daß es ganze größere Industriezweige gibt, die bei einem der­artigen Minimalarbeitslohn nicht zahlen können, ohne den Unter­nehmergewinn so zu verringern, daß kein Privatkapitalist mehr Lust empfindet, darin sein Geld anzulegen; was aber folgt daraus?

Doch nur, daß die betreffenden Geschäfte und Industrie­zweige durch und durch ungesund sind und wert, daß sie zugrunde gehen, denn wert zugrunde zu gehen ist jedes industrielle Un­ternehmen, das seine Arbeiter nicht zu ernähren vermag.

Dabei wird sich zweifellos in den meisten Fällen zeigen, daß es entweder wieder der nicht genügend produktive Klein­

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betrieb ist, der jene Unfruchtbarkeit des Unternehmens verschuldet, oder der andere Umstand, daß alles Privatkapital ohne erheb= lichen Profit sich der Industrie nicht dienstbar macht.

Daher werden die zugrundegehenden Etablissements einfach in Großunternehmungen zusammengelegt werden müssen, und es wird der Staat, kontrolirt durch die bezüglichen sozialen Koali­tionen oder diese kontrolirt durch jenen als Unternehmer aufzu­treten haben.

Wie sich solche Sozialreform vollziehen könnte und was sie für Folgen haben müßte, auch darüber ein andermal Ein­gehenderes.

-

Proben deutscher Volkspoesie der Gegenwart.

Was leuchtet mir aus deinem Blick? Was lächelt mir von deinem Munde? Scheucht es ein herbes Mihgeschick? Heilf's eine fiefe Herzenswunde?

Geißt der Menschheit, Heig hernieder,

Senke dich in unsre Brust!

Gib uns Friede immer wieder, Gib uns Freude, gib uns Tuff!

II.

I. Erkannt!

50 log mir einst ein blüh'ndes Aug'; Den Wonnefraum in meinem Leben Berstörte eines Bundes Hauch; Kannst du mir Frieden wiedergeben?

Ja, dich durchglüht der Liebe Strahl, Mir kündel's ob der kalken Frage Die Perl, die sich ins Mug' dir fahl, Und die ich fortzuküssen wage.

Gebet eines Ungläubigen. Lehr' uns nach dem Höchsten streben, Lehr' Gemeines uns verachten, Lehr' uns lang und glücklich leben, Lehr' uns Edles hoch zu achten!

Geißt der Menschheit, eig hernieder, Senke dich in unsre Brust!

Taß uns Tug und Trug fets meiden, Tak uns Schönheit fief erfassen, Uns am Glücke Andrer weiden, Tak uns Unrecht immer hassen!

Gib uns Friede immer wieder, Gib uns Freude, gib uns Tuff!

Peter Thomas( Fabrikarbeiter).

Der Barbier von Kairo.  ( Illustration s. Seite 521.) In den spielen orientalischen Märchen- auch in Tausend und eine Nacht  " die Barbiere dieselbe Rolle, wie teilweise bei uns; sie beschäftigen sich damit, außer daß sie die Haupthaare und Bärte ihrer Kunden pflegen, die täglichen Neuigkeiten zu sammeln und sie ihren Kunden mitzuteilen. Der Orientale, der im allgemeinen schweigsamer ist als der Bewohner des europäischen   Westens, hat sonst weniger Gelegenheit, sich Neuig­feiten zu sammeln, und die Barbierstube gewinnt für ihn dadurch be­deutend an Wichtigkeit. Obwohl nun genau genommen der orientalische Barbier im Verhältnis zu seinen Kunden nicht minder gesprächig ist, als seine Kollegen anderwärts, so ist er doch bemüht, eine möglichst gravitätische Haltung einzunehmen. Mit unnachahmlicher Würde läßt er aus einem von der Decke herabhängenden Behälter das nötige Wasser über Kopf und Gesicht seines Kunden laufen, während die abträufelnde Flüssigkeit von diesem in einer großen Schüssel aufgefangen wird. Darauf beginnt, wie man sieht, erst die eigentliche Prozedur. Für die Männer des Drients, denen, wie Freiligrath sagt, in heißen Schädeln das Hirn brennt, mag die Abkühlung beim Barbier ganz angenehm sein, wir in Europa   haben dergleichen nicht notwendig.

Das Barbierhandwerk im Orient hat etwas Ehrwürdiges, Bunft mäßiges an sich, was zum Teil auch wohl damit zusammenhängt, daß bei den Orientalen der Bart so sehr in Ehren gehalten wird. Diese Berehrung geht bekanntlich so weit, daß der Muselmann am liebsten ,, beim Barte des Propheten" schwört.

Bl.

Junge Brut.  ( Illustration S. 525.) Soeben sind die Küchlein aus den Eiern geschlüpft und fröhlich eilen die Kinder des Hauses herbei, um die niedlichen jungen Vögelchen anzusehen, die kaum das Licht erblickt haben und doch schon so slink laufen können. Die alte Gluchenne, die sonst mit so viel Mut und so viel Tapferkeit ihre Küch­lein verteidigt, die schüzend ihre Flügel über sie bedt, wenn sie den

fernen Schrei des räuberischen Habichts hört und die selbst den Men­schen angreift, wenn sie glaubt, daß er ihren Küchlein etwas zu Leide tun will, sie sieht ruhig zu, wie ihre Küchlein von den Kindern betastet und geliebkost werden. Denn das Tier fühlt instinktiv, daß diese Kinder nicht mit bösen Absichten kommen. Allerdings, wenn die Gluckhenne weiter denken könnte, würde ihr die Sache vielleicht bedenklicher er­scheinen, denn wie leicht kann aus dem kleinen Mädchen, das die Küch= lein so zärtlich an seine Lippen preßt, eine dralle Küchenfee werden, die allem Geflügel, das in ihre Hände kommt, unbarmherzig den Hals abschneidet und die, wenn sie in einer großen Küche beschäftigt ist, zu einer förmlichen Massenmörderin an Gänsen, Enten, Hühnern und Tauben wird. Doch die Gluckhenne scheint von der Zukunft des kleinen Mädchens so schlimmes vorläufig nicht zu erwarten. Es ist eine Art Rumpelkammer, die der Henne zur Brutstätte angewiesen worden ist; hier wird es die junge Brut nicht lange mehr aushalten, sondern wird den Hof zu erreichen suchen, wo die jungen Hühner im Scharren und Krazen unterrichtet werden, um die Würmer u. dergl., die sie so gern fressen, aufzuspüren. Da haben denn auch die jugendlichen Men­schenkinder, die hier die jungen Küchlein so freudig begrüßen, ihren Spaß an dem emsigen Treiben der jungen Brut. Die alte Henne aber wird eine gute Weile warten müssen, bis man ihr wieder Mutterfreuden gestattet, denn die bösen Menschen pflegen ihr ja die Eier wegzunehmen und zu verspeisen oder sonst allerhand Allotria damit zu treiben. Biel­leicht sinds auch die lezten Küchlein gewesen, die sie ausgebrütet, denn auch über ihrem Haupte schwebt stets die unbarmherzige Hand der Köchin, und sie wird eines schönen Tags von derselben ergriffen, um eine gute Suppe abzugeben, ein Zweck, der auch für ein Huhn nicht großartig genug ist, um gern dafür zu sterben. Oder der Besizer ver­kauft die Henne an einen Restaurateur, der sie nach Beschluß ihrer alten Tage den Gästen als junges Huhn" vorsezt und sie sich teuer bezahlen läßt. Die arme Henne hat die bekannte Wahl, nach ihrem Tode gekocht oder gebraten zu werden, eine Wahl, die bekanntlich auch