den vernünftigsten Gänsen schon viel Kopfzerbrechen gemacht hat. So geht es eben zu in dieser Welt voll Kampfes ums Dasein: Der Große und Starke verzehrt die Schwachen und Kleinen.

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Verfolgung von Betyaren in Ungarn.  ( Illustration S. 533.) In Ungarn   ist das Räuberwesen noch bis in die neueste Zeit in Flor ge­wesen. Wie es kommt, daß gerade einzelne Länder das Vergnügen haben, in unserem Jahrhundert noch von der Landplage des Räuber­tums heimgesucht zu werden, das mag man aus verschiedenen Ursachen ableiten. In den meisten Fällen sind es erbärmliche wirtschaftliche Zustände, welche vielen Leuten die abenteuerliche und gefährliche Räu­berlaufbahn immer noch anziehender erscheinen lassen, als die dürftige Existenz eines Ackerknechts oder eines Fischers. So ist es in Italien  , Sizilien   und Spanien  , auch wohl in Griechenland   und einer Anzahl der Balkanländer. Allein es kann auch eine schlechte Verwaltung, eine elende Regierung den Flor des Räubertums begünstigen. Wir haben in Italien   Zeiten gehabt, da das Pabsttum und die Bourbonen ganz offen das Räubertum in ihren Sold nahmen; schon 1799 hatte der Kardinal Ruffo den berüchtigten Banditen Fra Diavolo in seine Dienste genommen, um gegen das republikanische und franzosenfreundliche Neapel   Hülfe zu leisten. Fra Diavolo und seine Bande verübten die furchtbarsten Greuel; er erhielt dafür vollständige Verzeihung, den Rang eines Obersten und eine Pension. Als später die Franzosen   wieder in Neapel   einrückten, wütete Fra Diavolo mit Hülfe der Engländer gegen sie. Die Franzosen fingen ihn 1806 und hingen ihn auf, während die Engländer geltend machten, daß er zum regulären Militär gehöre. Auch in den sechziger Jahren bedienten sich die Bourbonen   wieder der Hülfe der edlen Briganten; der Pabst desgleichen. Ungarn   weist einen nicht weniger berühmten oder berüchtigten Räuberhauptmann auf, den Alexander Rosza, gewöhnlich Rosza Sandor genannt, der schon in jungen Jahren ein berüchtigter Räuber war. Den Armen tat er nichts zu leide und erwarb sich dadurch eine ungeheure Popularität, wie dies einst dem Schinderhannes und dem baierischen Hiesel durch das gleiche schlaue Manöver gelungen war. Sentimentale ungarische Damen schwärmten für diesen großen Banditen", der mit ungemeiner Schlau­heit den Verfolgungen der Behörde zu trozen wußte und einen ganz unglaublichen Einfluß in Ungarn   besaß. Im Jahre 1848 schien für ihn ein besserer Stern aufzugehen, denn die Kossuthsche Regierung, die sich keine überflüssigen Feinde machen wollte, erkannte ihn als Frei­schaarenführer an und gebrauchte ihn auch zu Rekognoszirungen gegen die Serben. Nach der Revolution hielt sich Rosza noch fünf Jahre gegen die Desterreicher; dann wurde er gefangen, zum Tode verurteilt, aber zu lebenslänglichem Kerker begnadigt. Als er 1867 durch eine Amnestie frei fam, sammelte er sofort wieder eine Bande, durchzog die Pußtas, jene weiten baumlosen Haiden Ungarns  , und machte sich weit und breit gefürchtet. Als er indessen einen Eisenbahnzug überfiel, begann die Jagd von allen Seiten auf ihn; er ward in Szegedin ge= fangen und zu lebenslänglichen Gefängnis verurteilt.

