüber, für welche sie das wärmste Mitgefühl empfand. Niemand hatte ihr gesagt, daß die schöne Frau, der sie einst wehe getan, nicht glücklich war in allem Glanz und Reichtum, der sie umgab. Es lag nicht in Hedwigs Art, ein Geheimnis zu verrathen, das nicht das ihre war, und Dora selbst war viel zu stolz, um durch einen Blick zu erkennen zu geben, wie es in ihrem Herzen aussah. Aber mit dem untrüglichen Instinkt des Weibes hatte Lisbeth erraten, daß der schönen, stolzen Frau, die so gleichmütig dreinsah, als wisse sie nicht, wer der Knabe war, der seine Arme zärtlich um den Hals der Mutter geschlungen hatte, heimlich das Herz schwoll bei dem Anblick eines Glückes, das sich auf den Trümmern ihres eigenen aufbaute. Sie flüsterte dem Knaben ein paar Worte ins Ohr und ließ ihn sanft niedergleiten. Dann, als er das Zimmer verlassen hatte, näherte sie sich Dora. Es drängte sie, der schönen Frau zu zeigen, wie dankbar sie ihr für die Teilnahme war, die sich in Doras lezten Worten kundgegeben. Und nun erzählte sie ihr in schlichten Worten, wie sie an jenem unglückseligen Abende in ihrer Verzweiflung den Tod gesucht und Burghardt sie gerettet hatte. Ein sonniges Lächeln flog über ihr Gesicht, als sie jener Begegnung gedachte. War doch die Erinnerung daran der einzige Lichtblick inmitten des Jammers, der damals ihre Seele erfüllte. Dann hatte sie jahrelang für ihr Kind gearbeitet und wenn ihre Kraft mitunter zu erlahmen drohte, ihre Seele immer wieder aufgerichtet an dem Gedanken an Burghardt.
Sie hatte ihre schlichte Erzählung beendet und stand nun Dora gegenüber, mit glühenden Wangen, ein glückseliges Lächeln auf den Lippen. Dora hatte sich abgewandt. Nun reichte sie Lisbeth zum Abschied die Hand.
" Sie sind eine glückliche Frau," sagte sie und versuchte zu lächeln.„ Er freut mich, daß Sie wenigstens-"
Sie brach ab. Alles Blut drang ihr zum Herzen. Auf dem Flur ertönten Schritte und wenige Augenblicke später trat Burghardt in das Zimmer. Er war sehr erstaunt, Dora zu sehen und bot ihr lächelnd die Hand.
" Sie hier, gnädige Frau," sagte er.„ Warum haben Sie mir nichts von Ihrer Absicht gesagt, als wir uns vor wenigen Tagen in Berlin trennten?"
"
Ihre Augen blizten ihn munter an.
" Ich wollte meine Schwester überraschen," entgegnete sie. Sie sehen, mein Vorhaben ist mir auch vollständig geglückt. Hedwig fann sich noch immer nicht von ihrem Erstaunen erholen."
Sie trat auf Hedwig zu und sah ihr in die Augen. „ Auf Widersehen in Berlin , Kind," sagte sie leicht. hoffe, du bist mit mir zufrieden."
Ich
„ Sie wollen uns schon wieder verlassen, kaum daß Sie hier angekommen sind?" fiel Burghardt ihr überrascht in das Wort. Sie lachte.
"
Glauben Sie, daß ich es länger als 24 Stunden hier was in aller aushielte? Ich habe Hedwig wiedergesehen
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Welt soll ich noch hier! Einer Kur bedarf ich nicht. Ich bin leider so gesund, daß selbst die tollste Lebensweise mir nichts anhaben kann."
