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Durcheinander der Wagen geschickt entwirrt, und Plaz für die leer ankommenden schafft. Da ist nicht gut spazieren gehen, Da ist nicht gut spazieren gehen, überall steht man im Wege, und derbe Zurufe, auch ein gelegentlicher Puff mit einer Ristenecke oder eine unsanfte Be rührung des Schienbeins durch eine im Halbdunkel versteckte Deichsel oder Karre rät zu schleunigem Rückzug. Hinter dem Tower war schon seit einer Reihe von Jahren ein Tunnel unter der Themse her angelegt zum Zwecke der Verbindung mit den südlichen Stadtteilen. Jezt ist er erweitert worden und eine Vorstadtbahn fährt hindurch. Dagegen wurde ein neuer Fußgängertunnel in Angriff genommen und dient noch jezt als frequente Arbeiterpassage. Auf Wendeltreppen steigt man hin unter bis man die Sohle des Tunnels erreicht, Schmuz klebt an den Wänden und Stufen-an Reinigung denkt Niemand. Unten ist eine Sperre angebracht, und vor dem Betreten heißts ein Halfpenny bezahlen. Der Gang verengt sich in dem eigentlichen Tunnel, der sich, aus Eisenröhren von sechs Fuß Durchmesser fonstruirt, darstellt, die von Eisenrippen gegen den Wasserdruck geschüzt sind. Große Leute müssen den Hut abnehmen beim Passiren, und beim Ausweichen muß man sich ein wenig in die Rundung hineinfrümmen. Seitlich erleuchten Gasflammen den schlecht ventilirten und sauerstoffarmen Tunnel. Er be= schreibt eine Kurve, und so sieht man das Ende nicht, gebraucht über zehn Minuten, um hindurch zu gelangen, und begrüßt aufatmend die freie Luft, wenn man am anderen Ende an die Erdoberfläche gestiegen. Der Schall vieler Fußtritte und das Maschinenstampfen der über den Tunnel hinfahrenden Dampfschiffe hallt in den Ohren wieder, doch lassen sich die Geräusche
schwer unterscheiden. Vom Rauschen des Wassers kann kaum die Rede sein, da das Plätschern des Flusses an den Duaimauern nicht in die Tiefen dringt. Eine angenehme Passage kann man den Tunnel nicht nennen, aber es fehlt an Brücken in der Nähe und nur Fährbote vermitteln den überirdischen Verkehr, die leicht in Kollision mit den Flußdampfern geraten.
Von London Bridge aus benuzt man den ,, bus"( Omnibus) um nach dem Strand zu gelangen, der wesentlichsten Verkehrsstraße von Südwesten der Metropole her. Er ist mit Teatern besäet, die Abends das Feld beherrschen; es sind nicht alle Brachtbauten; oft verstecken sie sich hinter den Läden auf den Hofräumen, und ihre Eingänge hat man in verschiedenen Straßen zu suchen. In der Nähe der Teater ist Ueberfluß an Wirtschaften vorhanden, und hier ragen deutsche Biere hervor, die berliner Tivoli- Brauerei war einst ein starker Magnet; jezt sind - vorzüglich bei der deutschen Bevölkerung- baierische Biere bevorzugt, und kürzlich ist eine Brauerei für deutsches Bier im Norden eröffnet worden ich bin noch damit beschäftigt, im Freundeskreise es zu proben und kann ein definitives Urteil noch nicht abgeben. In der ganzen City findet man Deutsche vereinzelt und dichtgedrängt; da sind viele Geschäftshäuser, die nur mit deutschen Firmen versehen sind. Deutsch hört man überall, und selbst der Zündholzknabe bietet dem, den er für einen Deutschen hält, seine Waare auf Deutsch an:„ Zwei für ein Penny!"
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Wer so viel gesehen hat, wie meine Leser und ich im vorstehenden Kapitel, der wird zufrieden sein, wenn ich ihm Ruhe gönne bis zum nächsten Spaziergange.
Ich bleibe ledig. Novellete von Enrico Castelnuovo.
