-

wollen wir doch erst einmal untersuchen! rief Galilei  , stieg auf den schiefen Turm zu Pisa   und warf vor Zeugen Steine von verschiedener Größe herab. Sie kamen immer, ohne Rücksicht auf ihre Größe, gleichzeitig unten an*). Das Verdienst aber, dem Aristoteles   das Szepter entwunden und den Autoritäts­glauben in der Wissenschaft prinzipiell erschüttert zu haben, hat Baco von Verulam.

In Bacos Persönlichkeit müssen wir den moralischen und wissenschaftlichen Karakter scharf auseinander halten. Baco ist als Denker ebenso bewundernswert wie als moralischer Karakter das Gegenteil, wenn wir auch nicht so streng wie Macaulay urteilen, welcher ihn als eine seltsame Mischung von schweben dem Engel und friechender Schlange" bezeichnet.

524

Drei Jahre älter als Shakspeare, im Jahre 1560 geboren, zeigte der jüngste Sohn des Lord Siegelbewahrers, Sir Nikolas Bacon, von früh an die seltensten Geistesgaben. Als Königin Elisabeth den dreijährigen Knaben fragte, wie alt er sei, ant­wortete er: Zwei Jahre jünger als Ihrer Majestät glorreiche Regierung. Auf der Universität zu Cambridge   von seinem drei­zehnten Lebensjahr an gründlich gebildet, ging er achtzehnjährig nach Paris   als Attaché des dortigen englischen Gesandten; er­lernte die neueren Sprachen, besonders die italienische, fran­zösische und spanische; kehrte nach seines Vaters Tod nach London  zurück, um sich der Rechtswissenschaft zu widmen und auf die advokatorische Praxis vorzubereiten. Dank seinem Oheim, Lord Burghley  , dem einflußreichen Minister, ward Franzis Bacon, kaum vierundzwanzig Jahre alt, in das Parlament gewählt, wo er sich bald durch seine Beredsamkeit und Geschäftskenntnis eine hervorragende Stellung errang. Auch die Königin zeichnete ihn aus und zog ihn mehrfach zu Rate. In der Affaire Esser spielte er eine ziemlich unwürdige Rolle. Unter Jakob I.   gelang es ihm, die Leiter der Staatsämter bis auf die obersten Sprossen hinaufzusteigen. Bei der Tronbesteigung zum Ritter geschlagen wurde Baco 1604 befoldeter Rechtsbeistand des Königs, 1607 Generalprokurator, 1612 Generalfiskal, unter Buckinghams Ein­fluß wurde er 1616 in den Geheimen Rat des Königs auf­genommen, ein Jahr darauf Großsiegelbewahrer und 1620 nannte er sich Kanzler. Zu London   lebte er glänzend in York­house. Seine Ferien widmete er einer tuskulanischen Muße zu Gorhambury, wo er sich mit literarischen Arbeiten und Gar­tenban beschäftigte. Hier lebte er in wissenschaftlichem Verkehr mit James Hobbes, der berufen war, die Baconische Philo­sophie fortzubilden und den Macaulay" den schärfsten und kraft vollsten der menschlichsten Geister" nennt. Auf dem Gipfel seiner politischen Laufbahn empfing Baco die Standeserhöhungen zum Baron von Verulam und zum Vizegraf von St. Albans  . Er war der erste Staatsmann Englands und zugleich der erste philosophische Schriftsteller Europas  , nachdem im Jahre 1620 sein Hauptwerk, das Neue Organon"( so betitelt mit Bezug auf das Organon" des Aristoteles, welches die Schriften über Logik oder über die Lehre von den Gesezen des Denkens um faßt. Diese Wissenschaft hat der Stifter der peripatetischen Schule zu hoher Vollendung gebracht, wie denn überhaupt Aristo­teles zu den stärksten Säulen der Wissenschaft zählt. Nur das fritiflose jurare in verba magistri Schwören auf des Meisters Worte der scholastische Aristotelizismus, hat unheilvoll gewirkt) erschienen war. Das war der Augenblick, wo Baco auf dem Höhepunkte seiner Macht und seines Glückes stand, mit Recht angesehen und bewundert von der Welt. Ein neues Parlament trat zusammen, drei Tage nachdem Baco in feierlichster Weise zum Vizegraf von St. Albans   ernannt worden war. Die öffentlichen Beschwerden kamen zur Sprache,

-

*) Wenn ein Stückchen Papier   nicht eben so rasch zur Erde fällt, als ein Goldstück, so darf man daraus nicht schließen, daß ein leichter Gegenstand langsamer zur Erde fällt, als ein schwerer; es rührt das blos vom Widerstande der Luft her. Im luftleeren Raum fällt eine Flaumfeder eben so schnell zur Erde wie eine Bleifugel. Man kann sich hiervon durch folgenden Versuch überzeugen. Man nehme ein Dreimarkstück, lege ein fleines Stückchen Papier   darauf und lasse beides fallen. Man wird sehen, daß Papier und Geldstück gleichzeitig unten ankommen, weil das Geldstück die Luft verdrängt hat.

