Die Ziene ell
№o 25.
Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.
Erscheint alle 14 Tage in Heften à 25 Pfennig und ist durch alle Buchhandlungen und Postämter zu beziehen.
Eine Geschichte von fünf Tauben.
Von 23. Qulet.
-
da
Die erste war eine Turteltaube, die zweite eine geschossene Taube, die dritte eine Brieftaube, die vierte eine gebratene Taube und die fünfte eine Friedenstaube. Daß die Liebe in der Geschichte eine Rolle spielt, versteht sich von selbst, ja sogar Venus, wenn sie spazieren fuhr, ein Gespann von Tauben benüzte, und dieser holde Vogel daher die Gewohnheit beibehalten hat, sich in Liebesangelegenheiten zu mischen oder wenigstens dieselben zu symbolisiren. Nächst der Liebe vertritt die Taube den Friedensie trägt ein billet- doux unterm Flügel oder den Delzweig im Schnabel ,- Frieden ist ja eben auch der Geist der Liebe, der hier ein Band um zwei Herzen schlingt und dort um ganze Völker.
Der
Da, wo die erste Taube unserer Geschichte girrte, war ein gar liebliches Pläzchen. Es war ein Warmhaus der Brunnenanlagen zu Homburg im Herbste des Jahres 1868. gläserne Bau mit seinen hohen exotischen Gewächswänden war von jener feuchten duftigen Wärme erfüllt, die uns in solchen Blumenhäusern wie ein wonniges Bad umflutet; dazu hörte man das eintönige wiegende Plätschern einer Fontaine, und im Geäſte drin, wo unter Palmenzweigen ein Vogelbauer hing, schallte ein verliebtes Kukuru- h.
Auf einer zwischen blühenden Zweigen halbversteckten Bank saß ein junges Mädchen, eine offene Zeichenmappe auf dem Schoß. Thusnelda war in den Nachmittagsstunden, wo die Orangerie gewöhnlich leer war, hierher gekommen, um eine Blumengruppe zu kopiren. Aber von der süßen, einschläfernden Atmosphäre erfaßt, hatte sie die Arbeit unterbrochen und den Kopf zurückgelehnt, so daß ihr Blick in dem verschlungenen tropischen Blätterdache wie in einem Urwald schweifte ließ sie die Seele in einem träumenden Nichtsgedanken flattern.
An was denkt ein Mädchen, wenn es an nichts denkt und sich von Düften und Harmonien schaukeln läßt- von warmen Hauchen gefächelt und von Turteltauben angelacht wird?- Da schwebt ihm gewiß das Bild des Einen vor, gekannt oder geträumt, den es zu eigen werden wollte.
Und vor Thusneldens innerem Auge zeichnete sich ein ganz beſtimmtes Bild. Seit einiger Zeit war ihr auf allen ihren Ausgängen ein junger Engländer in den Weg getreten, dessen
1883.
jugendlich- einnehmende und gentlemanische Erscheinung lebhaften Eindruck auf sie hervorgebracht hatte. So oft sie in den Buchhändlerladen ging, wo sie ihre Zeichenrequisiten kaufte und wo zugleich eine Leihbibliotek war, trat gleich nach ihr der junge Engländer ein und fragte, ob ,, any thing new" in Büchern da ware. Neulich war sie mit einer Freundin im Teater ge= wesen, um einmal die Patti zu hören, und derselbe blonde Albionssohn saß unweit von ihr und blickte nur wenig auf die sonnambula, dafür aber desto mehr zu Thusnelden herüber. „ Der schöne Herr dort ist offenbar verliebt in dich, Nelda," hatte die Freundin bemerkt, worauf sie jedoch keine Antwort erhielt.
Thusnelda war ein schlichtes, empfängliches, braves und wunderschönes Mädchen. Sie zählte eben achtzehn Jahre. Sie lebte allein mit ihrer alten Mutter, der Witwe eines einst sehr reichen, aber ruinirt gestorbenen Kaufmanns aus Frankfurt . Eine kleine Villa in Homburg war alles, was von den Trümmern des einstigen Vermögens übrig geblieben war, und diese bewohnten nun die beiden Frauen im Erdgeschosse, während sie den ersten Stock an Fremde vermieteten. Sie lebten feils vom Ertrage dieser Miete, teils von dem Preise, welchen ein Frank furter Kunsthändler für Thusneldens wahrhaft geniale Blumenmalereien zahlte.
Das junge Mädchen war von sehr einfacher bescheidener Gemütsart und hätte auch viel lieber„ Marie" oder„ Anna"
"
geheißen, als den prätentiösen Namen„ Thusnelda " zu tragen. Aber es war eine Manie ihrer Mutter, das Deutschtum" über alles zu erheben, und so mußte sie es sich schon gefallen lassen, bei dem germanischen Heldennamen gerufen zu werden. Wenn die alte Madame Bretter von sich gesagt hatte:„ Ich bin eine alte Frau," und an ihrem Spinnrocken saß und einen Bund Schlüssel wie„ Nachbarin Marthe" umhängen hatte, so war sie schon zufrieden. Daß sie dabei ihr Töchterlein in Zucht und Ehren aufzog, ist natürlich, und wirklich war auch Thusnelda zu einer seelenreinen, sittigſtrengen Jungfrau herangewachsen, wie sie nicht„ minniglicher" gedacht werden kann.
In den Kursaal oder den Kurgarten hatte sie nie den Fuß gesezt, und wenn sie auch allein in die Stadt ging, um Ein