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Tisza- Eszlar.
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Von J. Stern.
Krankheit gründlich geheilt glaubt? Fast scheint es in der Tat, als ob die Geschichtsbewegung dem Kreislauf der Erde, der Winde, der Ströme gleicht, die stets dieselbe Arbeit wiederholen. Wie Penelope , die berühmte Frau des Odysseus, fönnte man glauben sizt die Geschichte webend am Riesenteppich der Kultur, um ihn des Nachts immer wieder aufzutrennen und bei Tag aufs neue die vergebliche Arbeit zu beginnen.
Und dennoch ist diese Geschichtsauffassung eine durchaus irrige und wer unbefangen die verschiedenen Kulturepochen vergleicht, der wird, vorausgesezt, daß seine Sehkraft nicht lokal begrenzt ist, sondern die Gesammtmenschheit zu überblicken versteht, immer mehr befestigt werden im Glauben an den Fortschritt der Menschheit und das Gesez anerkennen, welches Hegel, der Darwin der Geschichte, aufgestellt hat, das Gesez von der stetigen Fortentwicklung der Menschheit. Wohl zeigt die Geschichte zahlreiche rückläufige Bewegungen; aber auch die Planeten scheinen häufig rückläufig zu sein, und doch weiß der Astronom, daß sie sich stets vorwärts bewegen auf ihren ewigen Bahnen. Nicht dem Sisyphus gleicht die Menschheit, sondern dem großen Sohn der Alkmene , dem Herakles, der durch rastlose Tätigkeit und mutig vollbrachte, mühsame Arbeiten endlich einen Plaz im Olymp sich erringt und zum Halbgott wird.-
Das Buch der Geschichte, schreibt H. Heine , findet mannich| heit immer wieder rückfällig, wenn man sie von einer geistigen faltige Auslegung. Zwei ganz entgegengesezte Ansichten treten hier besonders hervor. Die einen sehen in allen irdischen Dingen nur einen trostlosen Kreislauf; im Leben der Völker wie im Leben der Individuen, in diesem wie in der organischen Natur überhaupt, sehen sie Wachsen, Blühen, Welken und Sterben: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Es ist nichts neues unter der Sonne, ist ihr Wahlspruch. Sie zucken die Sie zucken die Achsel über unsere Zivilisation, die doch endlich wieder der Barbarei weichen werde; sie schütteln den Kopf über unsere Freiheitskämpfe, die nur dem Aufkommen neuer Tyrannen förderlich seien; sie lächeln über alle Bestrebungen eines politischen Entusiasmus, der die Welt besser und glücklicher machen will und der am Ende erkühle und nichts gefruchtet; in der kleinen Chronik von Hoffnungen, Nöten, Mißgeschicken, Schmerzen und Freuden, Irrtümern und Enttäuschungen, womit der ein zelne Mensch sein Leben verbringt, in dieser Menschengeschichte sehen sie auch die Geschichte der Menschheit. -Dieser fatalen fatalistischen Ansicht steht eine lichtere entgegen, wonach alle irdischen Dinge einer schönen Vollkommenheit entgegenreifen und die großen Helden und Heldentaten nur Staffeln sind zu einem hi heren Zustande des Menschengeschlechts, dessen sittliche und politische Kämpfe endlich heiligen Frieden, edle Verbrüderung und die wahre Glückseligkeit zur Folge haben. Das goldene Zeitalter, heißt es, liege nicht hinter uns, sondern vor uns; wir seien nicht aus dem Paradiese vertrieben mit einem flam menden Schwerte , sondern wir müssen es erobern durch ein flammendes Herz, durch die Liebe; die Frucht der Erkenntnis gibt uns nicht den Tod, sondern das bessere Leben. Der ungarische Dichter Alexander Petöfi hat diesen beiden Geschichtsauffassungen folgende poetische Fassung gegeben:
O Weltgeschichte, wundervolles Buch! Ein jeder liest was anderes aus dir: Der eine Segen und der andere Fluch, Der Leben, jener Tod dafür.
Du sprichst zu diesem, gibst ein Schwert ihm in die Hand: Geh' hin und kämpfe! Nicht vergebens ringst du tatentbrannt; Der Menschheit wird geholfen, Heil ist ihr bescheert.- Bu jenem sprichst du: Lege ab dein Schwert! Vergebens tämpfst und ringst du,
Zu feinen Ziele dringst du;
Die Welt bleibt unglückselig immerdar, Wie sie von jeher war.
