Was wert ist, zu sein, das ist auch wert, gewußt zu werden, denn die Wissenschaft ist das Abbild des Daseins."
Bacos Zeitalter war im Innersten bewegt von jenen reformatorischen Kräften, welche in den lezten Jahrhunderten erweckt worden waren. Es war ein Umschwung der Welt eingetreten, der eine gewaltige Kulturkrisis herbeigeführt hatte. Baco be= griff mit durchblickendem Verstand diese veränderte Physiognomie seines Zeitalters. Er suchte nach den lezten Motiven dieser Umwandlung und fand sie vorzugsweise in den drei großen Erfindungen: des Pulvers, welche das Kriegswesen reformirte, des Buchdrucks, welche das Wissen popularisirte, und des Kompasses, mit Hilfe deren die neue Welt entdeckt wurde. Diese drei Erfindungen haben nach Baco das Mittelalter aus den Fugen gehoben und den Zustand der Welt umgestaltet, in der Wissen schaft, im Kriegswesen, in der Schiffahrt, und zahllose Reformen sind ihnen gefolgt.
Wie kommt es nun, fragte sich Baco, daß die Wissenschaft bisher so unfruchtbar war? In leere und unfruchtbare Wortstreitigkeiten verloren, hat die Philosophie während so vieler Jahrhunderte kein einziges Werk oder Experiment hervorgebracht, das dem menschlichen Leben wirklichen Nuzen gebracht hätte. Die bisherige scholastisch- aristotelische Logit hat mehr zur Befestigung des Irrtums als zur Erforschung der Wahrheit gedient. Woher dies? Woher kommt das bisherige Elend der Wissenschaft? Weshalb war sie wie ein Kind, fertig zum Schwazen, unkräftig und unreif zum Zeugen?- Zunächst deswegen, weil in dem kleinen Zeitraum, welcher in der Geschichte der Menschheit der Wissenschaft gehörte, nur der geringste Teil der wissenschaftlichen Arbeit der Naturwissenschaft zufiel. Die Naturwissenschaft aber ist die Mutter aller Künste und Wissenschaften, und so bald sie von dieser Wurzel losgerissen werden, können sie sich wohl noch formell ausbilden, aber nicht weiter entwickeln. Von den dritthalb Jahrtausenden der Geschichte gehörten kaum sechs Jahrhunderte den Wissenschaften, sagt Baco. Sämmtliche drei wissenschaftliche Perioden aber, die griechische, die römische und die neueuropäische, waren der Naturwissenschaft ungünstig. Nachdem sich der christliche Glaube über die Welt verbreitet hatte, wurden die besten wissen schaftlichen Kräfte von der Teologie absorbirt. Während des zweiten Zeitalters der Wissenschaft beschäftigten sich die ersten Geister hauptsächlich mit der Politik und Moral, welche bei den Heiden die Stelle der Teologie vertrat. Bei den Griechen endlich war die Zeit der Naturphilosophie von sehr geringer Dauer, und von Sokrates an erstarkte die Moralphilosophie und entfremdete der Naturwissenschaft die Gemüter. Hierzu kommt eine andere Ursache. Die Naturwissenschaft konnte nicht pros periren, so lange das alte eingewurzelte Vorurteil herrschte, daß der menschliche Geist sich von seiner Würde etwas vergäbe, wenn er sich mit Experimenten, mit materiellen Dingen viel und anhaltend beschäftige. Man kann die Dinge nicht beherrschen, ohne sie zu kennen, und diese Kenntnis, welche uns die Objekte durchsichtig und darum untertan macht, fann nur erreicht werden durch einen intimen Umgang mit denselben. Die Natur will interpretirt sein wie ein Buch. Die beste Interpretation ist diejenige, welche den Autor aus sich selbst erklärt und ihm keinen anderen Sinn unterschiebt, als er sagt. Der Leser darf nicht seinen Sinn in den Schriftsteller hineinlegen, sonst bringt er sich um das richtige Verständnis und kommt zu einem eingebildeten. Insbesondere muß bei der Naturbetrach tung der Zweckbegriff ausgeschlossen werden. Die Wissenschaft hatte früher der Natur bestimmte Zwecke angedichtet und sie unter diesem imaginären Gesichtspunkt erklärt, was ein wahres Verständnis der Natur unmöglich machte. Darum stellt Baco die Forderung: Suche die Natur durch Erfahrung kennen zu lernen. Stüze deine Wahrnehmung auf Experimente und schließe von deiner Naturerklärung von vornherein die Zwecke aus, suche überall nichts als die wirkenden Ursachen der Naturerscheinungen.
