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Bedeutung haben, halten wir hier nicht für angemessen. Es fragt sich nun, ob diese Resultate sich philosophisch verwerten lassen, d. h. ob wir durch sie die Berechtigung erhalten, das Problem des Ursprunges und Wesens aller Lebenserscheinungen für gelöst zu erklären. Da ist denn zunächst zu konstatiren, daß, wie sehr auch die Meinungen der verschiedenen Forscher einander gegenüberstehen, sie doch in einem Punkte mit wenigen Ausnahmen übereinstimmen: alle Vorgänge, die in dem Protoplasma beobachtet werden, sind physikalisch- chemischer, d. h. mechanischer Natur. Gewiß kann nicht daran gezweifelt werden, daß die Pflanze sich auf rein mechanischem Wege aufbaut, daß diejenigen Kräfte in ihr wirksam sind, aus denen auch die unbelebte Materie ihre Bewegungserscheinungen ableitet. Eine andre Sache ist es jedoch, ob die mechanische Auffassung die einzige ist, unter der wir die Vorgänge des pflanzlichen und tierischen Organismus betrachten können. Es ist die Aufgabe des Matematikers, alles Qualitative quantitativ aufzufassen, d. h. die Summe aller in ihren Eigenschaften differirenden Zustände auf reine Größenverhältnisse zurückzuführen. Die Sinnenwelt mit ihrem leuchtenden Farbenschimmer, ihren Tönen und Düften repräsentirt dennoch nichts andres als die verschiedenartigsten Lagerungsverhältnisse unendlich vieler Atome. Die Verhältnisse berechnen heißt indessen noch lange nicht das Wesen der Welt und ihr Prinzip definiren. Bekanntlich stellt es die Matematik als Ideal hin, eine einzige, große Formel zu finden, welche sämmtliche Weltengeseze umschließt und aus welcher sich die einzelnen als besondre Fälle mit leichter Mühe ableiten lassen. Damit wäre indessen noch lange nichts gewonnen: unsre Ueber zeugung von einem mechanischen Prozeß hätte nur ihren matematischen Ausdruck gefunden. Wir haben, indem wir an die Betrachtung des Weltalls gingen, die Absicht gehabt, alles nach der formalen Seite hin aufzufassen, dürfen uns also nicht großer Entdeckung rühmen, wenn wir nachher auch wirklich alles formal auffassen. Dem eigentlichen Urgrunde des Seins, dem Weltprinzip sind wir dadurch um nichts näher gekommen. Im
IV. Die City.
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Gegenteil, es erhebt sich sofort die andre Frage, ob die Natur des Gegenstandes, den wir unsrer Betrachtung unterziehen, nicht noch andre Betrachtungsweisen zuläßt als die rein formale, die wir als die nächstliegende zuerst berücksichtigen müssen. Es ist interessant, daß gerade der bedeutendste Forscher auf dem Gebiet der Zellenlehre, Reinke, sich wohl bewußt gewesen ist, wie die rein mechanische Auffassung der Lebenserscheinungen durchaus nicht allen wissenschaftlichen Anforderungen genügt. In seiner Einleitung zu den„ Studien über das Protoplasma" ( 181) äußert er sich, nachdem er hervorgehoben, daß er das Protoplasma schon für einen Organismus von komplizirtestem Gefüge halten müsse, folgendermaßen:„ Eine Konsequenz dieser Anschauung, auf welche ich in der Abhandlung nicht einzugehen beabsichtige, mag an dieser Stelle mit wenigen Worten angedeutet werden. Ich habe durch Versuche die Ueberzeugung gewonnen, daß ein im Mörser fein zerriebenes Plasmodium ebensowenig Protoplasma ist, wie eine zu feinem Pulver zerricbene Taschenuhr noch eine Taschenuhr sein würde. Beides sind Haufwerke verschiedner Substanzen in genau bestimmten Mengenverhältnissen miteinander gemischt, aber ebensowenig wie die rein physikalischen und chemisch wirkenden Kräfte imstande sind, aus dem Gemenge von Messing, Stahl, Gold u. s. w. eine Taschenuhr zu bilden, ebensowenig werden sie aus dem zerriebenem Plasmodium ohne Mitwirkung eines andern Organis mus wieder Protoplasma erzeugen können." Daß in jedem Organismus physikalische und chemische Kräfte wirken, davon ist dieser Forscher wie alle andern überzeugt, aber wie wir in unsrer Darlegung mehrfach betont haben, das Protoplasma ist darum noch keine Maschine, es steht sogar höher als die Taschenuhr. Sein Wesen ist, Beweger und Bewegtes zu gleicher Zeit zu sein. Man hat mit andern Worten das Problem des Lebens nur eine Etappe tiefer gestellt. Mensch oder Protoplasma, in den Grundbedingungen sind die physiologischen Vorgänge dieselben. Das Rätsel ist nicht gelöst, es ist nur auf einen andern, Kleinern Kreis übertragen. ( Grenzboten.)