Das Schauspiel, welches im Vaterland dieses Dichters, im Gerichtssaal zu Nyiregyhaza , in Szene ging und dessen Verlauf die ganze gebildete Welt mit Spannung verfolgte, gehört scheinbar zu denjenigen historischen Ereignissen, auf welche sich die pessimistische Geschichtsauffassung berufen kann. Wie ein grauenerregendes Gespenst aus dem tiefsten nächtlichen Dunkel des Mittelalters ist jenes längst abgetan und tot geglaubte furchtbare Märchen von dem Christenblut, das die Juden zu ihrem Osterfest brauchen sollen, am hellen Tage des 19. Jahrhunderts wieder aufgetaucht, zu einer Zeit, wo das Dampfroß durch den Gotthard schnaubt, das Kabel durch den Ozean sich windet und das elektrische Licht Straßen und Hallen erhellt. Möchte man da nicht fast verzweifeln an dem idealen Fort schritt der Menschheit! Muß man nicht dem Gedanken Raum geben, daß möglicherweise wieder Zeiten fommen können, wo der krasse Aberglaube seine infernalischen Orgien aufs neue feiert, wo Hexenprozesse und ähnliche entfezliche Ausgeburten des Wahns auf der Bühne der zivilisirten Völker sich wieder abspielen und Scheiterhaufen aufgeschichtet werden, um Ungläu bige und Rezer ad majorem dei gloriam( zur größeren Ehre Gottes) zu braten! Sind die Menschen wirklich wie die Weiber, die beständig zurück nur kommen auf ihr erstes Wort, wenn man Vernunft gesprochen stundenlang?" Wird die Mensch
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Auch das Ereignis, welches die vorstehende Betrachtung veranlaßte, bestätigt das. In früheren Zeiten wäre dasselbe nicht auf dem Wege des prozessualischen Verfahrens zum Austrag gebracht worden. Ein Judizium, wie die Aussage des Knaben Moriz Scharf, hätte genügt, die Wut der Massen nicht nur gegen die Verdächtigen, sondern gegen die gesammte Judenschaft zu entfesseln. Als z. B. zur Zeit Kaiser Friedrich II. ein Teich in der Umgegend Wiens zugefroren war und drei junge Leute, die ihn unvorsichtigerweise überschreiten wollten, darin ertranken, verbreitete sich als bald das Gerücht, die Juden, deren Osterfest um jene Zeit fiel, hätten die drei Unglücklichen ge= mordet. Die Verwandten derselben erhoben die Anklage. Man steckte die Juden ins Gefängnis und erlangte durch Anwendung der Tortur das Geständnis ihres Verbrechens. Dreihundert Juden wurden lebendig verbrannt. Im Frühjahr taute der Teich auf und man fand darin die Leichen der drei jungen Leute. Diese Zeiten sind vorüber. Selbst die leidenschaftlichsten Fanatiker mußten ihre Wut zügeln und durften dem gerichtlichen Verfahren nicht vorgreifen; während sehr viele an die Beschuldigung, troz schwerwiegender Indizien, nicht glaubten.
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Und sie taten recht daran. Es ist vollkommen richtig, daß die Juden den größten rituellen Abschen vor dem Blut haben, und sie gehen darin infolge rabbinisch- pharisäischer Uebertreibung so weit, daß sie jedes Stück Fleisch, das gegessen werden soll, eine Stunde lang in Salz liegen lassen und dann mehrmals begießen, damit gewiß jeder rechtschaffene Blutstropfen aus dem Fleisch entfernt werde; denn das Blut ist die Seele", meint das mosaische Gesez und du sollst die Seele nicht mit dem Fleische verzehren". Der wahre Grund des Verbots ist jedoch ein anderer. Nach der Vorstellung der Alten lieben die Seelen der Abgeschiedenen, die mit ihren Wünschen noch an das Jrdische gekettet sind, den Blutgenuß. Als Odysseus in den Hades hinabstieg, um die Seele des thebanischen Schers Teiresias über seine Heimfahrt zu befragen, mußte er eine viereckige Grube graben und in dieselbe das Blut gewisser Opfertiere laufen lassen. Nun kamen die Luftgebilde der Toten und wollten gierig von dem Blute trinken. Er aber wehrte sie mit dem Schwerte ab und ließ sie nicht trinken, bis die Seele des Teiresias kam und ihn anredete:
Also sprach er; ich wich und steckte das silberbeschlagne Schwert in die Scheid', und sobald er des schwarzen Blutes getrunken, Da begann er und sprach, der hocherleuchtete Seher 2c. ( Odyssee 11.)