Burghardt war mit seiner Frau allein in dem Zimmer zurückgeblieben. Sie hatte mit einem stummen Händedruck von Dora Abschied genommen. Sie war sehr aufgeregt und kämpfte mit sich, ob sie Burghardt sagen solle, was sie vor wenigen Augenblicken erlebt. Es fiel ihr schwer aufs Herz, daß sie ein Geheimnis hatte vor ihrem Manne. Er wußte nicht, wer der Vater ihres Kindes war. Sie war eine zu schüchterne, zurückhaltende Natur, um aus eigenem Antriebe den Schleier zu lüften, der über der Vergangenheit lag, und Burghardt liebte seine Frau zu sehr, um mutwillig die Erinnerung vergangener Schmerzen in ihr heraufzubeschwören. Nun war ihr der Gedanke unerträglich, ihrem Manne zu verheimlichen, was sie soeben erfahren hatte, und doch empfand sie eine heimliche Furcht, an der Vergangenheit zu rühren.
Burghardt beobachtete verstohlen seine Frau. Er sah, daß sie etwas auf dem Herzen hatte und mußte lächeln, als er ihre vergeblichen Anstrengungen sah, ihre Aufregung seinen Blicken zu verbergen. Dann litt es ihn nicht länger in dieser Untätig feit. Er trat zu Lisbeth und zog sie neben sich auf einen Stuhl. Was ist dir, liebes Weib," fragte er und küßte ihren Mund. Willst du mir nicht sagen, was dir widerfahren ist?"
"
Sie schlang die Arme um seinen Hals und lehnte ihren Kopf an seine Brust. So blieben sie wohl eine Stunde lang beieinander sie, leise und abgebrochen erzählend von vergangenen Tagen und jede Faser ihres Herzens bloslegend vor dem geliebten Manne; er, ernst und ruhig, ohne durch ein Wort ihre Beichte zu unterbrechen. Nur mitunter glitt seine Hand liebkosend über ihren blonden Scheitel und seine Lippen berührten die ihren lange und innig. Dann drückte er sie fester an sich und sie sah zu ihm auf und in seine Augen, die mit leidenschaftlicher Innigkeit auf ihr ruhten.
Die beiden Schwestern hatten inzwischen das Haus verlassen.
„ Laß mich mit dir gehen," hatte Hedwig gesagt, als Dora, kaum daß die Tür sich hinter ihnen geschlossen, mit einer ungeduldigen Bewegung ihren Arm abstreifte. Dann waren sie stumm nebeneinander hingegangen. Nun hatten sie Doras Wohnung erreicht und noch war kein Wort zwischen ihnen gefallen. Dora hatte sich mit einem tiefen Seufzer auf dem Sopha ausgestreckt und die Augen geschlossen. Sie schien es völlig vergessen zu haben, daß Hedwig neben ihr stand und angstvoll auf sie niedersah. Nun schlug sie plözlich die Augen auf und sah Hedwig finster an.
"
Bist du immer noch hier," sagte sie heftig. Was willst du von mir? Nun ist ja alles gekommen, wie du es gewollt hast. Oder liegt dir das Glück deiner Freundin so sehr am Herzen, daß du nicht Ruhe findest, bis ich den Staub von meinen Füßen schüttele und dich von deiner Furcht befreie? Sei unbesorgt- Ihr habt von mir nichts mehr zu fürchten."
In leidenschaftlicher Bewegung fniete Hedwig neben dem Sopha nieder und faßte Doras Hände. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie hätte in diesem Augenblicke das Glück ihres ganzen Lebens hingeben mögen, um ihrer armen Schwester zu helfen und brachte doch kein Wort über ihre zuckenden Lippen. Dora mußte lächeln, als sie Hedwigs Aufregung sah ein müdes, wehmütiges Lächeln, das die Tränen in Hedwigs Augen lockte.
„ Kind," sagte sie, wie soll ich es dir recht machen? Du bist eine sehr anspruchsvolle kleine Person. Am Ende verlangst du noch, daß ich mich glücklich fühle in dieser elenden Resignation, die mir das Schicksal aufgenötigt hat. Lieber Gott warum mußte sie auch gerade seine Frau werden!"
Sie sprang auf und schritt durch das Zimmer, ruhelos, mit geballten Händen und fliegendem Atem, als fürchte sie sich vor ihren eigenen Gedanken.
„ Glaubst du, ich hätte getan, was ich jezt tue; ich wäre mit leeren Händen meines Weges gegangen, ärmer und elender