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Der Freiheitskampf der Stedinger im 12. und 13. Jahrhundert.

Von Dr. Ludwig Braeutigam.

Wenn wir die reiche Geschichte der so bewegten Vorzeit der Nordseemarschen überschauen, so ist es besonders ein Ereignis, das uns mächtig ergreift: es ist der heldenmütige, unvergleichlich großartige Freiheitskampf der alten Stedinger. Wir bewundern die gewaltigen Kriegstaten der Griechen und Römer, die Er­hebung der Schweizer   gegen ihre Unterdrücker; wir preisen das nicht minder heroische Ringen der Niederländer für ihre Selb­ständigkeit.

Ein gleicher Heldensinn, eine gleiche Aufopferung des Lebens, eine gleiche Hingabe für das, was sie für ihre höchsten Güter hielten, zeigen sich auch bei dem schlichten Bauernvolt der Stedinger. Tausende, auch aus dem Norden Deutschlands  , wallfahrten jährlich zu den romantischen Ufern des weltbekannten Vierwaldstättersees, um alle die Orte zu schauen, die namentlich durch Schillers leztes Vermächtnis an seine Nation, durch seinen " Wilhelm Tell  ", verklärt worden sind. Denfen wir an den Nordwesten Deutschlands  ! Wie viele fahren wohl jahraus, jahrein die Unterweser   hinunter. die garnicht ahnen, daß sie an einem blutgetränkten Schlachtfelde vorüberkommen, auf dem ein ganzes Volk den gemeinsamen Heldentod für die Freiheit starb und so eine der heldenhaftesten Taten vollbrachte, die uns nur je in den Annalen der Geschichte aufbewahrt sind. Ja, gewiß ist der Kampf der Stedinger das bedeutsamste und zu­gleich auch das blutigste Blatt aus dem großen Ruhmestranze" des freiheitliebenden Friesenstammes, und mit Recht sagt Her mann Allmers, der liebenswürdige Dichter der Marschen: " Hätte der Stedingerkrieg einen würdigen Geschichtsschreiber gefunden, er wäre wert, ebenso in den Schulen gelehrt zu wer den, wie die Kämpfe des Schweizervoltes.".

Im folgenden soll nun das wichtigste dieses Heldenkampfes vorgeführt werden, wie es dargestellt wird in der Geschichte, in der Sage und in der Poesie.

Alle geschichtlichen Darstellungen über die alten Stedinger werden nach den verschiedensten Seiten hin durch die gekrönte Preisschrift von Dr jur. H. A. Schuhmacher( dem jezigen Ministerresidenten in Lima  ) überragt. Diese bedeutende Schrift hat all die Irrtümer und Vorurteile beseitigt, welche in früheren Werken bezüglich der Stedinger verbreitet wurden.

Zunächst einiges über das Land der Stedinger. Während das jezige Stedingerland das Gebiet zwischen der Ochtum und der Mündung der Hunte umfaßt, rechnete man zu dem alten Stedingen des 13. Jahrhunderts noch andere Teile: nämlich das Land östlich der Weser, das heutige Ostseestade und einige Strecken östlich der Hunte, benannt Nieder- oder Nordstedingen, so daß der heutige Rest zwischen den angeführten Nebenflüssen der Weser das alte Ober- oder Südstedingen ist.

Einst lag dieses jezt so blühende Gebiet unter den Wellen des wilden Meeres, bis der Boden höher und höher stieg und sich Sümpfe und Moore bildeten. Aber noch lange blieben die Ufer der Unterweser   in unbebautem Zustande, und erst im 12. Jahrhundert, in derselben Zeit, in der die nächsten Gebiete um Bremen   bebaut wurden, geschah die allmäliche Eindeichung und Kultivirung der Wesermarschen. Schon im Anfange des 13. Jahrhunderts ist Stedingen   in blühendes Kulturland um­gewandelt.