In den Bußtas waren die Herren Banditen immer schwer zu ver­folgen, weil sie eine Menge von Unterschlupfen hatten. Jene kleinen, einzelstehenden Wirtshäuser, Czardas   genannt, nahmen sie immer gerne auf, und die Wirte standen in freundschaftlichem Verkehr mit den Räubern, machten zuweilen auch wohl die Hehler. So wurde es den Panduren gar nicht so leicht, die Räuber abzufassen, zumal die lezteren sich auch vielfach aus den Roßhirten( Czikos) der Steppen rekrutirten. Diese Czikos sind geborene Reiter, und wenn sie nur ein leidliches Roß haben, sind sie von dem schwerfälligen Panduren gar nicht einzuholen. Die Panduren eigneten sich indessen um so vortrefflicher zu diesem Geschäft, als sie selbst früher Räuber waren und der Oberst von der Trend sie zum erstenmal etwas militärisch organisirt hatte. Die Pfiffe und Kniffe des Räubertums hatten sich bei ihnen fortgeerbt. Indessen zeichneten sie sich noch in allen Kriegen durch ihre Roheit und Grau­samfeit aus, wie bei der Einnahme von Wien   im Oktober 1848 und in Ungarn   1849.

Unser Bild zeigt uns einen Trupp Panduren, der einer Gesellschaft von Betyaren, wie man die berittenen Räuber der Steppen nennt, auf der Spur ist. Sie halten vor einer Czarda( Schenke) an und der Wirt fommt mit seiner Familie heraus. Er wird nach den Betharen gefragt. Natürlich weiß er fein Sterbenswörtchen und macht ein möglichst dummes Gesicht. Deshalb kann es aber doch sein, daß die Betharen bei ihm im Hause versteckt sind, und der Führer der Panduren sieht ihn auch äußerst mißtrauisch an. Aus dem Manne ist aber nichts herauszubringen, und so werden die Panduren wohl oder übel mit langer Nase abziehen müssen. Bl.

Ein Bild aus der Schreckenszeit. Garat, eine zeitlang Minister des Innern unter dem Konvent, wurde in der Nacht vom 15/16. Of­tober 1793 plözlich verhaftet, weil bei einem gleichnamigen Verwandten ein an ihn gerichteter Brief einer frommen Schwester"( religieuse) ge­funden worden war. Das war damals ein genügendes Verdachts­moment, obgleich jener Brief durchaus nichts Verfängliches enthielt. Garat mußte auch nach einigen Monaten wieder entlassen werden, weil sich seine vollkommene Schuldlosigkeit und tadellos republikanische Ge­sinnung herausstellte. Die Verhaftung war von dem Revolutionsaus­schuß der Sektion des Montblanc   ausgeführt worden. Garat hatte jedoch sofort die Erlaubnis empfangen, in Begleitung eines Gendarmen

aus- und herumgehen zu können, was er denn auch vier Monate lang, bis zum Tage seiner Freilassung, im ausgedehntesten Maße tat. Selbst inmitten der Schreckenszeit war die Haft keineswegs so streng, als man sich gewöhnlich einbildet, und lange nicht so streng, als heute inmitten des Friedens. Es ist wahr, der Kopf stand auf dem Spiel genug, Garat wurde sehr gut behandelt und hatte ein kurioses Abenteuer, über das er in seinen zu Ende des vorigen Jahrhunderts veröffent­lichten Memoiren schreibt:

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" Ich kann mich von dem Revolutionsausschuß des Montblanc   nicht verabschieden, ohne mich einer Pflicht der Dankbarkeit gegen zwei seiner Mitglieder entledigt zu haben. Der Vorgang ist vielleicht auch bemer­fenswert genug, um unter den Anekdoten aus jener Zeit, wo die Tugend oft ihre Sicherheit in den Verrichtungen und im Gewand des Verbrechens suchte, einen plaz zu verdienen. Höchstens eine Stunde war seit meiner Ankunft auf der Sektion verstrichen, alle Mitglieder des Ausschusses hatten sich zurückgezogen, nur zwei waren zurückgeblieben. Ich überrasche diese zwei, wie sie einander und dann mich mit Teil­nahme betrachteten. Die Teilnahme gewann, wie man sich denken kann, nicht sofort mein volles Vertrauen. Der Eine gehörte zu denen, die mich verhaftet hatten, und bis zu diesem Moment hatte ich keinen Grund gehabt, zwischen ihm und den anderen einen Unterschied zu machen. Er redete mich an:" Nun, Bürger Garat, wann glau­ben Sie, daß alles dies enden wird!"( ,, Eh bien, citoyen Garat, quand croyez vous, que tout cui finira?") Was heißt, alles dies?"" Ah! die Zustände, in denen wir leben."( Ich antwortete nicht schnell, ich musterte die Beiden.) Sie können ungenirt reden, das Leben, welches wir führen, ist eine Hölle; wir sind die Unglücklichsten der Menschen; unser einziger Trost ist, zusammen zu weinen ( und beide brachen wirklich vor mir in Tränen aus); wenn man uns sähe es sind drei oder vier unter uns, die uns sofort einsperren ließen; man paßt uns auf, und das geringste Wort, das wir zu Gunsten irgend jemandes aussprechen, wird uns zum Verbrechen gemacht. Oh, mein Gott, wann wird das endigen?" Es blieb mir faum noch ein Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Teilnahme und ihres Schmerzes; ich suchte sie zu trösten und ihnen Hoffnungen einzuflößen, die ich selber nicht hatte, und sie mit dem Mut zu erfüllen, dessen sie bedurften, um in ihrem schrecklichen Amt einiges Gute wirken zu können. Breve Männer, erlaubt mir, Euch zu nennen: ich glaube, die Herrschaft der Geseze ist so befestigt, daß Euren Namen die öffentliche Achtung gesichert ist, ohne Euch der Gefahr der Proskription auszusezen- der eine ist Bourvet, Apoteker, auf der Rue de Montblanc  , der andere Ptolemée."