Fräulein Emilia näherte sich ihrem Schreibtische, nahm unter dem Briefbeschwerer einen duftigen Brief hervor, zog ihn aus seinem Umschlag und überflog ihn hastig mit den Augen. Dann schüttelte sie mit einem trüben Lächeln den Kopf, sezte sich nieder und ließ, immer jenen offenen Brief vor sich haltend, die Feder über ein Blättchen weißen Papiers gleiten. Als das erste Blatt gefüllt war, nahm sie ein zweites, und so ging es weiter fort, bis sie endlich ihrer vertrauten Freundin alle ihre Erlebnisse berichtet hatte. Wie man weiß, sind Autoren äußerst indiskret, und so wollen wir laut das vorlesen, was Emilia in der Stille ihres Zimmers niedergeschrieben hat:
„ Meine liebe, gute Maria!
Dein Brief vom fünfundzwanzigsten Oktober schließt mit folgenden Worten: Vor Ende des Jahres rechne ich darauf, den genauen Tag Deiner Hochzeit zu erfahren, der schon zu lange auf sich warten läßt. Wir haben den zwanzigsten Dezember, und Du willst wissen, wie es mir ergangen ist?... Ich hätte Dir schon vor einer Weile die schönen Neuigkeiten mitteilen fönnen, aber ich fühlte, daß ich immer noch nicht sicher genug war. Ich verabscheue alle patetischen Deklamationen und fürchte start, daß es mir nicht gelungen sein würde, sie ganz zu vermeiden. Jezt ist das eine andere Sache und ich denke, daß ich jezt außerhalb aller Gefahr bin. Ich werde dies Papier mit feiner einzigen Träne befeuchten, ich werde mit den Ausrufungszeichen feinen Mißbrauch treiben.
Nur zu wahr ist das Sprichwort, das da lautet: Die Dinge, die sich in die Länge ziehen, werden zu Schlangen.' Meine Ehe gelangte niemals zu einem Abschluß, und nun ist sie in Rauch aufgegangen; ich bleibe ledig.
Aber warum? Und wie ist das gekommen? Habe Geduld, liebe Freundin, und ich werde Dir alles genau der Reihe nach erzählen.
Ich muß zurückgreifen bis auf den Tag, der dem folgte, an dem mir Dein Brief zukam. Ich bin nicht abergläubisch,
aber es ist unleugbar, daß es Tage gibt, an denen uns alles verquer geht, von der Morgenfrühe bis zum Sonnenuntergang.
An jenem Morgen jedoch hatte ich mich bei guter Laune erhoben, und während die Zofe mich frisirte, dachte ich die ganze Zeit an Dich, an Deine zärtlichen Worte, an die Zuneigung, die Du mir nach so langen Jahren der Trennung noch bewahrst. Plözlich hält die Zofe bei ihrer delikaten Beschäf tigung inne und läßt sich ein„ Oh!" der Verwunderung entschlüpfen.
"
Was gibts?"
" Nichts," entgegnete sie, ich wollte Ihnen ein Haar ausrupfen."
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Warum? Was hat es dir getan? Es ist ein Haar... Vorwärts!"
„ Es ist ein weißes Haar."
"
Das große Unglück!" rief ich und fing an, zu lachen.
„ Sie begreifen, so dicht vor der Hochzeit stehen Einem weiße Haare nicht gerade gut. Aber es ist nur dies eine da, man fann es schnell fortnehmen. Da ist es schon!"
"
„ Laß doch einmal sehen. Es ist hübsch," sagte ich und betrachtete es aufmerksam. Ganz gewiß. Gerade wie ein silberner Faden. Eh, Geduld! Es fängt an zu schneien Eine Sache der Jahreszeit."
***
„ Wahrhaftig. Sie sind auch schon alt," fiel das Mädchen scherzend ein.
" Ich bin zweiundreißig Jahre alt. Ich versichere dich, wenn ich mich nun nicht bald verheirate, verheirate ich mich nie."
Wenige Minuten später dachte ich, wie das natürlich ist, nicht mehr an diesen kindischen Einfall. Vor dem Frühstück ging ich mit Liſetta aus, meiner Nichte, von der ich Dir schon häufig gesprochen habe, einem Kinde von acht Jahren, das verständig und anmutig ist, wie man es faum glauben kann. Ich ging, um verschiedene Einkäufe zu besorgen, die sich auf meine Aussteuer bezogen. Wenn man mit zwanzig Jahren heiratet, so ist gewöhnlich die Mama da, die für alles sorgt; wenn man