Der wesentlichste Stadtteil Londons ist die City, offiziell die City of London genannt. In ihm, als dem ältesten Bezirke, konzentrirten sich frühzeitig alle industriellen Unternehmungen, und noch jezt ist die City durch mancherlei Privilegien getrennt von der kommunalen Verwaltung der übrigen Stadtbezirke. Sie hat ihren Lord Mayor, der auch als erster Friedensrichter der City fungirt; sie hat ihre besondere Polizei, sie ist Siz der mannichfachen Innungen und Gewerkschaften, die sämmtlich zäh an uralten Bergamenten fleben, worin ihnen Vorrechte allerlei Art zugestanden wurden. In der Tat beschränkt sich die Arbeit der meisten dieser Gesellschaften auf Veranstaltung von Fest essen, Verwaltung von Unterstützungsfonds; nur sehr wenige lassen sich die Gründung und Pflege von Hochschulen und anderen nüzlichen Unternehmungen angelegen sein.
In der City findet man die Bank von England , die Börsen; Speicher ziehen sich südlich und nördlich von der Themse an ihr in endlosen Reihen entlang. Die City umschließt den Tower, der Zeuge der bedeutungsvollsten historischen Ereignisse seit circa 900 Jahren war, das Zollamt, den Hauptfischmarkt, den Hauptfleischmarkt und den Gemüsemarkt.
Obwohl die Pläne der Stadt die City nicht besonders markiren, fällt es doch nicht schwer, sie aufzufinden. London Bridge , die wesentlichste unter den 18, die Themse in London überspannenden Brücken, dient als Leitstern; die Omnibusführer ( Fahrer und Billeteur) schreien es an jeder Haltestelle oft und laut genug aus. Die Kondukteure werden nämlich sofort ihres Dienstes entlassen, wenn sie nicht Geschäftsinteresse zeigen, d. h. möglichst viele Fahrgäste aufzunehmen suchen, und so empfehlen
sie ihre Fahrgelegenheit marktschreierischer, als der Hausirer seine Waare. Wer sehen will, sezt sich aufs Verdeck und findet reichliche Augenweide; je näher man der City kommt, je stärker wird das Menschen und Wagengewühl, und während der Geschäftsstunden können die Wagen nur schrittweise durch einige Hauptstraßen der City vorrücken. Man steigt ab und weiß sofort, daß man den Knotenpunkt des Welthandels betrat. Die Schuzleute zeichnen sich vor ihren Außenbezirkskollegen aus durch eine rotweiß gestreifte Binde am linken Arm; Geschäftsleute eilen hin und her, und nur wenige Frauen sicht man ängstlich vorübertrippeln. Bei jedem Straßenübergange kommen sie, ihrer minderen Beweglichkeit halber, in Gefahr, ein paarmal übergefahren zu werden; und da kommt ihnen der freundliche Policeman zu Hilfe und hemmt mit einer Handbewegung die Wagenreihen, bis er die Damen sicher auf den jenseitigen Fußsteig geleitet hat. Vom Omnibus herab sieht man kein Pläzchen der Straße, das nicht von einem Omnibus, einer Droschke oder einem Güterwagen eingenommen wäre, und es gehört große Gewandtheit dazu, Zusammenstöße zu vermeiden, ebensogroße vielleicht, sich zwischen den Gefährten hindurchzuwinden, wenn man die Straße frenzen will. Betritt man die City von Westen her, so stößt man zunächst auf den Holborn Viadukt, eine noch junge architektonische Schöpfung: das erste mir bekannte Beispiel der Wegleitung einer Straße über eine andere. Beide inbetracht kommende Straßen sind starke Verkehrswege, und nur durch die Ueberbrückung fonnte der steten Verkehrsstockung abgeholfen werden. Die Eckhäuser an der Südseite haben doppelte Haushöhe; an der Nordseite sind zwei Treppenhäuser angebracht, welche auf die untere, überbrückte Straße leiten. Pferde und