Was die Abstammung des Stedingervoltes anbetrifft, so ist zu bemerken, daß es die verschiedensten benachbarten Stämme waren, die ihre Angehörigen an die Ufer der Weser   schickten; und so müssen wir die Stedinger des 13. Jahrhunderts als ein buntes Mischvolf erklären, das aber in seinen Gliedern durch gleiche Interessen verbunden wurde. Friesen, Holländer, Engern, Sachsen  , Westfalen   und andere hatten sich hier zu­sammengefunden. Frei wohnten sie auf ihrem Grund und Boden, und mäßig war der Zins, den sie an den Oberherrn des Gebiets, an den Erzbischof von Bremen   zahlten. Wenn

überall in dieser Zeit des Mittelalters der Bauernstand unter dem steigenden Drucke des Adels und der Kirche schwächer, untüchtiger und roher wurde und sein mühevoll erarbeitetes Brod in Schimpf und Kummer essen mußte, so konnten die Stedinger gleich den freien Bewohnern der Ufer des Vierwald­stättersees das sagen, was Schiller dem Stauffacher bei Ge­legenheit der Rütliszene in den Mund legt:

Die andern Völker tragen fremdes Joch, Sie haben sich dem Sieger unterworfen.

Doch wir wir haben stets die Freiheit uns bewahrt, Nicht unter Fürsten   bogen wir das Knie.

Man stellt wohl sonst die Behauptung auf, daß besonders die Gebirgsvölker eine große Freiheitsliebe, eine unendliche An­hänglichkeit an die Heimat bekunden. Richtiger müßte es wohl heißen, daß sich diese Eigenschaften in hohem Maße bei den Stämmen vorzugsweise vorfinden, die sich selbst ihren Boden erschaffen und begründet haben. Dies beweisen vor allem die Niederländer, die Schweizer  , Sie Friesen und auch die Ste­dinger. Die Männer, die durch ihrer Hände Fleiß die düstern Moore und Sümpfe zu einem schönen Siz für Menschen" umgewandelt, die den wütenden Elementen Troz boten, die vielleicht schon manchmal sogar mit ihren eigenen Leibern den Deich geschützt bei Hochfluten, die kühn dem Tode ins Auge schauten, die beugten sich nicht unter fremde Gewalt, die trugen als freie Männer die wuchtigen Waffen so gut als die stolzen Ritter der Umgegend, die sezten auch gegen äußere Feinde ihr Leben ein für Haus und Herd, für Weib und Kind.

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Wer störte nun die Ruhe dieses stillen und friedlichen Volkes? Es waren die Feinde, die damals überall ihre Herrschsucht offen­barten: die Priester und die Adligen, denen jede Freiheit des Volkes ein Dorn im Auge war.

" Ich will nicht, daß der Bauer Häuser baue Auf seine eigne Hand und also frei Hinleb' als ob er Herr wär in dem Lande:

Ich werd mich unterstehn, euch das zu wehren." Der Sinn dieser Worte Geßlers, die er dem freien Stauffacher zurief, wandte sich auch gegen die Stedinger. Ein langer Streit entbrannte, aus dem ich hier nur das wichtigste erwähnen kann.

Ungefähr um das Jahr 1159 beschlossen die Stedinger am Brookdeich, die Burgen, die von den oldenburger Grafen an ihren Grenzen angelegt waren, zu zerstören. Wenn sie rings umgeben waren von beuteluftigen adligen Geschlechtern, so hielten sie doch treu zusammen und wehrten sich tapfer. Es kam nun in jener Zeit der unselige Kampf zwischen Welfen und Hohen­staufen, jener Kampf, über den der berühmteste Minnesänger, Walter von der Vogelweide flagt:

Weh dir, du deutsches Land, Daß alle Ordnung schwand.

Der Pabst, der sich in die deutschen   Angelegenheiten mischte, bannte wen er wollte." Selbst der bremer Kirchenfürst Wal­demar, der Oberherr der Stedinger, wurde erkommunizirt. Auch der Kaiser Otto IV.   verfiel endlich 1210 dem Banne. Wer wollte es da den Bauern Stedingens   verdenken, wenn sie in dieser Zeit der Verwirrung nur an sich dachten und schließlich eine firchliche und weltliche Oberherrschaft gar nicht mehr an­erkannten. erkannten. Aber dabei nahmen sie doch in frommem Eifer an dem Kreuzzuge Friedrichs II. teil, welcher Kaiser sie später wegen ihrer Taten für den deutschen   Ritterorden belobt.

Ein bremer Erzbischof ist es nun gewesen, der die Stedinger vernichtete. Es war Gerhard II.  , der aus dem Geschlechte der Grafen von Lippe stammte und der unstreitig zu den hervor­ragendsten Würdenträgern gehört, die je im bremer Erzbistum geherrscht haben. Als entschiedenem Anhänger der Lehren eines Gregor VII.   und Innozenz III.  , der zufolge der Kirche auch

alle weltliche Macht gehöre, war es ihm etwas Unerhörtes, daß