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Ganz besonders aber war es der Autoritätsglaube, die über triebene. Verehrung des Altertums, was die Wissenschaft auf feinen grünen Zweig kommen ließ. Unter der Autorität werden
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die Dinge betrachtet, nicht wie sie uns, sondern wie sie andern erscheinen, die sich mit dem Ansehen einer überlieferten Religion oder Philosophie bekleidet haben. So werden sie betrachtet ohne eigenes Urteil, ohne eigene, selbstgemachte Erfahrung. Dagegen unabhängig von der Autorität verwandelt sich unsere Bestrebung in Autopsie, in selbsteigene Anschauung, die nicht, was andere sagen oder für wahr halten, gläubig annimmt und wiederholt, sondern nur, was sie erfahren und wahrgenommen hat, aus Ueberzeugung festhält. So war z. B. für die Astronomie die Bibel und das ptolemäische System die Autorität, das die Wissenschaft in Kopernikus ernstlich und für immer aufgab. Sie hat hier zum erstenmal und aus eigenen Kräften die vollkommen selbstständige Betrachtung angestellt und hat das Gegenteil von dem gefunden, was die Autorität behauptete. Auf Aristoteles besonders ist Baco schlecht zu sprechen, weil er die meiste Autorität auf die Geister übt. Der Name des Aristoteles bildet gleichsam die hervorragende Spize, die alle Blize ableiten muß, welche Baco gegen die frühere Philosophie schleudert. Er machte sich zum leibhaftigen Anti- Aristoteles. Wir müssen indes diesen Namen im Munde Bacos mehr als ein nomen apellativum( Gattungsnamen), denn als ein nomen proprium( Eigennamen) nehmen, damit Baco gegen den wirklichen Aristoteles nicht zu ungerecht erscheine.
Es handelt sich also um eine völlige Erneuerung, Wiedergeburt und Reformation der Wissenschaft von ihren untersten Grundlagen an, es gilt, eine neue Basis des Wissens, neue Prinzipien der Wissenschaft zu finden. Diese Reformation und Radikalkur der Wissenschaft hängt von zwei Bedingungen ab: Die objektive Bedingung derselben ist die Zurückführung der Wissenschaft auf die Naturerkenntnis und auf die Erfahrung; die subjektive Bedingung ist die Reinigung des Geistes von allen abstrakten Teorien und überlieferten Vorurteilen. Beide Bedingungen zusammen ergeben die richtige Metode der Induktion. Von der wahren Induktion hängt alles Heil der Wissenschaft ab.
Der Gegensaz zur Baconischen Induktion ist der( aristotelische) Syllogismus. Zwei Wege, sagt Baco, kann die Forschung. einschlagen. Der eine fliegt von den sinnlichen Wahrnehmungen sofort aufwärts zu allgemeinen Gesezen( Axiomen) und sucht von hier aus die mittleren Geseze. Dieser Weg ist der übliche. Der andere führt auch von den sinnlichen Wahrnehmungen zu den allgemeinen Gesezen, aber nicht sofort, sondern indem er kontinuirlich und stufenweise emporsteigt und erst zulezt bei den allgemeinſten Ariomen ankommit. Dieser Weg ist der wahre, aber noch nicht versuchte. Der wahre Weg von den Erscheinungen zu den höchsten Naturgesezen führt durch eine Stufenreihe von Ariomen.„ Der menschliche Verstand darf von den Partikularien zu den entfernten und allgemeinſten Axiomen nicht springen oder fliegen und dann mit der so gefundenen Wahrheit die mittleren Axiome aussuchen. So hat man es jezt gemacht. Der Verstand hat dem ungestümen, nach vorwärts drängenden Triebe die Zügel schießen zu lassen. Aber die Wissenschaft kann erst dann gedeihen, wenn auf einer wirflichen Leiter, von Stufe zu Stufe, in geschlossener Reihe, worin kein Glied fehlt, keine Kluft Raum findet, emporgestiegen wird von den einzelnen Dingen zu den untersten Gesezen, von da zu den mittleren, so daß jedes Gesez immer mehr und mehr umfaßt, als das nächst vorhergehende, und erst zulezt zu den allgemeinſten. Wir müssen dem menschlichen Geiste nicht Fittige, sondern Blei und Gewichtanlagen, um seinen Flug zu zähmen, anhängen."
Bei dieser Metode der Induktion vermeidet die Wissenschaft die Jrrwege, welche die„ negativen Instanzen" unbeachtet lassen. Woher, fragt Baco, kommt die Leichtgläubigkeit und der Aberglaube? Daher, daß man ein paar positive Fälle ins Auge faßt, auf diese seine Meinung gründet, die negativen Fälle aber igno rirt. Da erzählt man z. B. von Somnambulen, welche die Zukunft weissagen. Der leichtgläubige Verstand begnügt sich mit dem einen vielleicht noch zweifelhaften Fall, erzählt die Sache weiter, wird abergläubisch und macht Abergläubische.