Die Anekdote, für deren Wahrheit der Name des Erzählers bürgt, hat ebensowohl ein psychologisches, wie ein historisches Interesse. Sie zeigt, wie das Herz troz des Terrorismus seine Rechte behauptet und gegen denselben rebellirt. Und nicht blos bei wenigen hervorragenden Individuen finden wir ähnliche Ausbrüche des Gefühls, wir finden sie auch bei einigen der verrufensten" Schreckensmänner, namentlich gerade bei dem, welcher der Schreckenszeit ihren Namen und ihr Pro­gramm gegeben hat: bei Danton  .

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Glaube man übrigens nicht, daß die französische   Nation allein solcher Kontraste und Widersprüche fähig sei. Unter ähnlichen Ver­hältnissen haben wir in unserem nüchternen" Deutschland   ganz ähn­liche Erscheinungen gehabt. Vielleicht finden wir Gelegenheit, in der " Neuen Welt" Episoden des Jahres 1849 zu behandeln, welche dies drastisch beweisen.

Aus allen Winkeln der Zeitliteratur.

Die nordamerikanische Konkurrenz und die deutsche   Landwirtschaft. Das Gespenst der amerikanischen   Konkurrenz hat in neuester Zeit in Deutschland  , besonders unter den Landwirten, bereits zu vielfachen Besorgnissen Anlaß gegeben, welche vorzugsweise den Getreide- und Obstbau betreffen. Ein Deutsch- Amerikaner, Heinrich Semler in San Franzisko, der die landwirtschaftlichen Verhältnisse von hüben und drüben sehr genau kennt und eine rege Teilnahme für die Wohlfahrt seines alten Vaterlandes an den Tag legt, hat fürzlich in mehreren Schriften den wahren Karakter des gefürchteten Gespenstes dargelegt.*) Die Aufklärungen und Winke, die er über die landwirtschaftlichen und industriellen Zustände in den nordamerikanischen Staaten gibt, sind in vielfacher Beziehung sehr wertvoll für die deutschen Verhältnisse. Wir erlauben uns deshalb, einiges aus der neuesten Schrift des Ver­fassers zur Beachtung und Beurteilung auszuheben.

In Deutschland   hat man nicht selten über die Fruchtbarkeit des nordamerikanischen Bodens die übertriebensten Begriffe und ist vielfach geneigt, dieser günstigen Bodeneigenschaft die bedeutende Ausfuhr von amerikanischem Weizen zuzuschreiben. Daß dieses ein Irrtum iſt, ſucht der Verfasser durch Zahlen nachzuweisen. Der Zensus von 1880", sagt er, hat darüber interessante Aufschlüsse gebracht. Auf dem jung­fräulichen Boden der Präriestaaten Jowa und Nebraska   werden im Durchschnitt 9 Bushels Weizen per Acre( d. h. 324 deutsche Pfund per Morgen) erzeugt. In den Südstaaten 61/2 Bushels( 234 Pfund), im

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*) Die wahren Ursachen und die wirtschaftliche Bedeutung der amerikanischen   Konkurrenz." Die Hebung der Obstverwertung und des Obstbaues in Deutschland  ."