die eigennüzigen, gemeinschädlichen Monopole und Patentvers leihungen, vor allem die Mißbräuche in den Gerichtshöfen. Das Haus der Gemeinen wählte einen Ausschuß, jene Miß­bräuche zu untersuchen. Am 15. März 1621 berichtete der Vor­sizende dieses Ausschusses, daß die Person, gegen welche die Beschwerden vorgebracht werden, keine geringere sei, als- der Lordkanzler selbst. Er sezte hinzu: ein Mann, den Natur und Bildung so verschwenderisch ausgestattet, daß ich nichts weiter über ihn sagen will, denn ich bin nicht imstande, genug zu sagen." Die Anklage wurde verfolgt; die Bestechungsfälle häuften sich, die Afte zählte deren dreiundzwanzig. Die Ab­schrift derselben wurde Baco zugestellt, damit er sich verteidige. Er antwortete zulezt schriftlich, da jede Ausweichung unmöglich war: Nachdem ich die Klagepunkte bedachtsam erwogen, be­kenne ich klar und aufrichtig, daß ich der Bestechlichkeit schuldig bin und verzichte auf alle Verteidigung." Ueberwältigt und frank vor Scham verschloß sich der Unglückliche in sein Zimmer. Als er hier einer Deputation der Lords gegenüberstand, nannte er sich selbst ein gebrochenes Nohr", mit dem man Barm­herzigkeit haben möge. Sein Schuldbekenntnis, sagt Kuno Fischer  , war nicht sowohl von dem Drange eines zerfnirschten Gewissens als von der Klugheit geboten; der König selbst, der ihn nicht retten konnte, hatte ihm den Rat zukommen lassen, sich schuldig zu erklären. Er wurde verurteilt zum Gefängnis, so lange es dem Könige beliebe, zu einer Geldbuße von 40 000 Pfd. Str. und zum bürgerlichen Tode. Die Strafe war strenger als seine Richter, die für den Verurteilten soviel Bewunderung als Mit­leid fühlten. Auch wurde sie kaum oder nur um der Form willen vollzogen. Schon nach zwei Tagen ließ der König den Gefangenen befreien, dann wurden ihm auch die übrigen Teile der Strafe erlassen, sogar den Siz im Hause der Lords sollte Baco schon im nächsten Parlament wieder einnehmen. Allein er erschien nicht mehr und lebte den Rest seiner Jahre einsam und der Wissenschaft ergeben in den Wäldern von Gorhambury.. Er starb 1627, zehn Jahre nach Shakspeare.

Die dunklen Schatten, die auf Bacos Karakter fallen, können indes großenteils auf Rechnung seines rohen, vielbewegten Zeit­alters gesezt werden und sie werden überstrahlt von dem hellen Geisteslicht, das sein Genius nicht blos seiner Nation, sondern der Menschheit angezündet hat. Dieser in allen Fächern der Wissenschaft heimische, schöpferische Geist hat sich nie in die Pedanterie der Stubengelehrsamkeit, noch in die Subtilitäten der Rabulistik verirrt. der Rabulistik verirrt. Nicht in der engen Zelle des mensch­lichen Geistes suchte sein auf das Reale und Praktische gerichtete Forscherblick die Wissenschaft, sondern in dem weiten Kreis der Welt.

Bacos*) Philosophie hat eine durchaus praktische Richtung. Die Wissenschaft gilt ihm nicht als alleiniger Selbstzweck, son­dern als Mittel zum Zweck. Der alleinige und höchste Zweck der Wissenschaft ist die Herrschaft des Menschen über die Natur. Die Wissenschaft soll dem Menschen dienen, ihn mächtig machen; nur sie vermag es, denn unsere Macht über die Dinge gründet sich allein auf unsere Einsicht in deren Natur. Die Macht besteht im Können, alles können aber sezt ein Wissen voraus. Das menschliche Vermögen reicht nur so weit als sein Wissen, oder wie sich Baco ausdrückt: Die menschliche Wissenschaft und Macht fallen in einen Punkt zusammen." Macht fallen in einen Punkt zusammen." Alle Wissenschaft, die nichts nüzt, ist in Bacos Augen nichts wert; es gibt für diesen praktischen Geist keine selbstgenügsame, dem Leben ent­fremdete Teorie, aber andererseits gibt es im menschlichen Leben nichts, das der Erforschung unwert, oder dem Geist gegenüber verächtlich wäre. Was die geringfügigen und häßlichen Dinge betrifft, von denen man, wie Plinius   sagt, nicht reden darf, ohne um Erlaubnis zu bitten, so müssen sie ebensogut als die herrlichsten und kostbarsten in die Wissenschaft der Natur auf­genommen werden. Die Wissenschaft kann nicht befleckt werden. Auch die Sonne beleuchtet auf gleiche Weise Paläste und Kloaken.

*) Wir bedienen uns im Nachstehenden vielfach der Darstellung K. Fischers in seinem Werke über Bacco.